Grundstein für Krieg und Völkermord

Zweibrücken · Viel über den Terror der Nationalsozialisten lernten Mitglieder des Arbeitskreises „Zwangsarbeiter in Zweibrücken“ sowie Schüler des Helmholtz-Gymnasiums bei einem Besuch des ehemaligen KZ Osthofen.

Zugig ist es in der alten Fabrikhalle. "Hier drinnen ist es kälter als draußen", sagt Janika Schiffel. "Im Winter packe ich mich immer richtig dick ein, wenn ich hier hineingehe." Kahle fleckige Wände umgeben die lang gestreckte Halle. Die ebenso fleckige Decke wird von spindeldürren Säulen gestützt. Die Schülergruppe, die sich um Schiffel geschart hat, steht auf einem harten, grauen Betonboden. Wie hier überhaupt alles grau ist. Eine schlichte Inschrift auf einer Betonplatte erklärt, was es mit diesem Ort auf sich hat: "Schlaf- und Aufenthaltsraum" steht da geschrieben.

Die 24-jährige Geschichtsstudentin Schiffel, die die zwei zehnten Klassen des Zweibrücker Helmholtz-Gymnasiums durch das frühere Konzentrationslager (KZ) Osthofen im Landkreis Alzey-Worms führt, erzählt, wie es war in den Jahren 1933 und 1934. Davon, dass hunderte Häftlinge in der ehemaligen Papierfabrik zum Teil auf ein wenig Stroh schlafen mussten. Von Krankheiten und karger Ernährung. Von Schlägen und Demütigungen.

Dennoch entspricht dieser Ort nicht dem Bild, das die Schüler ursprünglich vor Augen hatten, bevor sie das Konzentrationslager Osthofen besucht haben. "Mit was verbindet ihr den Begriff KZ?" fragt Schiffel sie. "Massenmorde", "Vergasung" und "Auschwitz" kommen als Antworten. Doch all das entspricht eben nicht dem, was hier passiert ist, klärt die Studentin die Jugendlichen auf: "Das hier war eine andere Art von Lager. Hier ist niemand gestorben." Vielmehr haben die Nationalsozialisten unter anderem in Osthofen erst die Grundlage für Diktatur, Krieg, Versklavung und Massenmord geschaffen. Hier, wie auch in anderen "frühen" KZs in ganz Deutschland, schalteten sie kurz nach ihrer Machtübernahme im Januar 1933 die Opposition aus, indem sie Andersdenkende traktierten und einschüchterten. "Auschwitz wäre ohne dieses Lager gar nicht möglich gewesen", sagt Schiffel.

Die Helmholtz-Schulklassen besuchen Osthofen gemeinsam mit Mitgliedern des Arbeitskreises "Zwangsarbeiter in Zweibrücken" unter Leitung der Grünen-Stadträtin Gertrud Schanne-Raab. Die Jugendlichen sind in das Projekt eingebunden und werden in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis eine Ausstellung zum Thema Zwangsarbeit in Zweibrücken erstellen. Gefördert wird das Vorhaben durch das Bundesprogramm "Demokratie leben!", das auch die Finanzierung der Fahrt nach Osthofen übernommen hat.

Zwangsarbeit stand in dem ehemaligen KZ nicht im Vordergrund. Dennoch hat es sie auch hier gegeben. Dabei ging es oft gar nicht darum, die Häftlinge auszubeuten, sondern darum, sie zu demütigen und zu brechen. "Sie mussten Nägel in einen Holzbalken schlagen", nennt Schiffel ein Beispiel für solch sinnlose Arbeiten. "Dann mussten andere Häftlinge sie krumm schlagen, bevor andere Gefangene sie wieder gerade machen mussten.". Die Studentin und die Schüler stehen jetzt auf dem mit Gras bewachsenen Appellplatz. Hier wurden morgens die Arbeiten vergeben. Zum Teil profitierten Nazi-Bonzen auch ganz persönlich von der Arbeitskraft der Gefangenen - allen voran der "ehrenamtliche" Lagerleiter Karl d'Angelo. Der ließ die Häftlinge etwa seinen Wagen waschen und seine Wohnung renovieren. "Wurden die Männer auch gefoltert?", will eine Schülerin wissen. "Sie wurden gezüchtigt", bestätigt Schiffel. Sie erzählt außerdem von einem Drahtverhau, der sogenannten "Arena", in der Häftlinge stundenlang im Kreis herumgehetzt wurden. Wer sich nach Auffassung der Wachmannschaft im Lager besonders schlecht benahm, kam in den "verschärften Arrest", in einer nahegelegenen Holzmühle. Hier gab es kaum zu essen, und die Häftlinge waren auf so engem Raum eingesperrt, dass sie sich kaum ausstrecken konnten. "Haben die Häftlinge denn nicht draußen erzählt, was in dem Lager passiert?", will eine Schülerin wissen. Was denkst du denn, was dann passiert ist?", stellt Schiffel eine Gegenfrage. "Man hat ihnen nicht geglaubt", entgegnet die Schülerin. Kurz vorher haben die Jugendlichen alte Zeitungsberichte gesehen, in denen der Bevölkerung die angeblich vorbildlichen Verhältnisse in dem KZ vorgegaukelt wurden. "Oder man hat sie einfach noch einmal verhaftet", ergänzt Schiffel.

Wie später auch bei den Zwangsarbeitern, die die Nationalsozialisten während des Zweiten Weltkrieges millionenfach einsetzten, standen bereits im KZ Osthofen Juden auf der untersten Stufe. Auch wenn 1933/34 - anders als später - noch keine jüdischen Menschen verhaftet wurden, nur weil sie Juden waren, sondern weil sie sich etwa bei den Kommunisten oder der SPD politisch betätigten, wurden sie im Lager doch schlechter behandelt als andere Häftlinge . Schiffel erzählt, dass Juden mit bloßen Händen oder mit Essgeschirr Fäkalien aus der Latrinengrube - richtige Toiletten gab es keine - schöpfen mussten.

Nach dem Rundgang durch die Gedenkstätte und die Dauerausstellung "Verfolgung und Widerstand in Rheinland-Pfalz 1933-1945" merkt man, dass der Besuch seine Wirkung nicht verfehlt hat. Sie habe das alles ziemlich berührt, sagt die 15-jährige Luca Sophie Ehrmantraut. "Ich konnte mir das alles gar nicht vorstellen." Erschreckend fand sie vor allem, dass die Häftlinge stupide und sinnlose Arbeiten verrichten mussten. "Auch, dass es eigentlich gar keinen Grund gab, warum sie eingesperrt waren." Beim Abschlussgespräch diskutiert Schiffel mit den Schülern darüber, warum es auch heute noch wichtig ist, sich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit zu befassen. "Ich finde es wichtig, den Leuten zu zeigen, was hier passiert ist, damit so etwas nicht wieder geschieht", sagt die 15-jährige Anne Glahn. Auch erinnern die Schüler daran, dass die Unterdrückung von Andersdenkenden auch heute noch in vielen Ländern Realität ist.

Zum Thema:

Auf einen BlickDas KZ Osthofen bestand von März 1933 bis Juli 1934. Die dortigen Häftlinge waren überwiegend aufgrund ihrer politischen Aktivität in linken Parteien oder Organisationen verhaftet worden. In der Mehrheit gehörten sie der KPD , einer ihrer Nebenorganisationen oder der SPD an. Mindestens 3000 Männer sowie einige wenige Frauen waren dort meist für vier bis sechs Wochen inhaftiert - zum Teil aber auch deutlich länger. Zeitgleich waren bis zu 300 Häftlinge in dem Lager. Als eines der letzten "frühen" Konzentrationslager wurde Osthofen im Juli 1934 aufgelöst - zum einen, weil es in seiner Infrastruktur ziemlich improvisiert war, zum anderen, weil die Opposition weitgehend ausgeschaltet war.1989 wurde das Gebäude unter Denkmalschutz gestellt. Seit 2004 ist der Ausbau der Gedenkstätte abgeschlossen. gda

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