Demokratie-Kluft in Zweibrücken

Zweibrücken · Die meisten Zweibrücker wollen nicht mehr mitbestimmen, wie ihr Stadtrat aussieht. Dabei hat gerade diese Wahl gezeigt: Es kommt auf jede Stimme an. Und die meisten, die wählen gingen, nutzten intensiv die Möglichkeit, Personenstimmen quer über die Listen zu verteilen.

Die Wahlbeteiligung bei der Zweibrücker Stadtratswahl ist mit 42,7 Prozent auf einen historischen Tiefstand gesunken. Nur noch gut vier von zehn Wahlberechtigten nutzten ihr Wahlrecht. Das sorgte gestern und bei der Auszählung am Montag für Entsetzen bei vielen Kommunalpolitikern. CDU-Listenführer Christoph Gensch nannte die gegenüber der letzten Wahl noch einmal um 0,6 Prozentpunkte gesunkene Beteiligung "erschreckend niedrig". CDU-Stadträtin Elisabeth Metzger findet die Wahlbeteiligung "besonders bei so vielen Wahlmöglichkeiten wie diesen Sonntag schlimm".

Stichwort Wahlmöglichkeiten: Die Minderheit, die wählen ging, hat diese Wahlmöglichkeiten äußerst intensiv genutzt: Viele nutzen die Möglichkeit, nicht nur Parteien anzukreuzen, sondern auch insgesamt bis zu 40 Personenstimmen auf einzelne Kandidaten zu verteilen. Wie oft dies geschieht, wird bei der Wahlauswertung nicht erfasst. Doch Stadtsprecher Heinz Braun und mehrere Wahlhelfer erklärten dem Merkur, dass zweifelsfrei auf den meisten Stimmzetteln kumuliert und panaschiert werde. Offensichtlich besonders bei der wachsenden Zahl von Briefwählern - denn dort dauerte die Auszählung besonders lange.

Das bedeutet: In Zweibrücken tut sich eine Demokratie-Kluft auf. Die Mehrheit der Wähler beteiligt sich gar nicht - während eine Minderheit ihre Macht, die Zusammensetzung des Stadtrats bis ins Detail mitzubestimmen, immer intensiver nutzt. Dabei kommt es manchmal buchstäblich auf jede Stimme an: So hat am Sonntag nur eine einzige Stimme darüber entschieden, dass für die FDP neben Dietmar Runge auch wieder Fraktionschefin Ingrid Kaiser im Stadtrat sitzt - und nicht ihr langjähriger Vorgänger Walter Hitschler (wir berichteten). Hitschler machte aber dank vieler Personenstimmen auf der Liste immerhin acht Plätze gut.

Bei der SPD (14 Sitze) wäre Walter Rimbrecht mit Listenplatz 18 ohne Personenstimmen klar aus dem Stadtrat geflogen - doch weil viele Wähler ein bis drei Kreuze bei ihm machten, rutschte Rimbrecht bis auf Platz vier nach oben. Auch der Sozialdemokrat Wolfgang Ohler kam nur wieder in den Rat, weil er 13 Plätze emporschnellte.

Bei der CDU (zwölf Sitze) machte Christian Fochs vier Plätze gegenüber der Liste gut und schaffte es so in den Rat. Gensch stand zwar schon auf Listenplatz eins - bekam aber sogar 19 Prozent mehr Personenstimmen als Sabine Wilhelm, Spitzenkandidatin der mit fünf Prozentpunkten Abstand stärksten Partei SPD.

Bei den Grünen kamen Gertrud Schanne-Raab und Ibrahim Al-Saffar nur dank Personenstimmen in den Rat, ebenso wie bei der FWG Annegret Kirchner und bei den Linken Bernhard Schneider machten sie aber nur wenige Plätze gut. Die meisten Plätze von allen Ratskandidaten überhaupt schnellte Hanne Stauch bei der FDP empor: Die Rosenfreundin stürmte von Listenplatz 39 auf (den ebenfalls aussichtslosen) Platz zehn empor.

Auch bei der Sitzverteilung machten nur wenige Stimmen den Unterschied, dass der 40. Ratssitz nicht an die Grünen, sondern die FWG ging.

Rimbrecht vermutet als Ursache dafür, dass viele Bürger auf ihr Wahlrecht verzichteten: "Viele meinen, die Politiker machen was sie wollen, egal was man wählt. Dem Eindruck müssen wir entgegentreten; offen auf die Menschen zugehen, Respekt vor den Wählern haben, auf deren Meinung Wert legen und uns nicht vor schwierigen Fragen drücken." Als Wahlhelfer beobachtete er, "dass vorwiegend junge Menschen kaum wählen gehen, das ist ein Alarmsignal". Kaiser hat in Wahllokalen beobachtet, "dass vor allem ältere und ganz junge Leute wählen gehen - doch bei den 30- bis 50-Jährigen hapert's. Viele sind in dem Alter sehr mit Beruf und Familie beschäftigt und vergessen alles andere - das ist eine sehr egoistische Haltung".

Oberbürgermeister Kurt Pirmann (SPD) vermutet als Ursache für die niedrige Wahlbeteiligung "manchmal auch die Zufriedenheit der Menschen - sie glauben, dass es läuft und deshalb auch so weiterläuft". Doch Politik sei kein Selbstläufer, warnt Pirmann.

Korrektur: Im alten Stadtrat hatte die FDP nicht wie gestern geschrieben vier Sitze, sondern sogar fünf.

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