Moment Mal Grieser, neu und wieder entdeckt oder: Erinnern in Dur und Moll
Dass Bücher Geschichten erzählen, ist nicht neu. Dass hinter diesen Geschichten aber andere Geschichten stecken, die vielleicht sogar die eigene berühren, hat Merkur-Chefredakteur Michael Klein aus Dietmar Griesers neuem Buch erfahren.
Lesen bildet! Wer wollte da ernstlich widersprechen? Der Satz ist gleichermaßen gültig für die Tageszeitung wie auch für die unüberblickbare Schar lehrreicher oder auch einfach nur mal kurzweilig unterhaltender Bücher. Wobei gerade die letztgenannte Spezies insbesondere in der noch immer laufenden Urlaubs- und Ferienzeit gerne genommen wird. Am Strand, am Pool, im Liegestuhl – und auch mal auf der heimischen Terrasse.
Ich reihe mich da gerne in die Schar der Lesenden ein, mache keine Ausnahme.
Wobei, doch – eigentlich ist es schon eine Ausnahme, wenn einem der Autor selbst vorm ersten Blättern im neuen, gerade erst erschienenen Buch heiße Insidertipps verrät. Einen beispielsweise liebevoll per E-Mail instruiert, mit welchem Kapitel man denn am besten anfangen solle, wenn es sich denn um ein Buch handelt, in das man wahllos quer einsteigen kann. Weil es in viele in sich geschlossene Kapitel gegliedert ist. Die man einzeln lesen, ja, genießen kann.
Dietmar Grieser hat ein solches Buch geschrieben, erschienen im Wiener Amalthea-Verlag. „Schön ist die Welt“ hat er es übertitelt, und auf 269 Seiten (da sind die 36 Farb- und Schwarzweiß-Fotos sowie das vielnamige Personenregister gerne inkludiert) beschäftigt sich der Autor auf die ihm ganz eigene, sehr behutsame Art mit Schauplätzen der Musik. Er unterhält mit sehr persönlichen Erinnerungen an Werke der musikalischen Weltliteratur, an Evergreens und an unvergängliche unvergessliche Kompositionen. Da findet sogar Zweibrücken seinen Platz, und der Pfälzische Merkur. Was nicht überrascht – mit Blick auf den Autor.
Grieser, der es mit seinem literarischen Schaffen zu einer Gotha hochnobler Auszeichnungen schaffte – er ist unter anderem Träger des Eichendorff-Literaturpreises, des Donauland-Sachbuchpreises, des Buchpreises der Wiener Wirtschaft, des tschechischen Kulturpreises und vieler anderer, die die Aufzählung an dieser Stelle sprengen würden – hat seine Spuren in Zweibrücken (hinterlassen). Kein Wunder: er hat einen Teil seines Lebens hier verbracht. Jahre der Jugend und des beruflichen Orientierens, später dann als Stadtschreiber in unserer Stadt.
Wer mit dem „privatissime“ überschriebenen ersten Kapitel ins Buch einsteigt, so wie wahrscheinlich viele ehemalige Freundinnen und Freunde, die Grieser noch immer in Zweibrücken hat, der ist mittendrin in den Erinnerungen Griesers an die Rosenstadt – vor allem auf den Seiten 16 bis 19, die Grieser mir so sehr ans Herz gelegt hat. Vom fernen Wien aus, wo er seit 1957 lebt. Wessen Auge im Buch auf den ersten Seiten spaziert, der hat im Ohr unwillkürlich das „Meerstern, ich Dich grüße“ in der nach den Wirren des Krieges neu erstandenen Pfarrkirche Zum heiligen Kreuz. Für Grieser selbst klang dies damals – so schreibt er in seinem Buch – nicht viel anders als der Kirchengesang in der Leobschützer Pfarrkirche Maria Geburt, wo er im Jahre 1934 weit im Osten des damaligen deutschen Reiches zur Welt kam.
Aus dem kleinen Dietmar der damaligen Zeit wurde der literarische Weltenbummler, der sich zur Freude derer, die ihn schätzen, mögen und verschlingen auf die spannende Spurensuche macht. Der wunderbare Geschichten entlang der Notenlinien erzählt, Lebensschicksale nachempfinden lässt und der musikalisch bedeutsame Orte bild- und wirkungsvoll erklingen und entstehen lässt. Auf dass Jeder sie nach seiner Melodie bereisen kann. Und der auch damit klarkommt, dass – auch um die Spannung und die Chance aufs persönliche Entdecken zu bewahren – sein neues Werk an dieser Stelle weniger rezensiert als vielmehr individuell nachempfunden wird.
Umso mehr mit Blick auf das Verbindende zwischen dem Schreiber und dem Be-Schreiber. Ja, ich wollte – typisch Oldie-Fan – Grieser mit Elvis beginnen, mit der Erzählung und mit Hintergründigem zum „Muss i denn“, das der King of Rock’n’roll im schmachtend tränendrüsendrückenden amerikanischen Deutsch für alle Zeiten einschnulzte. „Das taugt als Beginn ganz gut“, hatte mir Grieser geschrieben. Doch ich hab Lili Marleen genommen.
Ob es Intuition war? Was denn sonst! Gleich im ersten Satz der Geschichte von Lili und Marleen, die Grieser unter der Schlagzeile „Radio Belgrad, 21.57 Uhr“ erzählt, stolpere ich über den – Pfälzischen Merkur, über das erste Volontariatsjahr, das der Autor im Jahr 1952 bei unserer Zeitung erlebt. Ich schmunzele innerlich über Grieser, denn er schreibt: „Heimatpresse nannte man nach 1945 jenen Typ Regionalzeitung, für deren Abonnenten Berichte über Müllabfuhr, Kaninchenzucht oder den jüngsten Tanzkursabschlussball mehr Gewicht hatten als die großen Ereignisse aus Politik, Wirtschaft und Kunst.“
Ich kann mir ein Schmunzeln auch jetzt nicht verkneifen, da ich diese Zeilen aus dem Buch „Schön ist die Welt“ abschreibe. Inzwischen bin ich weiter, denn nach Lili Marleen und Elvis sind andere Kapitel gekommen. Ich habe sie gelesen und genossen, so viel Neues erfahren, selbst im eigentlich Altbekannten.
Und mit Grieser hab ich per Mail längst darüber geplaudert. Elektronisch kriegt er am heutigen Montag übrigens auch die heutige lokale Seite eins – als ehemaliger Merkur-Kollege freut sich der Ex-Volo schon drauf. Der CR von heute nicht minder!