„Es ist wie nach einem Bombeneinschlag“

Zweibrücken · So viele leere Parkplätze vorm Evangelischen Krankenhaus. Man kann sie am Freitagvormittag als untrügliches Zeichen dafür werten, dass diese Zweibrücker Institution gerade ihren letzten Lebensatem aushaucht. Der allerletzte Patient ist bereits entlassen worden. Nur noch ein Bruchteil der einst rund 400 Mitarbeiter hält sich noch im Gebäude auf, ist mit aufräumen oder archivieren von Patientenakten beschäftigt. Wer von den 100 Mitarbeitern und Azubis nicht vom Nardini-Klinikum übernommen wird, packt zumeist seine persönlichen Sachen zusammen oder bereitet sich auf die Abschiedsfeier der Mitarbeitervertretung am späten Nachmittag vor.

 Am Freitagmittag war bereits die lila Leuchtschrift „Evangelisches Krankenhaus Zweibrücken“ über dem Eingang abmontiert. Fotos: Marco Wille

Am Freitagmittag war bereits die lila Leuchtschrift „Evangelisches Krankenhaus Zweibrücken“ über dem Eingang abmontiert. Fotos: Marco Wille

Ein Pkw-Stellplatz ist genau dort frei, wo der damalige LVIM-Chef Rainer Wettreck am 12. Juni 2013 das Baustellenschild für ein neues Altenhilfezentrum Himmelsberg enthüllt hatte. Vom Entstehen der "Zweibrücker Gesundheitsmeile" war damals die Rede. Heute ist das Gelände überwuchert, wo das frühere Evangelische Krankenhaus stand.

Auch der 1978 eingeweihte Neubau gegenüber gibt kein einladendes Bild mehr ab. Das Leucht-Namensschild über dem Eingang ist abmontiert, es klafft ein weißes Loch. Im Blumenbeet vorm Eingang sind die Spuren des gescheiterten Kampfes der Klinik-Mitarbeiter für den Erhalt "ihres" Evangelischen zu sehen. Zwei herzförmige Schilder mit der Aufschrift "Herzenssache EVK" sind umgekippt und verbogen. Verwaschen auch die weiß-lila-Herzchen, mit denen hoffnungsfrohe Angestellte vor Monaten ein Zeichen gesetzt hatten. Am Eingang erklärt ein weißer DinA4-Zettel kurz und knapp, dass das Krankenhaus am 30. September schließt. Bei medizinischen Fragen könne man sich ans Medizinische Versorgungszentrum (MVZ) im Haus wenden, zur stationären Behandlung in Zweibrücken ans Nardini-Klinikum. Ein Schriftzug, so lieblos, nüchtern und knapp wie die Abwicklung des Evangelischen Krankenhauses insgesamt.

Je höher man im sechsstöckigen Gebäude kommt, desto leerer wird es: Man läuft durch (teilweise dunkele) Patientenzimmer in der Geburtshilfe ohne Betten, Computer sind abgebaut, Wasserspender stehen mitten im Raum neben Sesseln, Stühlen und leeren Regalen, der Schriftzug "Kreißsaal" ist kaum noch zu entziffern. Die Atmosphäre im Gebäude , dort wo 2004 noch 20 000 Patienten (stationär und ambulant) behandelt wurden, wo bis zum 15. Juli Kinder das Licht der Welt erblickten, ist drückend. Nur vereinzelt sind Leute auf den Fluren kurz zu sehen, meist nur flüchtig. Manche verabschieden sich emotional mit innigen Umarmungen. Kurze Dialoge triefen vor Sarkasmus. Dr. Franz Walter , Chef der Radiologischen Praxis am Himmelsberg im ersten Stock, beschreibt die Stimmung so: "Es ist wie nach einem Bombeneinschlag. Die Leute laufen verwirrt herum, orientierungslos. Manche weinen." Mangelnde Wertschätzung nennt er als Schlüssel, "um jemanden psychisch zu zerstören". Die Krankenhausmitarbeiter können ein Lied davon singen.

Gerade schiebt Pflegedirektor Peter Blietschau einen Rollwagen mit Blumensträußen am Eingang von Walters Praxis vorbei. Kurz darauf kommen ASB-Mitarbeiter mit einem älteren Herrn aus dem Fahrstuhl. Die Rettungskräfte fahren die Klinik weiter an. Im 2. Stock röhrt eine Bohrmaschine, offenbar werden außen am Gebäude weitere Schilder abmontiert. Am Ende des Flurs im 3. Stock steigt ein kleiner Umtrunk. Die Abteilung bildet ab 1. Oktober eine Nardini-Zweigstelle. Eine Mitarbeiterin sagt, dass die Zahl derjenigen "überschaubar" sei, die nicht wechseln wollten. Dann wendet sie sich ab. Man will verständlicherweise unter sich sein.

Wie am späten Nachmittag beim Fest, das auch dank einer Liveband keine "Trauerfeier" werden sollte, so Thomas Stauder von der Mitarbeitervertretung . Er räumt im 5. Stock gerade sein Arbeitszimmer aus. Einige Zimmerpflanzen muss er noch abtransportieren. Sie werden ab nächster Woche im Haus Bickenalb stehen, denn Stauder ist dort wie weitere vier Krankenhausangestellte (darunter drei Pfleger) bei Kinderpflegedienst.com angestellt. Am Vormittag hätten die Mitarbeiter via Rundmail ein Abschiedsschreiben vom LVIM erhalten. Kaum mehr als ein schlecht klebendes Trostpflästerchen. Mitarbeiter konnten bei einer Art Flohmarkt am Morgen Krankenhausinterieur erwerben - wem 50 Euro für einen alten Bürostuhl nicht zu viel waren. Stauder ist auch enttäuscht, dass an einem via Internet organisierten Schweigemarsch am Donnerstag vom Rathaus zum Krankenhaus nur rund 20 Leute teilgenommen hätten. "Das Interesse am Krankenhaus ist schon erloschen", so sein Fazit Das sei so traurig wie der ganze Freitag.

Doch eine Erinnerung an bessere Zeiten hat sich Stauder für seine Nach-LVIM-Zeit gesichert. Ein gemaltes Bild, die Vorderansicht des Krankenhauses, erstellt 2004 von einer Auszubildenden mit einer körperlichen Beeinträchtigung. "Das hing vorher beim Verwaltungsdirektor im Büro", so Stauder und strahlt. Ein seltener Moment der Freude an diesem Tag.

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