Behaglichkeit ist nicht immer eine Zier

Zweibrücken · Vor drei Monaten erschien in der "FAZ" eine polemische Abrechnung des schweizer Dramatikers Lukas Bärfuß mit seinem Land, die in seiner Heimat für viel Empörung sorgte. Ähnlich dürften die Reaktionen dortiger konservativer Kreise auf "Heimatland" ausfallen - den wohl brillantesten Film im Langfilmwettbewerb des Ophüls-Festivals.

 Einer der besten Jahrgangsfilme: Szene aus „Looping“ mit der glänzenden Jelle Haase, Lana Cooper und Marie-Lou Sellem (v.l.). Foto: Jost Hering filme

Einer der besten Jahrgangsfilme: Szene aus „Looping“ mit der glänzenden Jelle Haase, Lana Cooper und Marie-Lou Sellem (v.l.). Foto: Jost Hering filme

Foto: Jost Hering filme

"Heimatland", im Vorjahr bereits in Locarno gelaufen und inzwischen mit dem Berner Filmpreis ausgezeichnet, gelingt eine Dekonstruktion helvetischer Behaglichkeit, die es in sich hat.

In Form eines ebenso klugen wie routiniert gebauten Episodenfilms erzählt ein junges, zehnköpfiges Regiekollektiv eine bitter-böse Schweiz-Parabel: Eine rätselhafte Wolke hat sich über dem Land gebildet und droht sich mit solcher Explosivität zu entladen, dass nicht nur die Schweizer Versicherungswirtschaft den Ruin befürchtet. Die Wolke, wird schnell klar, ist eine politische Metapher für die nicht zuletzt durch die rechtspopulistische Schweizer Volkspartei SVP aufgeladene Stimmung im Land. Der Schweizkritiker Jean Ziegler nennt sie in einem fiktiven TV-Interview im Film eine "Strafe" für die "Das Boot ist voll"-Hartherzigkeit im Zweiten Weltkrieg und die heute grassierende latente Ausländerfeindlichkeit und Wirtschaftskorruption.

Die überragende Qualität des Films hat weniger mit dieser plakativen Klammer zu tun, sie gründet in seiner ungemein genau beobachtenden, behutsamen Erzählweise und der brillanten Schauspielerführung. Kaum zu glauben, dass fast alle Laiendarsteller sein sollen. Insgesamt neun Figuren(-Gruppen) und ihr Leben unter und mit der Wolke schiebt das Regiekollektiv zu einem Gesellschaftspanorama ineinander, das filmisch aus einem Guss ist. Wobei jede einzelne Binnenerzählung auch als Kurzfilm funktionierte. Wie "Heimatland" zum Ende das Flüchtlingsthema - im wirklichen Leben schoben die Eidgenossen Anfang 2014 auf Initiative der SVP per Volksentscheid "Masseneinwanderungen" einen Riegel vor - in einer großen, zynischen Volte auf das eigene Volk zurückspiegelt, das dürfte, das sollte als Bild lange in unseren europäischen Köpfen nachhallen.

Heute: 17.30 Uhr, CS 3; Do: 15 Uhr, FH; Fr: 19.30 CS 1; Sa: 22 Uhr, CS 5; So: 13 Uhr, CS 3.

"Luca tanzt leise" von Philipp Eichholtz gehört zu den schwächeren Wettbewerbsfilmen. Mit seiner biederen Bildsprache , verstärkt durch seichte Musik, fehlt ihm Kinoformat. Der allzu geradlinige Plot vermag den Film nicht zu tragen: Die Mittzwanzigerin Luca (Martina Schöne-Radunski, deren beachtliches mimisches Repertoire Großeinstellungen ständig einfangen) die jahrelang an Depressionen litt, versucht das Abi nachzuholen. Halt gibt ihr ein Dackel. Kurz vor den Prüfungen droht ihr labiles inneres Gleichgewicht durch ihren wieder auftauchenden, gewalttätigen Ex-Freund aus den Fugen zu geraten. Allzu konstruierte Figurenkonstellationen (ausgerechnet die eigene Mutter als Lucas Lehrerin; dazu ein ergrauter Automechaniker als väterlicher Schulfreund) und eine extrem konventionelle Bildsprache höhlen diesen Film früh aus, der seine Eindimensionalität erst gegen Ende verliert, ehe ihm abrupt die Luft ausgeht.

Heute: 22.15 Uhr, CS 1; Do: 15 Uhr, CS 5; Fr: 10 Uhr: CS 3; Fr: 20.15 Uhr, CS 9; So: 15 Uhr, CS 2.

Nicht mehr als solide TV-Ästhetik und eine dünne Story bietet das Langfilmdebüt "Ferien" von Bernadette Knoller, Tochter des Regisseurs Detlev Buck . Der spielt darin mit einigem komödian tischen Talent einen Vater, der seine erwachsene Tochter zur Selbstfindung auf eine Nordseeinsel begleitet, an deren Behaglichkeit Vivi (Britta Hammelstein) Gefallen findet. Heraus kommt ein zwischen "Landlust"-Romantik (nebst deren dezenter Verballhornung) und Krisenbewältigungsszenen hin und her springendes Plädoyer für die Entschleunigung von Lebensläufen. Was dem Film vor allem fehlt, ist ein Gespür für sein Erzähltempo. Er gewinnt, wo er auf Langsamkeit setzt, rutscht aber immer wieder in Langatmigkeit (und Albernheiten) ab. Ein Höhepunkt ist Ferdinand von Schirach als Trödelhändler.

Heute: 19.45 Uhr, CS 1; Do: 10.30 Uhr, CS 5; Do: 17.30 Uhr, CS 3; Fr: 22.30 Uhr, CS 9; So: 12.30 Uhr, FH.

Stilistisch deutlich ausdifferenzierter ist Stephan Littgers "Her Composition" über eine junge Komponistin, die sich als Edel-Prostituierte verdingt, wobei sie ihren Körper als Materiallager nimmt, um damit ihre künstlerische Schaffenskrise zu bezwingen. Soll man das nun künstlerischen Existenzialismus nennen? Auf der Suche nach ihrer inneren Stimme setzt Malorie Wahrnehmungsfitzel (Tapetenlinien, Daten, Styroporlaute, Klangmuster) zu einer Assemblage zusammen, die am Ende der Citymap von New York gleicht. Farben oszillieren in Töne, Sounds werden zu grafischen Strukturen -formal einer der interessantesten Wettbewerbsfilme. Littger setzt in seinem Debüt, das nebenbei ein verkapptes NY-Stadtporträt ist, auf harte Schnitte, lange Kamerafahrten, extreme Lichtkontraste und viele Detailblicke. Mit Joslyn Jensen in der Rolle der Malorie verfügt er über eine enorm wandlungsfähige Hauptdarstellerin, die deren widerspruchsreiches Charakterspektrum gut ausspielt.

Heute: 22.30 Uhr, CS3; Do: 11 Uhr, CS1; Do: 17.15 Uhr, CS2; Fr: 15.30 Uhr, CS5; So: 20.15 Uhr,CS1.

Zu den professionellsten Filmen dieses Jahrgangs gehört Leonie Krippendorffs wohlkomponierter, atmosphärisch dichter Debüt-Bilderreigen "Looping", dessen Lichtführung und Tondesign hervorsticht. Auch wenn die dreigeteilte Frauengeschichte thematisch nicht ganz den langen Atem hat, den man sich wünschte, zeigt Krippendorff viel szenisches Talent und vertraut beherzt auf kinotaugliche Bilder. Mit Lana Cooper, Marie-Lou Sellem und insbesondere der jungen, immer neue Nuancen von Trauer und Sehnsucht im Blick tragenden Jella Haase glänzend besetzt, geht es um drei Frauen, die in einer (eher wie ein Erholungsheim wirkenden) Psychiatrie auch körperlich einander nahe kommen. Prägnant eingefangene Rückblenden erklären schnörkellos ihr Los, umspielt von kurzen Traumsequenzen. Im zweiten Teil wird daraus ein lupenreines Kammerspiel, für das die Regie und die versierte Kamerafrau Jieun Yi ästhetisch Einiges auffahren.

Heute: 20 Uhr, CS 3; Do: 14 Uhr, CS 1; Fr: 13 Uhr, CS 5; Fr: 17.15 Uhr, FH; So: 12.45 Uhr, CS 1.

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