Eine Million Mehrkosten – Risse in Wohnhaus nach ersten Bauarbeiten – Stadtrat rüffelt Zweibrücker OB Wosnitza Nicht nur Kosten-Drama um Schwarzbach-Wand

Zweibrücken · Der Neubau der einsturzgefährdeten Spundwand in der Zweibrücker Schillerstraße wird eine Million Euro teurer. Denn nachdem sich in einem Wohnhaus nach Rammarbeiten Risse bildeten, wird das Bauverfahren geändert. Das ist bereits die zweite Kosten-Verdopplung bei diesem Projekt. Empörung herrschte im Stadtrat über Oberbürgermeister Wosnitza, weil er die Volks­vertreter erst fünf Monate verspätet beteiligte.

 Die alte große Spundwand am Schwarzbach wurde mit Verankerungen und einer kleinen Behelfsspundwand (unten) gesichert, um die Gebäude nicht durch einen sonst akut drohenden Einsturz der alten Spundwand zu gefährden.

Die alte große Spundwand am Schwarzbach wurde mit Verankerungen und einer kleinen Behelfsspundwand (unten) gesichert, um die Gebäude nicht durch einen sonst akut drohenden Einsturz der alten Spundwand zu gefährden.

Foto: Lutz Fröhlich

Nach dem ersten Versuch, eine neue Hangsicherung am Schwarzbach-Ufer in der Schillerstraße zu bauen, gehen nicht nur Risse durch ein Wohn- und Geschäftshaus – es hat sich auch ein Riss zwischen dem Zweibrücker Stadtrat und Oberbürgermeister Marold Wosnitza (SPD) aufgetan.

Was ist passiert? Zunächst zum Drama am Schwarzbach. Dort muss auf 55 Metern Länge (bei Hausnummern 1-5) die Spundwand erneuert werden. Die nämlich ist einsturzgefährdet, ergab schon im Sommer 2016 ein Gutachten. Sodass die Stadt zum Start der Bauarbeiten Anfang Mai 2021 mitteilte, nicht nur das Bauamt sei froh, dass es nach der langwierigen Planungsphase nun endlich losgehe: „Auch die Anwohner sind erleichtert.“ Denn durch die unsichere Spundwand „besteht Gefahr für die betreffenden Gebäude in der Schillerstraße und auch für ihre Bewohner*innen“.

Wenige Wochen darauf jedoch wich die Erleichterung noch viel größer gewordenen Sorgen. „Die Situation hat sich signifikant verschärft“, verriet OB Wosnitza nun am Mittwochabend im Stadtrat und direkt davor in einer Pressekonferenz: „Das komplette Verfahren für das Anlegen der neuen Spundwand muss geändert werden.“ Folge: „Die Kosten schießen durch die Decke.“ In einer Stadt, die in einer Sparkommission jeden Euro umdrehe, sei fast eine Million Mehrkosten „ein absolutes Desaster“.

Denn bei den Bauarbeiten gab es erst ein großes und dann ein sehr großes Problem. Gleich zu Beginn die erste Überraschung: Die neue Spundwand kann nicht wie geplant vor der alten in den Boden gerammt werden. Denn ein Bagger stieß am Fuß der alten Wand auf größere Mengen „nicht rammfähiges“ Stein- Schutt- und Betonmaterial, überwiegend von den Aufräumarbeiten nach der Bombardierung Zweibrückens 1945, vermutet Stephan Bauer von der Firma „CP Beratende Ingenieure“. Deshalb entschieden CP und Bauamt, zunächst eine kleine Behelfsspundwand zwei Meter vor der alten Wand zu errichten, um dazwischen den Boden durch rammfähiges Material austauschen zu können. Die Behelfswand wurde ab 7. Juni eingerammt. Doch am 11. Juni meldete die Baufirma dem Bauamt fünf Risse auf zwei Grundstücken in der Schillerstraße: Auf einem gingen Risse durch eine Mauer vor der Garage sowie eine gepflasterte Pkw-Stellplatzfläche, auf einem sogar durch Innenwände in zwei Erdgeschosswohnungen. Die Bauarbeiten wurden noch am selben Tag gestoppt.

Weil schon nach den Hochvibrationsrammarbeiten für die (nur 30 Zentimeter über die Wasseroberfläche ragende) Behelfswand Risse entstanden, wurde bei Besprechungen von Bauamt und CP am 16. Juni und 1. Juli entschieden, dass zum Schutz der Gebäude die neue Spundwand anders als mit Rammarbeiten eingebaut werden muss: Sonst drohten mit großer Wahrscheinlichkeit weitere Beschädigungen. Allerdings seien die Bauarbeiten zwar Auslöser, aber nicht Ursache der Rissbildungen, betonte Bauamtsleiter Christian Michels die Überzeugung der Stadt. Bauer: „Unsere Messergebnisse zeigen, dass wir bei nur einem Zehntel der Vibrationen waren, die nach Norm zulässig sind.“ Es habe bei den Gebäuden Vorschäden gegeben.

Um auf Rammarbeiten verzichten zu können, will man nun unter dem Schwarzbach einen Betonboden einbauen (das 40 bis 60 Zentimeter hohe Erdmaterial aus dem Schwarzbach-Bachbett wird zuvor abgetragen, andernorts im Bach zwischengelagert und danach wieder eingebracht). Auf dem Beton wird die neue Spundwand verankert. Die Betonplatte dürfe nicht direkt aufs Bachbett, weil durch eine solche Verengung mehr Hochwasser drohte, erklärte Michels.

Vor allem durch dieses aufwändige Verfahren steigen die Baukosten von rund 712 000 Euro um 139 Prozent auf 1,7 Millionen Euro. Einschließlich Honorarleistungen rechnet die Stadt mit 1,8 Millionen Euro. Die Stadt trägt die Kosten allein.

Wobei die Summe durchaus noch steigen kann, bestätigte Bauer auf Nachfragen von FWG und SPD – denn die Arbeiten, die eigentlich Ende August hätten beendet sein sollen, werden nun im Winterhalbjahr fortgesetzt. Zwar wäre Frost kein Problem, aber viel Regen: Ab 50 Zentimeter über Normalpegel müsse die Baustelle ruhen, so Bauer.

Ein Blick in den Merkur auf den Tag genau vor einem Jahr zeigt nicht nur, dass es damals schon Unmut im Rat gab, weil der nach Ausschreibung vergebene Auftrag doppelt so teuer war wie zuvor die Kosten-Schätzung – sondern auch, wie groß die Stadt das Wetter-Risiko einschätzt: Damals beschloss man, die Spundwandarbeiten erst im Frühjahr zu beginnen, weil vorher der Wasserstand zu hoch sei.

Der Unterschied zu damals: Diesmal ist fraglich, ob man fürs Frühjahr eine Baufirma findet. Denn viele auf Wasserarbeiten spezialisierte Firmen sind wohl noch längere Zeit im Ahrtal ausgebucht. Hinzu kämen zusätzliche Kosten für Abbau und Neueinrichtung der Baustelle. Deshalb nahm der Rat von spontanen Überlegungen, die Entscheidung zu vertagen, schnell Abstand. Und stimmte der Auftragserhöhung schweren Herzens mit überwältigender Mehrheit zu (bei drei Gegenstimmen der FWG und einer Enthaltung), zumal es keine Zweifel an der neuen technischen Lösung gab – und vor allem der Rat den besorgten Hausbewohnern keine weiteren Verzögerungen zumuten will. Berni Düker (SPD) erinnerte zudem daran, dass die neue Spundwand auch dem Hochwasserschutz der Innenstadt diene – das sei gerade im niederschlagsreichen Winter wichtig.

Allerdings herrschte im Rat nicht nur massiver Unmut über die Kosten-Explosion – sondern auch wegen des Umgangs von Baudezernent & Oberbürgermeister Wosnitza damit. Der nämlich hatte das Thema kurzfristig auf die schon gedruckte Tagesordnung gesetzt und den Verwaltungsvorschlag erst während der Sitzung verteilen lassen – obwohl ihm das sehr große Problem bereits seit fünf Monaten bekannt war und einige der nun vom Stadtrat vergebenen Arbeiten schon ausgeführt sind. Die Empörung im Rat erreichte einen jahrelang nicht mehr erlebten Pegelstand. Selbst bei Wosnitzas Parteifreunden war die Empörung groß. So sagte SPD-Fraktionschef Stéphane Moulin: „Wir bekommen hier Unterlagen ad hoc vorgelegt, ohne Möglichkeit der Prüfung und Rücksprache. Damit wird ein enormer Druck auf uns ausgebaut. Wir halten das für eine Zumutung!“ Angesichts des monatelangen Vorlaufs wäre genug Zeit gewesen, den Rat früher einzubinden. Moulin verband die Zustimmung der SPD zur Auftragserhöhung mit der Forderung: „Wir verlangen eine regelmäßige Information über den Fortgang in den anstehenden Sitzungen.“ CDU, Grüne und Bürgernah schlossen sich Moulin mit ebenfalls deutlichen Worten an, auch AfD und FWG stellten kritische Fragen. FDP-Fraktionschefin Ingrid Kaiser erinnerte zudem fassungslos daran, dass die FDP in den vergangenen Monaten mehrfach die Einberufung des Bauausschusses gefordert habe – was Wosnitza abgelehnt habe, weil nichts Dringendes anstehe.

Wosnitza sagte dem Stadtrat: „Ich sehe ein: Ich hätte Sie früher einbinden und informieren müssen.“

Von der Presse wie im Rat gab es eine Flut kritischer Fragen. Die wichtigsten weiteren Antworten: Gegenfinanziert werden die 950 000 Euro Bau-Mehrkosten durch im aktuellen Haushaltsjahr noch nicht benötigtes Geld für das geplante Neubaugebiet „Wohnen am Kirchberg“. Vor den Arbeiten wurden (obwohl bekannt ist, dass die Innenstadt nach der fast totalen Zerstörung auf Kriegsschutt wiederaufgebaut wurde) – nur drei Probebohrungen durchgeführt – bedauerlicherweise zufällig an Stellen ohne Rammhindernisse. Zur Dringlichkeit: Durch provisorische Verankerungen sei die alte Spundwand heute sicherer als vor Beginn der Arbeiten. Aber auszuschließen seien weitere Gebäude-Schäden nicht, allerdings wohl weniger wegen der Spundwand, sondern wegen Vorschäden an dem besonders betroffenen Haus, so Bauer. Die Risse würden aber ständig beobachte, sodass man „die Leute gegebenenfalls herausholen“ könne. „Das Haus ist aktuell noch bewohnbar. Aber das Rissbild hat sich vergrößert.“

Wer zahlt für die Gebäude-Schäden? Die Stadt verweist auf Vorschäden als Ursache und sieht sich deshalb nicht in der Pflicht. Letztlich klärten dies aber wohl die Versicherungen untereinander – und wenn diese uneins sind, ein Gericht.

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