Ann-Helena Schlüter Keine leichte Kost an der Rieger-Orgel

Zweibrücken · Mit ihrer Trilogie aus eigenen Bildern, Texten und Orgelimprovisationen entführte die schwedisch-deutsche Ausnahmekünstlerin Ann-Helena Schlüter in der Heilig-Kreuz-Kirche in eine andere Welt. Es trauten sich nur wenige Zuhörer in das Livekonzert. Am Sonntagnachmittag in Contwig war das ganz anders.

 Ganz versunken interpretierte Ann-Helena Schlüter ihre eigenen Werke an der Rieger-Orgel in der Zweibrücker Heilig-Kreuz-Kirche.

Ganz versunken interpretierte Ann-Helena Schlüter ihre eigenen Werke an der Rieger-Orgel in der Zweibrücker Heilig-Kreuz-Kirche.

Foto: Cordula von Waldow

Wie gut, dass das Konzert mit Ann-Helena Schlüter am Freitagabend in der Heilig-Kreuz-Kirche als Livestream zu verfolgen war und auch weiterhin miterlebt werden kann. Nur knapp 20 Musikfreunde hatten sich nach den wieder aufkommenden Kontaktwarnungen in die große Kirche gewagt, um die außergewöhnliche Künstlerin live zu erleben.

Nein, es war keine „leichte“ Kost, die ihnen die schwedisch-deutsche Musikerin, Komponistin, Autorin, Wissenschaftlerin und Dozentin an der berühmten Rieger-Orgel bot. Das hatte der Titel „Kreuzweg“ des Konzertprojekts bereits angekündigt. Die geistig-spirituelle Umsetzung jedoch verlangte selbst den Ann-Helena-Schlüter-Fans, die eigens aus Ettlingen und dem Saarland angereist waren, einiges ab. Zum ersten Mal kombinierte das Ausnahmetalent ihre Bilder mit ihren Wortschöpfungen und interpretierte diese klanglich auf der Orgel. Bald verschmolz sie mit dem Instrument, bald schien sie mit geschlossenen Augen in sich selbst zu versinken, dem Hier und Jetzt entrückt. Musik, die nicht von dieser Welt ist.

„Ich wollte den Schmerz in der Musik darstellen“, erklärte sie und hat mit dem neblig-eisigen November dafür die beste Zeit ausgewählt. Über die Register führte sie tonal in die tiefsten Tiefen der (eigenen) Schattenwelt, öffnete musikalisch die Abgründe der eigenen Seele, ohne jedoch darin zu verharren. Wenige Takte später – sofern man ihre Improvisationen mathematisch auszuzählen versuchte – führte sie in höchste Höhen, die gesamte Bandbreite nicht nur der Orgel, sondern auch der menschlichen Seele auszuloten. Wie die Wolke in ihren ungereimten Gedichten, die „nie tiefer fällt, als blau“.

Eigenwillig kickte die nicht sehr hoch gewachsene Tochter einer schwedischen und eines deutschen Musikers auf den Pedalen wie Schritte, um im nächsten Griff die Klangvielfalt der weiß-schwarzen Tastenmanuale melodisch auszuschöpfen. Ergriffene Stille herrschte in der dunklen, eiskalten Kirche, wenn Ann-Helena Schlüter eine schöpferische Kunstpause zwischen der Musik und dem nächsten Text einlegte. „Nichts ist sinnlicher als Stille“, bestätigte sie sodann dichterisch, interpretiert mit einer Musik, die gefühlt und nicht verstanden sein wollte. So, wie die gesamte Vorstellung.

Hingebungsvoll transportierte sie Schwere und Depression ebenso, wie jubelnde Freude und Leichtigkeit. Für Maximilian Nicolaus glich das Konzert tendenziell jedoch mehr „einer Osternacht, als dem Kreuzweg“. Begeistert über den vergleichsweise kurzen Weg, faszinierte den Saarbrücker besonders die Verschmelzung der Künstlerin mit der Rieger-Orgel. Den Ann-Helena-Schlüter-Fan, der täglich ihrem Blog folgt und in der Vergangenheit bereits deutlich mehr Kilometer für ein Live-Konzert zurückgelegt hat, begeisterten die filigranen Töne, die sie dem Instrument entlockte. „Für mich war das wie ein Osterkonzert“, hörte er mehr die Auferstehung, als das Sterben.

Am Nachvollziehbarsten für die meisten Zuhörer und „mir heute besonders gut gelungen“, war ihr Gleichnis von dem Blut, das von der Krone tropft. Das Bild mit den blutroten Tropfen führte zur Dornenkrone des Gekreuzigten, während der Gedichttext sich eindeutig auf die herbstfarbenen, gold-roten Blätter der Blutbuche mit ihrer weit ausladenden Baumkrone bezog. „Es tut so weh“ – musikalisch leidvoll und sterbend interpretiert mit in die Tiefe führenden Klängen – und doch klangversöhnlichem Ende. „Mit hellen Augen Gott sehen, als er mir Rettung überstreift, einen Umhang aus Schutz“.

Volltönend, wohlig harmonisch und melodisch legen sich die Orgeltöne wie eine schützende Klang-Aura um die Zuhörer. Zarte Solo-Melodien wechseln mit dem vollen Orchesterklang.

Den Abschluss bildet eine leicht satirisch-überzeichnete Biografie über das Wunderkind, deren Hände und einzelne Finger vom Vater versichert wurden, das niemals am Schulsport wie Volleyball teilnehmen, reiten oder skifahren durfte, sondern maximal schwimmen auf einer isolierten Bahn. „Meine Finger sind die Tür zur Musik“, räumte Ann-Helena Schlüter ein, die ihre ebenso wichtigen Handgelenke zeitlebens unter wollenen Pulswärmern schützte. Sie sagte: „Die Musik erstrahlt im Herzen, im Kopf, in der Fantasie – in einer eher unsichtbaren Welt.“ Das ließ sie ihre Zuhörer über eine Stunde lang deutlich spüren.

Organisator Oliver Duymel kommentierte: „Musikalisch hat mir die Interpretation gut gefallen. In welchem Kontext die Textbeiträge mit dem Leiden Jesu stehen, hat sich mir leider nicht erschlossen.“ Ihr Orgelkonzert mit Werken von Bach, Listz, Himmelsliedern oder eigenen Kompositionen am Sonntagnachmittag in Contwig war für das Publikum verständlicher. 60 begeisterte Zuhörer reagierten mit stehenden Ovationen.

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