„Eine kulturelle Säuberung“ durch die Terrormiliz

Zweibrücken · Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zerstört einzigartige Kunstschätze. Große Stücke werden zertrümmert, kleinere abtransportiert und verkauft. Der IS nutzt organisierte Verbrechensnetzwerke, das Internet und Auktionshäuser, wie die US-Expertin Deborah Lehr erklärt. So habe der IS schon viele Millionen eingenommen, schätzt die Gründerin des Verbands Antiquities Coalition, der die internationale Gemeinschaft zum Handeln auffordert. Dpa-Mitarbeiterin Christina Horsten hat mit Lehr gesprochen.

Frau Lehr, wie groß ist das Ausmaß illegalen Handels mit antiken Kunstwerken, den der IS betreibt?

Lehr: Es gibt leider so gut wie keine Statistiken, denn es handelt sich um einen Schwarzmarkt und es ist sehr schwer zu unterscheiden, was legal und was illegal ist. Aber alleine der legale Handel mit Antiquitäten aus Ländern, in denen der IS aktiv ist, bringt Milliardensummen ein. Außerdem haben wir vor kurzem in Ägypten recherchiert und herausgefunden, dass seit der Revolution 2011 Stücke im Wert von drei Milliarden Dollar geplündert worden sind. Wenn man das vergleicht mit dem Irak und Syrien , wo es viel größere Zerstörungen und weit mehr Plünderungen gab, muss man glauben, dass die Zahlen dort noch viel höher sind.

Was verkauft der IS und aus welchen Ländern?

Lehr: Der IS benutzt Zerstörungen und Plünderungen als Mittel der Einschüchterung. Er geht gezielt gegen Kulturen vor, die ihrer Einschätzung nach ihrem Glauben widersprechen. Unseren Informationen vor Ort zufolge nehmen sie meist alles mit, was sich von diesen Kulturstätten wegschaffen lässt. Entweder plündern sie selbst oder rufen andere dazu auf. Größere Strukturen zerstören sie. Solche Plünderungen und Zerstörungen wurden schon aus Ägypten, dem Irak, Syrien , dem Jemen, Libyen, Mali und Tunesien gemeldet, es ist ein Problem in der gesamten Region. Uns besorgt nicht nur die Zerstörung der Kulturgüter, sondern auch der Aspekt der Einschüchterung, denn der ist ein Hinweis darauf, dass es hier um kulturelle Säuberung geht - und das wiederum ist ein Frühindikator für ethnische Säuberung.

Wie läuft der Handel ab?

Lehr: Der IS schafft die Stücke über ein Netzwerk aus den Ländern, unseren Erkenntnissen nach häufig über die Türkei oder den Libanon. Dann geht es über organisierte Verbrechensnetzwerke - die sind überall auf der Welt sehr hoch entwickelt und verkaufen alles mögliche. Wenn diese Kanäle erstmal etabliert sind, kann man darüber alles laufen lassen - Drogen, Waffen, Menschen oder eben Antiquitäten. Im Fall von Ägypten wurden kleinere Stücke über Ebay verkauft, größere über Auktionshäuser . Im Fall von Syrien gibt es einen großen Internetmarkt. Die einzelnen Stücke kosten bis zu einer Million Dollar.

Wer kauft solche Antiquitäten?

Lehr: Es gibt eine große Nachfrage in Europa, den Vereinigten Staaten, den Golf-Staaten, Japan und China.

Wie kann man dagegen tun?

Lehr: Wir brauchen gemeinsame Anstrengungen. Wir unterstützen, dass die Unesco die Vorgänge als Kriegsverbrechen einstuft und dass der Internationale Strafgerichtshof dagegen vorgeht. Der UN-Sicherheitsrat hat eine Resolution verabschiedet, die alle Länder auffordert, ihre Grenzen für syrische Antiquitäten zu schließen. Wir fordern, dass dieses Verbot auf alle betroffenen Länder der Region ausgeweitet wird. Außerdem organisieren wir mit der Unesco, der ägyptischen Regierung und dem Middle East Institute in Washington eine Notfall-Konferenz in Kairo: darüber, was die Region gemeinsam unternehmen kann.

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