Er, der das Volk sein will

Washington · Morgen wird Donald Trump in sein Präsidentenamt eingeführt – Anlass genug, in einer Reihe älterer Spionageromane nach Bezügen zur aktuellen amerikanischen Politik zu suchen. Ob die (mögliche) Manipulation des US-Wahlkampfes durch Russland oder Selbstmordanschläge von Terroristen in den USA: Vieles ist in ihnen vorgezeichnet.

Der Kalte Krieg war geprägt von dem Wahn, hinter jeder (noch so einfachen) Tatsache Anderes zu vermuten, nämlich eine böse Absicht. Deshalb überrascht es in der Rückschau nicht, dass diese Zeit der Verschwörungstheorien vor allem in Polit-Thrillern ihren überzeugend sten Niederschlag fand. Also in Romanen, die davon lebten, den Feind im gegnerischen System auszumachen.

Aufgeklärter wurden die Bücher dadurch, dass man mit den Jahren auch gegenüber der eigenen Regierung Misstrauen hegte. Irgendwann schien dann alles möglich. Das sichere Urteil ging verloren. Man wusste nicht mehr, wer hinter dem Attentat auf John F. Kennedy steckte oder was von Kim Philbys Flucht in die Sowjetunion zu halten war. Man lebte weder prä- noch post-faktisch, vielmehr waren Tatsachen schon damals ein Problem. In einer Zeit, an deren (prophetische?) Verrücktheiten nun vor Trumps Amtsantritt zu erinnern ist.

1980 erschien ein Spionageroman, dessen Titel auf einen bestimmten Tag anspielte: "The Twentieth Day of January" meinte den Tag der Präsidentschaftsübergabe in den USA. Geschrieben hat ihn der Brite Ted Allbeury, der von 1917 bis 2005 lebte und binnen 20 Jahren 40 Romane veröffentlichte. Einige sind erinnerungswürdig. Beispielsweise das Buch "Die Saat der Angst", das von westlichen und östlichen Geheimdienst-Nachforschungen über ein Atomunglück im Ural berichtet - ein Unglück, das sich tatsächlich 1957 in Majak ereignete und das lange verschwiegen wurde. Oder der Philby-Roman "Die andere Seite des Schweigens", wahrscheinlich Allbeurys Meisterstück, sowie eine Publikation, deren Eindeutschung "Jeder Spion hat seinen Preis" nicht die Anspielung des Originals wiedergeben kann: "Pay any Price". So lautete das Versprechen von John F. Kennedy 1961 in seiner Rede zum Amtsantritt: Man werde, um die Freiheit zu verteidigen, jeden Preis bezahlen. Erzählt wird darin von einem geheimen Projekt, in dem Attentäter hypnotisiert und programmiert werden, um Feinde zu töten. Feinde waren plötzlich auch John F. Kennedy, Robert F. Kennedy und andere mehr. Mögen bereits diese Spekulationen von Allbeury, auf den seinerzeit Jörg Fauser öfters hinwies, beunruhigen, so sind zwei weitere Gedankenspiele noch rätselhafter, besonders wenn man die jüngsten Entwicklungen betrachtet. In "Phantomhirn für den Präsidenten" schildert Allbeury ein KGB-Unternehmen und dessen Plan, ein sowjetisches Pendant zum US-Präsidenten zu schaffen. Damit man die Reaktionen der Washingtoner Gegenseite besser abschätzen kann.

Diese Spekulation wird in "The Twentieth Day of January" (deutsch "In der Hand des Kremls") noch gesteigert. Die Sowjetunion schaltet sich in den Wahlkampf ein, nicht digital, sondern finanziell, um einem eigenen Agenten zum Sieg zu verhelfen. Als der Roman später in den USA eine Neuauflage erlebte, erschien er unter anderem Titel. Er hieß "Cold Tactics", bezeichnenderweise nicht "Cold War Tactics". Was heute zählt (in der Ersten, nicht der Dritten Welt), wird mittels weltweiter Datenleitungen transportiert.

"Fake news" anno 1979

Obwohl ihn der Altmeister Eric Ambler lobte, blieb Charles McCarry bis heute weitgehend unbekannt. Er wurde 1930 geboren, war Journalist, Redenschreiber für Eisenhower und soll in Europa für die CIA tätig gewesen sein. Hauptheld seiner Romane ist Paul Christopher, der eine deutsche Mutter hat und vor seiner Agententätigkeit Gedichte schrieb. Jedes Buch von McCarry ist lesenswert, besonders aber der einzigartige Polit-Thriller "Die besseren Engel", der im Original 1979 erschien und von einer Präsidentschaftskampagne 1992 erzählt.

Er war also ein Zukunftsroman, der später, nach 9/11, als Prophetie galt und wiederveröffentlicht wurde. Diese Kennzeichnung wäre derzeit erneut angebracht. In McCarrys Buch unterstützen Verwandte Christophers den amtierenden US-Präsidenten, der bei seiner Wiederwahl-Kandidatur fortschrittlich und umweltbewusst auftritt (nach 18 Uhr darf etwa kein Wasser mehr erhitzt werden, morgens stapelt sich der Abwasch im Spülbecken). Bedauerlichweise gab er einst einen Tötungsbefehl an die CIA-Nachfolgebehörde, um zu verhindern, dass Nuklearwaffen an Palästineser geliefert werden. Nach der Aufdeckung des Mordes verüben Terroristen Selbstmordanschläge in den USA.

Es ist noch immer beeindruckend, wie McCarry schon 1979 eine Gesellschaft beschrieb, die von Medien, Terror und "fake news" gelenkt wird. Um dem scheinbar guten Präsidenten wieder ins Amt zu helfen und seinen tatsächlich bösen Herausforderer (einen Trump-Vorläufer) zu verhindern, manipulieren die Brüder Hubbard, Christophers Vettern, per Computer die Stimmenauszählung. Sie leiten die Ergebnisse aus Kalifornien, New York und Michigan um. Damit die "besseren Engel" an der Macht bleiben.

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