Zweibrücker Stadtrat streitet über Luftfiltergeräte für Schulen und Kitas Corona-Luftfilter für Schulen? Nein, nein, nein!

Zweibrücken · Der Zweibrücker Stadtrat will wohl Lüftungsgeräte für Schulen, lehnt aber alle drei Anträge hierfür ab. Die Verwaltung prüft weiterhin Installations-Möglichkeiten.

 Die Professoren Hans-Martin Seipp und Thomas Steffens von der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) haben in wissenschaftlichen Experimenten in einem Klassenraum in Wiesbaden gemessen, dass Fensterstoßlüftung um das 10- bis 80-Fache wirksamer als maschinelle Luftfilterung ist. Doch es gibt in der Wissenschaft auch gegenteilige Auffassungen.

Die Professoren Hans-Martin Seipp und Thomas Steffens von der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) haben in wissenschaftlichen Experimenten in einem Klassenraum in Wiesbaden gemessen, dass Fensterstoßlüftung um das 10- bis 80-Fache wirksamer als maschinelle Luftfilterung ist. Doch es gibt in der Wissenschaft auch gegenteilige Auffassungen.

Foto: Technische Hochschule Mittelhessen/Hans-Martin Seipp/THM

Ein Ende der Corona-Pandemie ist nicht in Sicht, doch der Präsenzunterricht in den Schulen wird gerade wieder hochgefahren. Damit steigt für Kinder das Infektionsrisiko. Denn wenn teils über 20 Menschen in einem (oft nicht allzu großen) Unterrichtsraum lange zusammensitzen, ist die Ansteckungsgefahr groß.

Deshalb sind sich Stadtverwaltung und Stadtrat einig, so viel wie möglich dafür zu tun, um die Viren – sollte ein Infizierter im Raum sitzen – möglichst schnell aus der Raumluft zu entfernen.

Die Viren müssen also raus. Aber wie? Und zu welchem Preis? Darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Das war schon in der eigens zu diesem Thema einberufenen Stadtrats-Sondersitzung am 24. Februar so, als Südwestpfalz-Gesundheitsamtsleiter Heinz Ulrich Koch und die Stadtverwaltung für häufiges Stoßlüften als „Goldstandard“ warben, und sich dabei auch auf die offizielle Empfehlung des Umweltbundesamtes beriefen, das Luftreinigungsgeräte nur dort empfiehlt, wo Stoßlüften nicht richtig möglich ist – was in Zweibrücken nur zwei Fachräume betrifft.

Doch die Sorge um die Kinder treibt viele Stadträte derart um, dass sie auch in der regulären Ratssitzung am vergangenen Mittwoch eindringlich stundenlang debattierten. Mehr Klarheit, wie es in den Zweibrücker Schulen weitergeht, brachte die Sitzung aber nicht. Im Gegenteil, die Verwirrung ist sogar gewachsen.

Das ging damit los, dass Oberbürgermeister Marold Wosnitza (SPD) den Stadtrat mit der Erklärung überraschte, der Rat sei laut Gemeindeordnung zu diesem Thema gar nicht entscheidungsberechtigt, weil die Stadt bei Schulen nur in „Auftragsverwaltung“ tätig sei. Wosnitza holte die Kuh aber sofort selbst vom Eis, indem er die Anträge kurzerhand in „Vorschläge“ umbenannte und statt namentlicher Abstimmung nur ein „Stimmungsbild“ einholen wollte, an dem sich die Verwaltung bei der weiteren Planung orientieren werde.

Doch am Ende wurden alle drei Fraktions-„Vorschläge“ abgelehnt – der von Bürgernah klar mit 28 Nein- und 3 Ja-Stimmen, jeweils knapp beim CDU-Modell mit 18 zu 16 und beim SPD-Modell mit 19 zu 18. Offensichtlich unter dem Eindruck, dass insbesondere die Redner dieser drei Fraktionen sich alle grundsätzlich für Lüftungsgeräte aussprachen, sagte Wosnitza aber dennoch zu: „Wir nehmen das mit und bearbeiten weiter.“

Nach Eindruck des Merkur-Reporters hängt die Ablehnung aller drei Vorschläge damit zusammen, dass die (Online-)Debatte zwar mit viel Herzblut geführt wurde – aber oft auch mit Scheuklappen gegenüber anderen Argumenten.

Wie lief die Debatte? Kurz lässt sich das am besten so zusammenfassen: Es prallten zwei Konzepte  aufeinander. Die eine Seite sieht die Corona-Lage so dramatisch, dass sofortiges Handeln verlangt wird. Die andere Seite will erst prüfen, welche Geräte wo sinnvoll sind, und dann handeln.

Die SPD warb dafür, Experten zu vertrauen. Fraktionschef Stéphane Moulin erinnerte: „Wir haben den Gesundheitsamtsleiter gehört, seine Empfehlung war klar: Abwarten, bis sichere Erkenntnisse über die Wirksamkeit bestimmter Maßnahmen da sind.“ Der SPD sei aber „abwarten nicht genug“, weshalb sie „ein Pilotprojekt mit wissenschaftlicher Begleitung“ fordere, das sofort beginnen könne. Moulin betonte: „Wir wollen das Beste erreichen, nicht das Schnellste!“

Gerd Maurer (SPD) warf der CDU einen solchen „Schnellschuss“ vor: Statt sofort hunderte Geräte zu kaufen, solle man erst einmal die Wirksamkeit in einem Raum prüfen – „sonst stellt sich am Ende raus, dass die Kosten ohne Nutzen waren“. Vize-Fraktionschefin Theresa Wendel argumentierte, im Sommer könne man ständig lüften, zudem verbreite sich das Virus bei hohen Temperaturen weniger. Deshalb habe man Zeit, „mit Bedacht die beste Lösung zu suchen, damit wir für den kommenden Herbst gerüstet sind“.

Die (im Rohbau schon fertige) Kita Gabelsbergerstraße fordert die SPD, mit einer Luftfilteranlage nachzurüsten.

Warum Zweibrücken ein eigenes wissenschaftlich begleitetes „Pilotprojekt“ braucht, obwohl bundesweit schon diverse Forschungen laufen (einen interessanten Überblick gibt der Telepolis-Artikel „Kampf der Kulturen: Stoßlüften oder Luftfilter“: (tinyurl.com/8mwjd3ep) erläuterte die SPD nicht.

Die CDU fordert Luftreinigungsgeräte für alle Unterrichtsräume – und zeichnete das mit Abstand alarmistischste Lagebild. Was auch deshalb Eindruck hinterließ, weil Fraktionschef Dr. med. Christoph Gensch seit Pandemie-Beginn in Sachen Corona für sachlich-besonnene Kommunikation bekannt ist. „Wir können uns keine weitere Verzögerung leisten“, sprach sich Gensch gegen „Pilotprojekte“ aus. Bereits im Frühsommer müssten die Geräte installiert sein. Stoßlüften bringe im Sommer viel weniger als im Winter, weil der Luftaustausch geringer sei, wenn es zwischen draußen und drinnen kaum einen Temperaturunterschied gibt.

„Die Mutanten sind unter uns“, begründete Gensch, warum er diesen Sommer im Gegensatz von vor einem Jahr Ansteckungswellen in Schulen befürchte. Schon jetzt werde in Deutschland in über 40 Prozent allen neuen Fälle die deutlich ansteckendere britische Virus-Variante festgestellt. Da zudem mittlerweile auch Kinder als Pandemie-Treiber bekannt sind, habe die CDU ihre Meinung zu Filtergeräten geändert. Wenn man fünf, sechs Stunden im Unterricht sitze, sei das Ansteckungsrisiko trotz Abstand und Masken viel größer als bei einer kurzen Schulbusfahrt. Die CDU finde es deshalb „zwingend „notwendig“, im „Hochrisikobereich Klassenzimmer“ zusätzlich zum Stoßlüften einen weiteren Schutz mit Geräten zu bieten. „Wir müssen jetzt handeln, die dritte Welle steht bevor!“ Aufs Impfen zu hoffen, sei vorerst illusorisch: „Es ist noch kein Impfstoff für unter 16-Jährige zugelassen. Kinder kommen als Letztes dran.“ Gensch unterstrich: „Ich bin eigentlich ein Freund von Pilotprojekten – aber hier ist das weltfremd, das hat mit zielführender Pandemie-Bekämpfung nichts zu tun, wir haben keine Zeit!“

Gensch behauptete allerdings fälschlich, dass die wissenschaftliche „Datenlage völlig klar“ sei, dass Luftreinigungsgeräte „dem passiven Lüften überlegen sind“. Zwar verwies Gensch auf eine entsprechende Stellungnahme der Deutschen Physikalischen Gesellschaft und Studien – unterschlug allerdings ebenso bekannte seriöse Studienergebnisse wie die der Technischen Hochschule Mittelhessen, die nach Aerosol-Messungen zu dem Schluss kam, Fensterstoßlüftung sei um das 10- bis 80-Fache wirksamer als maschinelle Luftfilterung.

Bürgernah-Fraktionschef Dirk Schneider sieht die Corona-Lage ähnlich dramatisch wie die CDU („die Luft brennt, die Pandemie wird uns noch weit über dieses Jahr hinaus begleiten, das Virus sich weiter ändern“) – zog aber deutlich weitergehende Schlussfolgerungen: Kita-Kinder seien nicht weniger schutzbedürftig als Schüler, deshalb müsse man auch die Kitas mit Luftreinigungsgeräten ausstatten. Und auch Stadtverwaltungs-Bereiche mit viel Publikumsverkehr.

Bei der Finanzierung hofft Schneider, dass die nächste Landesregierung – wer immer sie führe – dem Beispiel einiger anderer Bundesländer wie dem Saarland folge, Kauf oder Leasing von Luftfiltergeräten großzügig zu fördern.

Die KOSTEN der drei Vorschläge hat das Stadtbauamt nach einer „Grobplanung“ wie folgt ermittelt. Ein mobiles Luftfiltergerät (wie in den meisten Redebeiträgen im Stadtrat bevorzugt, die SPD will aber beides untersuchen lassen) koste etwa 3330 Euro.

Bei der von der CDU geforderten sofortigen Ausrüstung aller 379 Klassen- und Fachräume in den Zweibrücker Schulen könne man mit Mengenrabatt (3100 Euro pro Gerät) rechnen, damit komme man auf Kaufkosten von 1,17 Millionen Euro. Hinzu kämen jährliche Filter- und Betriebskosten von zusammen 147 000 Euro.

Für das SPD-Pilotprojekt könne man die bereits bestellten mobilen Filtergeräte für die beiden fensterlosen Hofenfels-Fachräume nutzen. Wenn man keine mobilen Geräte nutzen wolle, sondern nachträglich einzubauende Belüftungsanlagen, würde dies zwar einmalig mehr kosten (Material plus Einbau 4700 Euro pro Stück = 1,78 Millionen Euro insgesamt), jährlich aber 87 000 Euro Wartungs-, Betriebs- und Reinigungskosten verursachen. Für die Nachrüstung der Kita Gabelsbergerstraße brauche man zwei Anlagen. Planung, Material und Einbau würden 95 000 Euro kosten, die jährlichen Filter-, Betriebs- und Wartungskosten betrügen 6100 Euro.

Die einmaligen Kosten für den Bürgernah-Vorschlag bezifferte das Bauamt auf 4,1 Millionen Euro, es gehe um 1407 Räume (120 in Kitas, 1050 in Schulen und 240 in der Stadtverwaltung). Hinzu kämen jährlich Kosten von 914 000 Euro. Eine Berechnung, die Dirk Schneider auf die Palme brachte: „Das ist ein Horrorszenario, was Sie hier aufgemacht haben!“ Er fordere eine realistische Berechnung. In der Tat hatte Schneider in seinem (allerdings sehr unübersichtlichen) Beschlussvorschlag ausdrücklich nicht gefordert, alle Räume mit Geräten auszustatten – sondern nur, wo „dies sinnvoll“ ist. Zudem hatte Schneider bei Schulen in seiner Begründung konkret von „Klassenräumen“ geschrieben. Und wunderte sich deshalb zu Recht, warum das Bauamt 1050 Schulräume berechnet hat, obwohl es nur 379 Klassen- und Fachräume gibt. Schneider: „In Putz- und Kellerräumen braucht man natürlich keine Geräte!“

Finanzdezernent Bürgermeister Christian Gauf (CDU) erläuterte, dass alle Investitionen mit der Kommunalaufsichtsbehörde ADD abzustimmen seien. Auf jeden Fall brauche man auch „einen Nachtragshauhalt oder außerplanmäßige Ausgaben mit Deckungsvorschlag“, sprich Sparen an anderer Stelle.

Und was sagten die anderen Ratsfraktionen?

FWG-Fraktionsvorsitzender Kurt Dettweiler sprach von einem „wichtigen Thema“, vermutete aber Wahlkampf-Motive, weil es nach der zweistündigen Sondersitzung nun erneut debattiert werde. Sein Fraktionskollege Patrick Lang nannte es „richtig und wichtig“, dass Gensch auf die Eilbedürftigkeit hinweise: Man brauche „ein klares Zeitfenster“.

AfD-Fraktionschef Harald Benoit betonte, wenn man die städtischen Kindertagesstätten mit Luftfiltern ausstatte, solle die Stadtverwaltung „auch mit den kirchlichen Trägern reden“. Denn: „Ich möchte nicht eine Zwei-Klassen-Gesellschaft bei unseren Kitas!“

Die Partei/Die Linke-Fraktionschef Bernd Henner sagte: „Es ist Eile geboten – allerdings erkenne ich bei keinem der Anträge/Vorschläge ein Gesamtkonzept.“ Dies sei das größte Problem, denn „die Kosten kriegen wir irgendwie gestemmt“. Gut sei, dass der Stadtrat „von Bastellösungen“ wie in Pirmasens abgerückt ist. Und Henner warnte vor Illusionen: „Das ist kein Allheilmittel, das wir hier diskutieren.“ Denn Filtergeräte könnten das Fensterlüften zwar gut ergänzen – aber nicht ersetzen.

Das meinte auch Grünen-Fraktionschef Norbert Pohlmann. Mehr zu impfen schütze nicht nur in Räumen, dies sei eine wirksamere Strategie als Filtergeräte. Setze man diese ein, müsse vorher deren Nutzen bestätigt sein, fand Pohlmann den SPD-Antrag besser, als „sofort alles zu kaufen und hinterher zu prüfen, ob es nützlich ist – das würde die ADD zu Recht verbieten“.

FDP-Fraktionschefin Ingrid Kaiser mahnte, realistisch zu bleiben: Es sei ausgeschlossen, innerhalb von zwei Monaten einen Nachtragshaushalt zu verabschieden (der normale Haushalt ist noch nicht einmal genehmigt), Ausschreibung und danach Installation von Lüftungsgeräten zu erledigen. Der CDU-Antrag sei „wünschenswert, aber nicht realisierbar“. Deshalb sei der SPD-Vorschlag sinnvoll, „erst zu prüfen und im Herbst einzubauen“. Kaiser kritisierte, dass keiner der drei Antragssteller – wie bei Anträgen vorgeschrieben – einen Kostendeckungs-Vorschlag machte.

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