Unsere Woche Anonyme Ankläger

In den so genannten Sozialen Medien im Internet geht der Mensch gern so richtig aus sich heraus. Da wird unter Echtnamen geschimpft, denunziert und beleidigt, dass sich die Balken biegen und dem zartbesaiteten Mitleser die Ohren glühen.

 Kommentarkopf, Foto: Robby Lorenz

Kommentarkopf, Foto: Robby Lorenz

Foto: Robby Lorenz

Im echten Leben ist das bisher nicht so. Das finde ich eigentlich ganz angenehm. Es macht mir nur als Journalist die Arbeit ein wenig schwer, wenn Menschen ihre Kritik an diesem oder jenem bei uns abladen, ohne sich namentlich erkennen zu geben. Denn dann fällt es mir schwer, das Gesagte oder Geschriebene einzuordnen. Im Schutze der Anonymität kann man schließlich die wildesten Gerüchte verbreiten und damit im schlimmsten Fall unschuldigen Dritten ernsthaften Schaden zufügen. Das ist die eine Seite.

Auf der anderen Seite sind wir als Presse natürlich sehr an Informationen darüber interessiert, wo es in unserer Stadt vielleicht nicht ganz so rund läuft. Darüber zu berichten ist schließlich – auch – unsere Aufgabe. Damit wir das tun können, wäre es schön, wenn die Beschwerdeführer uns vertrauen würden. Weder wir noch die Kollegen von der Rheinpfalz würden einen Informanten ohne seine Zustimmung mit seinem Namen in die Öffentlichkeit zerren. Aber wir hätten schon gern gewusst, mit wem wir es da zu tun haben.

Warum schreibe ich das alles? Nun, weil mich binnen weniger Tage zwei anonyme Schreiben erreicht haben. Das eine stammte angeblich von einer Gruppe Eltern, deren Kinder eine weiterführende Schule in Zweibrücken besuchen. Dort gebe es einen Lehrer, so schreiben sie, der ein „bekannter Coronaleugner“ sei. Dieser habe im Unterricht ein Protestlied von einer Anti-Corona-Demo vorgesungen und die Schüler dazu aufgefordert, auch auf die Straße zu gehen. „Das Lied war voller Beleidigungen gegen Maskenträger und gegen die Regierung.“ Der Lehrer versuche, die Kinder von seinen Einstellungen zu überzeugen. Vom Schulleiter verspreche man sich keine Unterstützung, also wende man sich an Presse und Aufsichtsbehörde. Anonym.

Der zweite Brief hat mich auf Umwegen erreicht, war aber auch für die Presse gedacht – und die Stadtverwaltung in Gestalt des Oberbürgermeisters. Er stammte angeblich von den Anwohnern des Festplatzes an der Rennwiese. Thema: Turnerjahrmarkt. Tenor: Die Veranstaltung ist eine Qual für die Anwohner wegen der Lautstärke bis in die Nacht, der Parksituation, des Drecks, der betrunkenen oder unverschämten Turnerjahrmarkt-Besucher. Man sollte die Veranstaltung lieber in ein Gebiet verlegen, in dem nicht so viele Menschen wohnen, aufs Flugplatz-Gelände zum Beispiel. Blöd für uns und die Verfasser des Schreibens: Die Stadt reagiert laut Hauptamtsleiterin Alessa Buchmann grundsätzlich nicht auf anonyme Schreiben. Bietet aber Gespräche an, wenn die Verfasser sich zu erkennen geben. Also, ich würde es machen. Und wir würden auch drüber berichten.

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