Lotte Reimers Die keramische Zentrale in der Pfalz

Zweibrücken · Mit einem Portrait des von Leidenschaft für die Kunst, Tatendrang, Entschlusskraft und Willensstärke geprägten Leben der „Keramik-Legende“ Lotte Reimers begann der Historische Verein sein Jahresprogramm.

 Lotte Reimers Leidenschaft für Arbeiten mit Ton ist es zu verdanken, dass Deidesheim ein Mekka für Keramikbegeisterte wurde.

Lotte Reimers Leidenschaft für Arbeiten mit Ton ist es zu verdanken, dass Deidesheim ein Mekka für Keramikbegeisterte wurde.

Foto: picture alliance / Ralf Ziegler//Ralf Ziegler/Land RPL

„Gäbe es den Ton nicht, so müsste er für mich erfunden werden“, zitierte Heinz Weinkauf eine der wohl bemerkenswertesten Frauen in Rheinland-Pfalz: Lotte Reimers. Eine Stunde lang faszinierte der ehemalige Redakteur des Pfälzischen Merkur die Mitglieder des Historischen Vereins im Kapellenraum der Karlskirche mit der aufregenden, ungewöhnlichen Lebensgeschichte der heute 86-Jährigen. Ihrer Leidenschaft für die Kunst, speziell von Arbeiten mit Ton, ist es zu verdanken, dass der vorderpfälzische Ort Deidesheim nicht nur bekannt ist für seinen Wein und seinen Saumagen, sondern auch ein Mekka für Keramikbegeisterte.

Welch ein Kapitel jüngster Kunst- und Kulturgeschichte wurde dort geschrieben! Erst Mit- und dann Hauptakteurin – bis heute ist Lotte Reimers die große Dame der deutschen Keramik. Dabei hatte das Mädchen aus gutem Hause ursprünglich eine ganz andere Lebensplanung. Die 19-jährige Abiturientin mit dem enormen Zeichentalent hatte sich bereits an der Landeskunstschule ihrer Geburtsstadt Hamburg eingeschrieben, um Malerin und Kunsterzieherin zu werden, als Jakob Wilhem Hinder in ihr Leben trat. Der anerkannte Keramikexperte zog sie mit seiner Wander-Verkaufsausstellung „Handwerkliche Webereien und Töpfereien“ in den Bann. Fasziniert von den Werken und beseelt von der Vision, selbst Kunstwerke aus Keramik herzustellen, gab sie ihr bürgerliches Leben auf, überzeugte den Keramiksammler, sie als Gehilfin anzunehmen und ging mit ihm auf Wanderschaft. Sie organisierte die Wanderausstellungen, führte Verkaufsgespräche, hielt Vorträge und tauschte sich intensiv mit Keramikkünstlern aus aller Welt aus.

Angetrieben von ihrer Leidenschaft, nahm sie das oft harte, entbehrungsreiche Leben auf sich. Noch schlummerte ihr Traum, selbst als Künstlerin aktiv zu werden. In 15 Jahren bereiste das Duo 1100 Orte, bis Jakob Wilhelm Hinder 1961 beschloss, mit 65 Jahren sei es an der Zeit, sich niederzulassen. Im selben Jahr noch eröffneten er und Lotte Reimers ihre erste Ausstellung in Deidesheim, wohin es sie wegen der freundlichen Menschen und der lieblichen Landschaft gezogen hatte. Weitere zehn Jahre dauerte es, bis die beiden, vielfach in Eigenleistung, die Idee eines Keramikmuseums verwirklichen konnten.

Jakob Wilhelm Hinders Lebenswerk war eine umfangreiche, einzigartige Keramiksammlung, die er zusammen mit seiner Partnerin Lotte Reimers in ihrem „Museum für moderne Keramik“ in Deidesheim ausstellte, dem ersten Museum dieser Art in Deutschland. Lotte Reimers hielt Vorträge, führte durch das Museum und demonstrierte die Arbeit mit der Drehscheibe. Das Duo galt als „keramische Zentrale“. Es brachte bei den sogenannten „Mittwochstreffen“ im „Goldenen Rebstock“ seit 1961 viele namhafte deutsche und internationale Künstler der Keramikszene in Deidesheim zusammen.

1965 erfüllte sich die damals 33-Jährige, endlich ihren Wunsch und begann, eigene Artefakte zu kreieren. „Sie probierte nicht, sie versuchte nicht und sie drehte nicht, sondern baute ihre Gefäße alle von Hand auf“, berichtete Heinz Weinkauf voller Ehrfurcht. Ein Blick in ihr Skizzenheft im Rahmen seiner Fotoserie zeigte, dass sie ihre Kenntnis aus den Jahre langen Gesprächen mit Keramikkünstlern aus aller Welt niedergeschrieben und sich so ihr Können angeeignet hatte. Sie entschied sich für reine Naturbrände und fand in der Umgebung von Deidesheim ihr Rohmaterial.

Es entstanden einzigartige Artefakte und noch heute sind die Werke von Lotte Reimers unter allen Keramikschätzen auf Anhieb zu erkennen. Ein Höhepunkt ihrer zahlreichen Ausstellungen in Deutschland, Spanien oder Schweiz war die Ausstellung „Geteilte Erde“, die ihre Werke mit denen indigener Aborigines aus Australien kombiniert.

Ein Bild des Ausstellungsplakates verdeutlichte die Aussage von Heinz Weinkauf, „es habe gewirkt, wie aus einem Guss“. 1976 starb Jakob Wilhelm Hinder. Die Ausstellung drohte, zerschlagen zu werden. Noch einmal mobilisierte die Künstlerin all ihren Tatendrang, ihre Entschlusskraft und Willensstärke und zog in einem physischen, psychischen und finanziellen Kraftakt mit dem Museum in ein ehemaliges Winzerhaus in der Stadtmauergasse um. 10 000 Besucher aus aller Welt besuchten es jährlich.

1993 vermachte Lotte Reimers die Museumssammlung, die mehr als 1500 Stücke aufwies, dem Land Rheinland-Pfalz. Seit 2005 befindet sich die Sammlung im Gewölbekeller der Villa Ludwigshöhe in Edenkoben und ist nur selten zugänglich.

Die 1996 gegründete Lotte Reimers-Stiftung hat das Ziel, die Kunstform der Keramik zu fördern. Im Deisdesheimer Keramik-Museum stellt Lotte Reimers ihre eigenen Werke und ausgewählte Werke von Kollegen aus ihrer exklusiven Sammlung aus. Als Keramikerin begeistert die 86-Jährige mit einzigartigen hochgebrannten Schöpfungen die keramische Welt und als Impulsgeberin bereicherte sie das Kunstschaffen in der Pfalz. Für Ihr Werk erhielt sie folgende Auszeichnungen: Staatspreis (1976) und Verdienstorden (1992) des Landes Rheinland-Pfalz, Barbarossasiegel der Stadt Kaiserslautern (2004) sowie Preis der Ike- und Berthold-Roland-Stiftung (2017).

www.historischer-verein-zweibruecken.de

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