Eine ungewöhnliche Solidarität

Es regnet immer noch in Rio. Seit dem besagten historischen Dienstag hat es sich eingeregnet.

 Südamerikanische Solidarität: Eduardo (links), eigentlich Brasilianer, verbrüdert sich mit Julio und dessen Vater aus Argentinien. Foto: Gab

Südamerikanische Solidarität: Eduardo (links), eigentlich Brasilianer, verbrüdert sich mit Julio und dessen Vater aus Argentinien. Foto: Gab

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Die Sonne hat sich verkrochen. Das ist vielleicht auch ganz gut so, denn Regen bedeutet in einer Stadt am Meer, in der es um Sehen und Gesehen werden, um Körperkult und um Feierlaune unter freiem Himmel geht, sich etwas zurückziehen zu können, vielleicht einen kleinen Schnupfen zu kriegen und sich genau zu überlegen, ob man unbedingt vor die Tür muss. Regen bedeutet, einen guten Grund zu haben, ein paar Termine abzusagen und es der Sonne gleich zu tun. Sich ein bisschen zu verkriechen.

Schafft man es dann aber doch vor die Tür, ist und bleibt das Thema fast überall das gleiche. In einer Stadt wie Rio, in der es meiner Schätzung nach mehr öffentliche Fernseher als öffentliche Toiletten gibt, kommt man schwer daran vorbei - an der immer noch allgegenwärtigen medialen Aufbereitung der vergonha, der nationalen Schande.

Heute Morgen beim Brötchen holen grüße ich wie immer den älteren Mann, der mit zahnlosem Grinsen vor der Tür sitzt. Ich muss dort täglich ein paar Mal vorbei und wir wünschen uns immer einen schönen Tag. Ich glaube, er ist so eine Art Sicherheitsmann dort, liefert ab und an aber auch mal Ware an die Haustür der Kunden. Marcio heißt er, und das, was mir heute zuerst auffiel, war sein schwarz-rot gestreiftes Deutschland-Trikot. Ich bleibe für einen kleinen Plausch bei ihm stehen, und er erklärt mir, dass er nun für Deutschland sei, da die Spieler für ihn Helden sind. Ein Brasilianer läuft vorbei und bekommt ein paar unserer Gesprächsfetzen mit. "Was soll das", sagt er, "bist du in Deutschland geboren oder was?" "Nein, ich bin eingefleischter Carioca (so bezeichnen sich die in Rio Geborenen gerne selbst), aber wenn es um Fußball geht, dann bin ich für das bessere Team." Mir erklärt Marcio danach aber, dass er am Sonntag ganz klar auf der Seite Argentiniens stehen werde. Weil, wenn schon nicht Brasilien, dann wenigstens eine Mannschaft aus Südamerika den Pokal gewinnen soll. Das habe ich so auch schon von meinem Freund Eduardo gehört. "Argentinien ist das Südamerika des Finales", sagt er und präsentiert sich sogar im hellblau und weiß gestreiften Trikot - und das als Brasilianer. Mich überrascht dieses plötzliche Zusammengehörigkeitsgefühl der Nachbarländer sehr und sicher denken nicht alle Brasilianer so. Vielleicht hilft es aber ein wenig mit Blick auf mögliche Unruhen nach dem Spiel. Was außerdem helfen könnte, ist der Regen . Den wünschen sich die meisten hier für Sonntag. Denn bei Regen , und das hat schon Noahs brasilianische Uroma zu seinem Papa früher immer gesagt, gibt es nicht so viel Krawalle auf den Straßen.

Sabrina Gab, 35, geboren und aufgewachsen in Zweibrücken, reiste ein Jahr um die Welt, bevor sie Rio de Janeiro als neues Zuhause wählte. Dort lebt und arbeitet die ausgebildete Journalistin und Yogalehrerin seit zwei Jahren mit ihrem Partner und dem gemeinsamen Sohn Noah.

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