Der Exot geht von Bord

Der erste parteiunabhängige Oberbürgermeister in der Geschichte Zweibrückens ist ab Donnerstag Geschichte: Die Amtszeit von Helmut Reichling endet am 31. Mai

 Hahn im Korb? Nein, der OB umrahmt von den Rosenköniginnen Laura und Rosalie. Foto: mw/pma

Hahn im Korb? Nein, der OB umrahmt von den Rosenköniginnen Laura und Rosalie. Foto: mw/pma

Der erste parteiunabhängige Oberbürgermeister in der Geschichte Zweibrückens ist ab Donnerstag Geschichte: Die Amtszeit von Helmut Reichling endet am 31. Mai. Welches politische Vermächtnis hinterlässt der 59-Jährige? "Zweibrücken ist eine Stadt mit großer demokratischer Tradition", antwortet Reichling im Merkur-Redaktionsgespräch, "in meiner Amtszeit hat die Demokratie in Zweibrücken gelebt". Bürger, Stadtrat, Oberbürgermeister und Presse - alle hätten dazu beigetragen. Reichling weiß, dass manchen Kritikern die politischen Auseinandersetzungen oft zu hitzig und zu wenig zielführend waren. Ihm sei aber wichtig: "Man musste keine Angst haben, seine Meinung öffentlich zu äußern. Demokratie und Gemeinschaft leben davon, dass auch noch so absurd scheinende Vorschläge geäußert werden - daraus kann sich ja etwas entwickeln." Im Übrigen blieben zwar Endlos-Debatten wie um den Rosengarten-Eingang ("der heute fast Allen gefällt") im Gedächtnis haften, "aber viele Entscheidungen im Rat waren auch einstimmig - es haben sich keine festen Blöcke gebildet, man hat sich zusammengerauft".Reichling räumt aber ein, dass es ihm als parteiunabhängigem OB ("ich war ein Exot") öfter als ihm lieb war schwerfiel, Mehrheiten zu finden: "Es ist wichtig, in einer Partei vernetzt zu sein - andernfalls kostet das sehr viel Kraft. Ich hätte mir Kräfte gewünscht, die mich stützen. Aber ich hatte keine eigenen Leute." Und die eigenen Leute, die sich im Wahlkampf 2003 um Reichling geschart hatten, haben sich schon bald nach seinem Amtsantritt 2004 von ihm distanziert oder gar abgewandt. Von der etwa 50 Mitglieder starken Unterstützerinitiative hat man nie wieder etwas gehört. "Ich wollte auch keine eigene Partei, sondern, dass meine Unterstützer weiter in ihren Parteien wirken und es eine Koalition der Vernunft gibt", erläutert Reichling.

War sein 68-Prozent-Wahlergebnis, im Nachhinein betrachtet, zu hoch? "Nein", antwortet Reichling, "die Bürger wollten einem parteiunabhängigen OB eine Chance geben". Sein Abwahl mit nur noch 31,5 Prozent zeige zwar, "dass ich die Erwartungen der Bürger nicht so verwirklicht habe, wie gewünscht". Aber der Wunsch, frischen Wind in die Parteienpolitik zu bringen, sei nach wie vor da in Deutschland: "Das zeigt auch der Erfolg der Piraten." Die Zweibrücker Bürger hätten aber auch gesehen, dass das Spannungsverhältnis zwischen einem parteiunabhängigem OB und den Parteien "eine Stadt auch blockieren kann und deshalb dem Macher Kurt Pirmann eine Chance gegeben". Wobei Reichling sich selbst durchaus auch als Macher sieht: "Wenn ich durchgegriffen habe, sind die Leute über mich hergefallen: ,Reichling regiert nach Gutsherrenart.' Obwohl wir genau dasselbe tun, heißt es: Kurt Pirmann ist ein Macher." Bei Pirmann sehe er die Stadt aber in guten Händen: "Es hat mich gefreut, dass er von der SPD als mein Gegenkandidat aufgestellt worden ist. Gegen Kurt Pirmann zu verlieren ist auch keine Schande." Er habe auch schon vorher ein gutes Verhältnis zu ihm gehabt: "Ich habe zu den Treffen in seinem Verbandsbürgermeister-Büro die Kaffeestückchen mitgebracht."

Reichlings Ruf als Wirtschaftsfachmann und Visionär hatten entscheidend zu seinem Wahl-Triumph 2003 beigetragen. Was ist aus den Visionen geworden? "Ich hatte das Pech, dass mit dem Beginn meiner Amtszeit die Sonderbedarfszuweisungen weggefallen sind", verweist Reichling auf dadurch verschärfte Haushaltsnöte. Allerdings hatte Reichling bei seiner Rede zur 650-Jahr-Feier Zweibrückens 2002 (durch die er als OB-Kandidat ins Gespräch kam) gesagt: "Träume scheitern nicht an schlechter Kassenlage, sondern an Unwilligkeit und Unfähigkeit." Letzteres will sich Reichling jedoch auch haushaltstechnisch nicht nachsagen lassen: "Ich habe immer gesagt, dass es entscheidend ist, die Einnahmenseite zu verbessern. Und das ist uns dank der höheren Gewerbesteuer-Einnahmen gelungen." Dazu trügen auch die "interessanten Unternehmens-Ansiedlungen" während seiner Amtszeit bei. Und auch sonst fällt Reichling bei der Frage nach seinen drei größten Erfolgen gleich eine ganze Liste ein: "Die demographische Entwicklung ist besser als erwartet. Die Arbeitslosigkeit liegt nur noch bei sieben Prozent, deutlich weniger als bei den meisten unserer Nachbarn. Das Landgestüt ist gerettet, der Rosengarten aufgewertet und schöner denn je. Die Festhalle ist so, wie die Bürger sie wollten, im denkmalgeschützten Stil der fünfziger Jahre. Die Konversion ist weiter ein sehr großer Erfolg: Der Flugbetrieb hat einen großen Aufschwung erlebt, das Outlet-Center die vierte Ausbaustufe erreicht. Wir haben den attraktiven Themenweg Gärten und Landschaft. Unsere Gewobau hat die gesamte öffentliche Wohnungswirtschaft von Homburg übernommen. Das Verhältnis mit unserer Partnerstadt, die früher sogar gegen Zweibrücken prozessiert hat, ist heute entspannt und freundschaftlich." Sehr am Herzen gelegen habe ihm die Integrationspolitik: "Wir haben einen sehr guten Integrationsbeirat. Und ich habe die Einbürgerungsfeiern nach amerikanischem Vorbild gestaltet, mit Gelöbnis auf Bibel oder Koran und Singen der Nationalhymne - um zu zeigen, dass diese Menschen ein Teil von Zweibrücken sind. Es gibt viele erfolgreiche Menschen mit ausländischen Wurzeln, die die großen Zweibrücker Familien von morgen sind."

Deutlich länger nachdenken muss Reichling bei der Frage, was er falsch gemacht hat. Dann fällt ihm doch etwas ein: "Das City-Outlet war vom Gedanken richtig, aber nicht richtig vermarktet. Ein größerer Misserfolg war, dass mir nicht gelungen ist, obwohl Investor Manfred Schenk das angeboten hatte, in den schriftlichen Vertrag für das Hilgardcenter auch die Sanierung des Hilgardhauses mit aufzunehmen. Und was mich persönlich am meisten bedrückt: "Die ehemalige Möbius-Siedlung auf dem Kreuzberg ist noch nicht erfolgreich erschlossen." Und was war das schlimmste Fettnäpfchen, in das Reichling getreten ist? "Dass ich einen Eingangs-Vorschlag für den Rosengarten bei einem VTZ-Frühschoppen als wilhelminisches Pissoir bezeichnet habe. Das hat mir in dem Moment schon leidgetan, denn der Verein der Rosenfreunde arbeitet immer mit viel Herzblut für den Rosengarten." Insgesamt zieht Reichling aber eine positive Bilanz seiner acht OB-Jahre: "Ich bin sicher, Zweibrücken kein Chaos oder Stillstand zu hinterlassen."

"Das Gestüt ist gerettet, der Rosengarten schöner denn je."

 2007 zeigte Reichling Bundespräsident Horst Köhler (hier beim Eintrag ins Goldene Buch der Stadt) "den größten Schatz Zweibrückens" - die Bürger, die sich auf dem Schlossplatz versammelt hatten. Foto: pma

2007 zeigte Reichling Bundespräsident Horst Köhler (hier beim Eintrag ins Goldene Buch der Stadt) "den größten Schatz Zweibrückens" - die Bürger, die sich auf dem Schlossplatz versammelt hatten. Foto: pma

 Bewegende Worte für gefallene Soldaten fand Reichling 2008 bei einer Trauerfeier mit Verteidigungsminister Franz Josef Jung in Zweibrücken. Foto: voj/pma

Bewegende Worte für gefallene Soldaten fand Reichling 2008 bei einer Trauerfeier mit Verteidigungsminister Franz Josef Jung in Zweibrücken. Foto: voj/pma

Helmut Reichling

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort