Bewegende Geschichte von Gisela Topol aus Niederauerbach Eine Grenzgängerin in den Nachkriegsjahren

Zweibrücken · Die Niederauerbacherin Gisela Topol erinnert sich noch gut an diese eine Zugfahrt 1949 von Saarbrücken nach Zweibrücken. Ein Riesencoup, den das kleine Mädchen damals erlebte.

 Gisela Topol 1949.

Gisela Topol 1949.

Foto: Topol

Wenn Gisela Topol ihre Großmutter in Saarbrücken besuchte, dann war das immer wie ein kleiner Urlaub für das junge Mädchen. Zuhause in Niederauerbach musste die damals Achtjährige Ende der 40er Jahre kräftig mit anpacken; den Haushalt verrichten und sich um ihren neugeborenen Bruder kümmern, weil es der Mutter nach der Geburt nicht gut ging.

Ihr leiblicher Vater war 1943 im Krieg gefallen. „Er war Volksschullehrer in Niederauerbach für Germanistik, Musik und Sport. Eigentlich hätte er deshalb gar nicht zum Militär gemusst“, erzählt Topol. „Von meiner Mutter weiß ich, dass er sich wenige Tage, bevor er eingezogen wurde, einem vermeintlichen Freund gegenüber kritisch zur Politik Hitlers und des NS-Regimes geäußert hatte. Ein großer Fehler.“ Denn offensichtlich wurde er zur Strafe eingezogen. „Noch im selben Jahr ist er gefallen.“

In Saarbrücken bei der Großmutter aber durfte Gisela ganz Kind sein. „Meine Patentante, ein richtiges Fräulein vom Postamt, lebte ebenfalls bei meiner Oma und gemeinsam verwöhnten sie mich. Das war wunderschön.“

Einmal auf der Rückfahrt mit dem Zug über die Grenze nach Zweibrücken – das Saarland war nach dem Zweiten Weltkrieg französisch regiert – kam es zu einem Erlebnis, das Gisela Topol bis heute in ihrem Herzen trägt. „Damals war es durchaus üblich, dass selbst kleine Kinder, wie ich eins war, alleine mit dem Zug fuhren. Man suchte am Bahnhof eine Begleitperson, die in die gleiche Richtung fuhr und dafür sorgte, dass man am richtigen Bahnhof wieder ausstieg. Dafür hatte ich an meinem Mäntelchen ein breites Stoffband mit der Aufschrift ZWEIBRÜCKEN befestigt. Heute undenkbar, aber damals ganz normal“, sagt Topol.

Gisela Topol heute auf einem Foto im Zweibrücker Rosengarten.

Gisela Topol heute auf einem Foto im Zweibrücker Rosengarten.

Foto: Volkhard Gabriel

„An jenem Tag im Winter 1949 war es ein junger Mann aus Frankreich, der sich meiner angenommen hatte“, erzählt die heute 80-Jährige. Die Erinnerungen seien noch immer sehr präzise. „Er war mir gleich aufgefallen, noch bevor er uns angesprochen hatte. Vielleicht wegen seines langen, weiten Mantels und dem großen Paket, das zu seinen Füßen stand. Er hatte ein auffallend hübsches, schmales Gesicht unter seinem dunklen Lockenkopf. Lediglich die glanzlosen Augen passten so gar nicht dazu. Das änderte sich, als er auf uns zukam. Sein französischer Akzent klang für mich damals wie Gesang. Da war so etwas Melodisches in seinem Tonfall. Dabei lächelt er, ein Lächeln, das die ganze Bahnhofshalle zu erhellen schien.“ Der schöne Fremde zeigte auf Gisela Topols Stoffband und sagte: „Oui, ich nehme Sie mit. Sie kommt mit mir nach Zweibrücken, ich werde sie be’üten“. „Er griff mein Köfferchen, das meine Oma auf dem Bahnsteig abgestellt hatte und brachte alles in den Zug. Dann holte er mich nach. In einem der klapprigen Abteile legte er sein riesiges Paket auf die hölzerne Sitzbank, breitete seinen großen Mantel aus und setzte mich drauf. Er holte noch ein stark duftendes Päckchen aus seinem Rucksack und steckte es in mein Köfferchen. ,Pour Maman‘, sagte er.“

„Auf der Zugfahrt begann er zu zeichnen, mich und meine Oma auf dem Bahnsteig, die Leute im Zug. Ich weiß noch, wie verblüfft ich über die Ähnlichkeit der Portraits war. Ich erzählte Robert – seinen Namen hatte er mir inzwischen verraten – von meinem Vater, dass er im Krieg gefallen sei und so gerne Klavier gespielt habe. Auch sein Vater sei im Krieg gestorben, ,mort, im Krieg kaputt‘, verriet er mir. Dann zeichnete er meinen Vater am Klavier mit meinen Gesichtszügen, davor einen großgewachsenen Mann mit einer Trompete und beide spielten zusammen. Er malte ihnen Flügel, zwei Engel in verschiedenen Uniformen. In diesem Moment hatte ich das erste Mal das Gefühl, dass mein Vater noch da ist, da oben, unversehrt und nicht alleine. Die jahrelange Angst, die mich seit dem Tod meines Vaters begleitet hatte, fiel plötzlich von mir ab. Auch das mag vielleicht der Grund sein, warum ich mich heute noch so genau an diese Heimfahrt erinnern kann. Auch an den Moment an der Grenze, als der Franzose plötzlich ganz unruhig wurde und mich bat, mich schlafend zu stellen; an die drei Zollbeamten und die restlichen zehn Minuten vom Grenzort zum Zweibrücker Bahnhof, in denen alle Fahrgäste so gelöst wirkten.“

„Am Bahnhof angekommen, brachte er mich zunächst zu meiner Mutter, plauderte mir ihr, hielt aber schon Ausschau nach jemandem. Einem älteren Herrn, dem er schließlich das große Paket überreichte, auf dem ich die ganze Fahrt über gesessen hatte. Viele Geldscheine hat er dafür bekommen. Über das kleine Päckchen in meinem Koffer hat sich meine Mama übrigens sehr gefreut. Es war Kaffee, in der damaligen Zeit ein unerschwinglicher Luxus.“

In dem großen Paket hatte Robert Kaffee über die Grenze geschmuggelt, so Topol: „Mit meiner Hilfe. Ein Riesencoup, fanden wir damals und bewunderten ihn für seinen Mut. Später habe ich immer mal wieder versucht, ihn wiederzufinden, leider vergeblich.“

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