Kolumne Ballgefühl(e) Der Fan, der auf Abstand ging

Sie werden Heiner nicht kennen. Und selbst wenn, würde Ihnen das wenig nutzen. Denn Heiner ist ein Schwabe von der Art, die ohne Untertitel in zivilisierten Landstrichen eigentlich nicht zumutbar sind.

Kolumne Ballgefühl(e): Der Fan, der auf Abstand ging
Foto: SZ/Robby Lorenz

Heißt: Wenn er mal was sagt, was nicht so oft vorkommt, versteht man ihn nicht. Einzig meine Schwester, seine Frau und Mutter seiner Kinder, ist als promovierte Ägyptologin nach eigener Aussage Schlimmeres gewohnt. Heiners Familie ist nach dem 30-jährigen Krieg in den erweiterten Dunstkreis von Stuttgart gezogen und seitdem nur mit viel gutem Zureden und nur für kurze Zeit aus dem heimischen Umfeld herauszulocken. Selbst meiner energischen Schwester gelingt das nicht immer. Weshalb es eben sehr unwahrscheinlich ist, dass jemand aus der Südwestpfalz, die er nur mit hochgekurbeltem Fenster und auf die Pirmasenser schimpfend durchquert, kennt.

Dieser Mann nun hat etwas geschafft, das bei uns niemand für möglich gehalten hätte: Er hat meine ehemals Sport-verachtende Schwester – wenigstens zu WM und EM-Zeiten – zum Fußball-Fan gemacht. Sicher, ihr Fußball spielender Sohn und seine zwei Geschwister haben sicher dazu beigetragen (in den Vereinigten Staaten nennt man sowas eine „Soccer Mom“). Aber trotzdem. Als fanatischer VfB-Fan hat er von Anfang an die Richtung vorgegeben und seine Söhne bereits am Tag ihrer Geburt beim VfB angemeldet. Was eigentlich nur recht und billig ist, schließlich ist sein Stammhalter in dem Jahr geboren worden, in dem Stuttgart zuletzt Deutscher Meister geworden ist. Wer weiß noch, wann das war? Egal. Besagter Stammhalter wird übrigens noch während der Weltmeisterschaft Geburtstag haben. Wenn ihr vielleicht bis zum 30. Juni im Turnier bleiben könntet, lieber Jogi?

 Im lauschigen Eigenheim werden jetzt jedenfalls WM-Partys geschmissen, ausführlich dokumentiert in der familieninternen Whatsapp-Gruppe. Man sieht Mutter und Kinder mit albernen Perücken, mit aufgeschminkten Nationalflaggen und –Outfits (Deutschland, Island und, warum auch immer, Argentinien). Im Internet werden die Partien des Tages ausführlich kommentiert. In einem bekannten sozialen Netzwerk zeigt sie nach der desaströsen Niederlage gegen Mexiko ein Foto ihres am Boden zerstörten Sprösslings im Müller-Trikot mit der Nummer 13; er weint bittere Tränen in sein Star Wars-Kissen. Auch sein Fazit zum Spiel ist dort zu lesen: „Alle scheiße außer Neuer.“ Das lasse ich mal so stehen.

Tja, und wo bleibt da der Vater? Der Urheber? Auf Abstand. Das ganze Getue ist ihm unheimlich. Fußball ist schließlich eine ernsthafte Sache. Hinzu kommt diese unselige Gündogan-Geschichte. Und als wollte sie seine Vorbehalte bestätigen, spielt die deutsche Mannschaft auch noch erbärmlich schlecht.

Also hat er, als Fußball-Deutschland am Boden lag, mit den Worten „Bundesligaischäähwichtiga“ (oder so ähnlich) seine Büchse geschultert und ist seinen Jägerpflichten nachgekommen. Endergebnis nach 90 Minuten plus Nachspielzeit: Heiner 1. Wildschwein 0. Wenn man sich die richtigen Gegner sucht, kann man also auch als Deutscher mit Migrationshintergrund noch gewinnen.

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