Als beim Bauen hochwertige kunstvolle Architektur wichtiger als die Rendite war Buch würdigt zackige Moderne in Zweibrücken

Zweibrücken · Vor einem Jahrhundert herrschte Aufbruchstimmung in Zweibrücken. Trotz wirtschaftlicher Probleme wurde selbst bei Zweckbauten auf hochwertige Architektur Wert gelegt. Höhepunkt: eine Wohnanlage wie ein Schloss. Den „Expressionismus in Zweibrücken und Umgebung“ würdigt ein neuer Bildband von Hanne Stauch und Roswitha Chéret, auf Basis eines Vortrags von Fritz Stauch.

 Roswitha Chéret (links) und Hanne Stauch mit ihrem neuen Buch vor der expressionistischen Wohnanlage am Zweibrücker Mannlichplatz.

Roswitha Chéret (links) und Hanne Stauch mit ihrem neuen Buch vor der expressionistischen Wohnanlage am Zweibrücker Mannlichplatz.

Foto: Klaus Friedrich

Die Jahre nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg waren in Deutschland geprägt von radikalen Umbrüchen, die sich in Form des auf unmittelbare Wirkung angelegten „Expressionismus“ nicht zuletzt in Kunst und Architektur niederschlugen. Schon zuvor hatte sich diese kraftvoll-markante und abstrakt aufgeladene Stilrichtung etabliert, nun aber fand sie – als Ausdruck einer bewusst mit dem Alten brechenden Zeit – selbst abseits der Metropolen ihre weiteste Verbreitung im „Neuen Bauen“. Gefördert durch den Umstand, dass in der Weimarer Republik der Wohnungsbau in kommunaler Verantwortung begann, entstanden so auch in Zweibrücken und Umgebung in jeder Hinsicht mustergültige moderne Wohnanlagen und Siedlungen sowie beachtenswerte Einzelhäuser.

Einen Eindruck von diesem entdeckenswerten, aber erstaunlicherweise noch nicht gebührend gewürdigten Erbe und seinem historischen Kontext vermittelt das von der Hanne-und-Fritz-Stauch-Stiftung herausgegebene Buch „Expressionismus in Zweibrücken und Umgebung“.

Auf einen 2007 von Fritz Stauch gehaltenen Impulsvortrag zurückgehend und umfassend ergänzt durch weitere Beiträge von Roswitha Chéret, der Zweibrücker Ortskuratorin der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, entfaltet sich darin eine spannende Zeitreise, die zugleich zu einer ungewöhnlichen Spurensuche einlädt. Dies ganz im Sinne des leidenschaftlichen Architekturexperten, Kommunalpolitikers und 2018 verstorbenen Heimathistorikers Fritz Stauch, dessen Person und Wirken seine Frau Hanne in ihrem Begleitwort einführend würdigt. „Dieses Buch“, so ihr Wunsch, „möge auf die verborgenen Schätze unserer Stadt und der Region aufmerksam machen“. Auf den 92 Fotos sind neben Gebäuden aus Zweibrücken auch Motive aus der übrigen Westpfalz und dem Saarland.

Einem bislang noch zu wenig beachteten Schatz – der 1924 im expressionistischen Stil erbauten, von Gustl Groß gestalteten Wohnanlage zwischen Mannlichplatz und Ludwig-Hautt-Straße in Zweibrücken – gilt die besondere Aufmerksamkeit Roswitha Chérets und Hanne Stauchs. Immerhin handelt es sich hierbei ihrer Meinung nach um die neben der Herzogvorstadt bemerkenswerteste Platzanlage der Stadt und zugleich um ein in vielerlei Hinsicht beispielhaftes architektonisches Gesamtkunstwerk.

In einem Vor-Ort-Gespräch mit dem Merkur wissen beide hierzu allerlei Interessantes zu berichten – und lassen dabei mit viel Sachkenntnis und Begeisterung die im Buch versammelten Bilder und Texte unmittelbar lebendig werden. So nennt Roswitha Chéret dieses ausgedehnte Ensemble eine „schlossähnliche Anlage“, die allerlei verblüffende Eigenheiten offenbart – wie etwa die Terrassenlage mit den Blickachsen in die gegenüberliegende Landschaft, die beeindruckende Gesamtwirkung oder die zahlreichen, gerade bei näherer Betrachtung umso faszinierenderen Details. Da wären etwa, wie Chéret hervorhebt, das immer wiederkehrende Zusammenspiel aus Dreieck, Stern und Kristall, das übrigens dafür sorgte, dass der Expressionismus mitunter als „Dreiecksmoderne“ und „Zackenstil“ bezeichnet wurde.

Bei all dem spiegeln sich in Anlagen wie diesen stets der damalige Zeitgeist und die Sehnsucht nach einer besseren Welt wider. „Bei Bauvorhaben wie jenen rund um Mannlichplatz und Sundahlstraße oder die Fischerstraße in Kaiserslautern“, erläutert Chéret, „kamen der große Wunsch vieler Menschen nach Wohnraum und besseren Lebensverhältnissen und der Wille des Staates, beides zu schaffen, in idealer Weise zusammen. Wohnungen wie in diesem neuen Gebäudekomplex waren zuvor für viele Menschen schlichtweg unerreichbar.“

„Die Bautätigkeit in den 20er Jahren war sehr rasant, vielseitig, aufwendig und originell!“, unterstrich bereits Fritz Stauch in seinem dem Buch zugrunde liegenden Vortrag. Chéret ergänzt: „Wenn man auch stilistisch mit der Vorkriegszeit brechen und die neue Zeit konsequent durch einen neuen Baustil betonen wollte, legte man selbst bei zweckmäßigen Gebäuden großen Wert auf hochwertige Architektur.“

Als Ergebnis entstanden solche Juwelen wie die Anlage am Mannlichplatz, wobei jenes „Juwel“ durchaus auch formal akzentuiert wurde: So verweisen Hanne Stauch und Roswitha Chéret auf überall zu entdeckende kristalline Strukturen, die mit ihren Zacken und Brechungen an Diamanten erinnern – und zugleich die elektrisierenden Utopien der nach vorne drängenden Zwanzigerjahre symbolisieren. Ein weiteres auffallendes Schmuckmotiv ist daneben der Stern, der sich von der Pflasterung über die Fassaden bis hin zu Tür- und Fensterdetails überall finden lässt.

Bei all dem muss man sich die Zeitumstände jener Jahre nach dem Ersten Weltkrieg vor Augen halten, die gerade für die Westpfalz eine tiefe Zäsur bedeuteten. So hatte das zuvor florierende Zweibrücken in Folge des umstrittenen Friedensvertrages von Versailles beträchtliche Teile seines Umlandes an das neu gegründete Saargebiet verloren, war zudem als Grenzstadt in eine ungewohnte Randlage geraten und hatte neben anderen Problemen mit wachsender Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot und Inflation zu kämpfen. Umso anerkennenswerter ist es, dass trotz all dieser Schwierigkeiten – belegt durch im Buch herangezogene Stadtratsprotokolle – jene anspruchsvollen Bauten entstanden, die zwar einer grundlegenden, gemeinsamen Stilrichtung folgten, dabei aber jeweils Solitäre mit ganz eigenem Charakter waren.

Schon daher wünschen sich Roswitha Chéret und Hanne Stauch, dass dieses Buch – gerade im Vorfeld des 2024 anstehenden 100. Jubiläums des Mannlichplatz-Ensembles – zu weiteren Recherchen und Erkenntnissen anregt. Darüber hinaus verdient ihrer Ansicht nach der damalige Ansatz, sogar unter finanziell schwierigen Umständen bezahlbaren und zugleich ästhetisch ansprechenden, das Stadtbild bereichernden Wohnraum zu schaffen, ebenso Beachtung wie die seinerzeit dadurch entstandenen, noch immer vorbildlichen Bauten.

Das reich bebilderte Buch „Expressionismus in Zweibrücken und Umgebung“ (Eigenverlag) ist zum Preis von 24,90 Euro erhältlich in der Thalia-Buchhandlung in der Zweibrücker Fußgängerzone (Hauptstraße 62-64) oder direkt über die Hanne-und-Fritz-Stauch-Stiftung, Telefon (0 63 32) 32 78.

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