Zweibrücker Drogenbanden-Prozess: Encrochat Thema Verteidiger nehmen BKA-Beamte in die Mangel

Zweibrücken · Vor dem Landgericht wurden die Prozesse gegen sechs mutmaßliche Drogenhändler fortgesetzt.

 Durch Serverdaten, die französische Forensiker geknackt hatten, sind die deutschen Behörden den mutmaßlichen Dealern auf die Spur gekommen.

Durch Serverdaten, die französische Forensiker geknackt hatten, sind die deutschen Behörden den mutmaßlichen Dealern auf die Spur gekommen.

Foto: dpa/Silas Stein

Das Verfahren stützt sich auf rechtlich fragwürdige Ermittlungen. Darin sind sich zumindest die Verteidiger der neun Angeklagten einig, die sich seit Mitte April wegen bandenmäßigen Drogenhandels vor der Ersten Großen Strafkammer des Landgerichts Zweibrücken in gleich drei parallel laufenden Prozessen verantworten müssen. Und so legten die Rechtsanwälte auch in dieser Woche Widerspruch gegen die Verwertung der Erkenntnisse ein, die aus der Auswertung der von französischen Forensikern entschlüsselten Daten eines gehackten Kurznachrichten-Servers gewonnen wurden. Die gefundenen Chats und Bilder hatten die Ermittler Anfang 2020 auf die Spur von tausenden Kriminellen gebracht – darunter die neun in Zweibrücken Angeklagten.

Staatsanwältin Karin Ephan und Staatsanwalt Christian Horras hatten den vor allem in Kaiserslautern lebenden 23- bis 35-jährigen Männern zu Prozessbeginn vorgeworfen, sich Mitte 2018 zusammengeschlossen und bis November 2020 gewerbsmäßig als Mitglieder einer Bande in über 100 Fällen jeweils im zweistelligen Kilogramm-Bereich mit Betäubungsmitteln gehandelt und Drogen im Wert von mehreren Millionen Euro umgeschlagen zu haben. Dabei sollen sie äußerst konspirativ vorgegangen sein. Die Ermittler hatten unter anderem präparierte Mobiltelefone, sogenannte Krypto-Handys, der in Europa ansässigen Softwarefirma Encrochat gefunden, die Kommunikationsnetzwerke mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung anbot. Den französischen Behörden war es schließlich gelungen, mit Hilfe eines Trojaners (ein Computerprogramm, das im Hintergrund und ohne Wissen des Anwenders eine Daten ausspähende Funktion erfüllt – Anm. d. Red.) in das Encrochat-Netzwerk einzudringen. Spezialisten der Gendarmerie konnten die bis dahin als abhörsicher geltenden Nachrichten auf den Krypto-Handys über Monate hinweg mitlesen. Sie stellten die so gewonnenen, Deutschland betreffenden Chatverläufe Anfang April 2020 über das Europäische Polizeiamt (Europol) dem Bundeskriminalamt (BKA) zur Verfügung. Eine Vorgehensweise, die in dieser Woche gleich mehrere BKA-Beamte in zwei der insgesamt drei parallel laufenden Prozesse bestätigten.

„Wir wussten aus Erfahrung, dass die Nutzer solcher Encrochat-Handys aus dem Bereich Organisierte Kriminalität, vor allem aus dem Drogenhändler-Milieu kommen. Wir haben davon einen Tatverdacht abgeleitet“, sagte ein Kriminalhauptkommissar, der nach eigenen Angaben beim BKA für die Verteilung der Beweis-Daten an die jeweiligen Staatsanwaltschaften der betreffenden Bundesländer zuständig war. „Der Umfang (der Daten) hat uns überrascht“, fügte der BKA-Beamte hinzu. Sein Kollege ergänzte: „Frankreich hat uns alle Daten übermittelt, die Deutschland zugeordnet werden konnten.“ Demnach seien hierzulande etwa 4600 Krypto-Handys genutzt worden. Weltweit soll das 2014 in den Niederlanden gegründete Software-Unternehmen Encrochat 60 000 Kunden gehabt haben. Eine staatsanwaltliche Erhebung habe ergeben, dass diese, vom Anbieter als abhörsicher angepriesenen Encrochat-Handys zu 80 Prozent in Verfahren auf dem Ermittlungsfeld Drogenhandel eine Rolle gespielt hätten, gab der Beamte zu Protokoll. Im Lichte der Ermittlungen hat Encrochat zwar seinen Dienst eingestellt. Doch die Daten, die in Europa zu Festnahmen von 1800 Personen führten, lösten eine Prozesswelle aus, die bis nach Zweibrücken schwappte.

In ihren Nachfragen nahmen die Verteidiger die BKA-Beamten hinsichtlich der Rechtmäßigkeit ihres Tuns in die Mangel. Einer der Rechtsanwälte monierte, dass unterschiedslos alle Krypto-Handy-Nutzer ausgespäht worden seien – ohne zwischen Gut und Böse, zwischen unbescholten und kriminell zu unterscheiden. Ein anderer Verteidiger kritisierte den Einsatz des Trojaners, der von den Franzosen zum Infiltrieren des Netzwerks eingesetzt worden war. Was nach deutschem Recht ein Unding sei. Die Anwälte forderten deshalb ein Verwertungsverbot für alle Beweise, die durch die von den Franzosen verwendeten Spionagesoftware erlangt wurden. Und überhaupt, so die Anwälte, könne es nicht sein, dass hierzulande geltende rechtsstaatliche Grundsätze bei Ermittlungen umgangen würden, indem einfach auf Erkenntnisse europäischer Behörden im Ausland zurückgegriffen werde. Zumal auch die Franzosen dabei nicht rechtmäßig vorgegangen seien. Zum Schluss blieb die – unbeantwortete – Frage: Warum hat das BKA unter diesen Gesichtspunkten da überhaupt mitgemacht?

Die Verhandlungen werden in den kommenden Wochen fortgesetzt.

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