Die Energie des heiligen Trikots

Es scheint unglaublich, aber wenn Deutschland heute gegen Brasilien im Halbfinale antritt, dann könnte es sogar sein, dass einige Fans der brasilianischen Mannschaft mit dem Herzen etwas bei unserer Elf sind. Rein optisch sehen die in ihren rot-schwarzen Ausweich-Trikots nämlich dem größten Fußball-Club Brasiliens verdammt ähnlich.

 Sehr ähnliche Trikots: links Flamengo, rechts DFB. Fotos: Gab

Sehr ähnliche Trikots: links Flamengo, rechts DFB. Fotos: Gab

Flamengo zählt mehr als 35 Millionen Fans zu seiner Anhängerschaft und die sind über ganz Brasilien verteilt. Dieser Schachzug des Sportartikelherstellers Adidas, der sowohl den brasilianischen Fußballclub als auch die deutsche Mannschaft ausstattet, hat schon im Vorfeld für Sympathien gesorgt. Die neuen Trikots der Deutschen gingen in den Sportshops in Rio weg wie warme Semmeln. Die Kombination aus deutschem Traditionsfußball, den man hier bewundert, gepaart mit den Farben des eigenen Clubs, eine bessere Kombination hätte sich der Markenartikler nicht aussuchen können.

Allerdings gibt es bei diesem Sympathie-Geheische auch eine Kehrseite. Mein Freund zum Beispiel ist Botafogo-Fan. Wenn ich ihm statt seines schwarz-weiß gestreiften T-Shirts nun das rot-schwarze Deutschland-Trikot überstreifen wollte, müsste ich das heimlich im Schlaf machen, und ich bin mir sicher, dieser Trikotwechsel würde für schreckliche Albträume sorgen. An einem verdienten Sieg der deutschen Mannschaft hätte der männliche Teil meiner Multikulti-Familie durchaus auch Gefallen finden können. Zumindest sagt er das vor dem Spiel. Dank Adidas würde ein Sieg des falschen Nationalteams in den Trikots des falschen Clubs bei uns zu Hause unter Garantie nur schwer verdaut werden. Und auch in Belo Horizonte, wo die Halbfinalbegegnung heute stattfindet, dürfte mit einigen Buh-Rufen zu rechnen sein, wenn das deutsche Team aufläuft. Der gut gemeinte Gruß in Richtung brasilianisches Fußballpublikum trifft dort nämlich auf den größten Rivalen Flamengos, Atlético-Mineiro.

Ich bin gespannt, welche Verschwörungstheorien nach dem Spiel bemüht werden. Heute scheint es in den brasilianischen Medien jedenfalls kaum etwas Wichtigeres zu geben als das heilige T-Shirt und seine Energie, die es umgibt.

Sabrina Gab, 35, geboren und aufgewachsen in Zweibrücken, reiste ein Jahr um die Welt, bevor sie Rio de Janeiro als neues Zuhause wählte. Dort lebt und arbeitet die ausgebildete Journalistin und Yogalehrerin seit zwei Jahren mit ihrem Partner und dem gemeinsamen Sohn Noah.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort