Spiel der Woche Abenteuer-Urlaub in Böhmen

Zweibrücken · „Kingdom Come: Deliverance“ vermittelt ein lebendiges Bild des europäischen Mittelalters.

 Die tschechischen Entwickler von Warhorse Studios haben sich um eine realistische Simulation ihrer mittelalterlichen Heimat bemüht. Im Hintergrund das historische Kloster von Sasau mit der bis heute unvollendeten Kirche.

Die tschechischen Entwickler von Warhorse Studios haben sich um eine realistische Simulation ihrer mittelalterlichen Heimat bemüht. Im Hintergrund das historische Kloster von Sasau mit der bis heute unvollendeten Kirche.

Foto: Koch Media

Um die Kaufkraft der Böhmen ist es schlecht bestellt: Gestandene Händler haben nur ein paar Groschen in der Kasse, selbst Hehler sind finanziell kaum besser gestellt. Und wer Geld hat, zum Beispiel der Rüstschmied, interessiert sich nicht die Bohne für den gekochten (und teuren) Rehrücken, den sich der junge Heinrich aus Skalitz ehrlich im Wald erwildert hat. Also muss der arme Kerl auf seinem treuen Pferd mit dem alten böhmischen Namen Pebbles stundenlang durch Wald und Flur traben, um das Fleisch Brocken für Brocken zu verkaufen; möglichst, bevor die wertvolle Ware vergammelt ist.

Man hat schon merkwürdige Probleme als überraschend verwaister Schmied im Mittelalter-Rollenspiel „Kingdom Come: Deliverance“. Und nicht nur mit dem Verkauf heißer Ware. Trotzdem ist das per Kickstarter finanzierte, von Koch Media vertriebene Programm ein spielerisches Schwergewicht, von dem man sich nur schwer trennen kann. Der Hauptgrund dafür ist die tolle mittelalterliche Spielwelt. „Kingdom Come“ spielt im Böhmen des Jahres 1403, das über etliche Quadratkilometer mit viel Liebe zum Detail nachgebaut wurde (siehe „Tipp“ am Ende dieses Textes). Staubige Wege führen durch dichte Wälder, an wogenden Feldern, plätschernden Bächlein und strahlenden Blumenwiesen vorbei, mäandern durch verwinkelte Dörfer und zu trutzigen Burgen. In den Dörfern gehen Bauern, Händler, Handwerker und Soldaten ihrer Wege, im Wald treiben sich Tiere vom Hasen bis zum kapitalen Hirsch herum. Immer mittendrin: Heinrich, die Hauptperson (der eine gewisse Ähnlichkeit mit dem neuen saarländischen Ministerpräsidenten hat). Nachdem seine Eltern vor seinen Augen bei einem Überfall auf ihr Heimatdorf Skalitz (heutiger Name Stríbrná Skalice, östlich von Prag) ermordet wurden, sinnt er auf Rache. Im Laufe dieser Geschichte wird aus dem unbedarften Jungen vom Dorf ein Mann, mit dem man rechnen muss. Ein Mann, der viele Prüfungen zu bestehen hat. Als Kämpfer, aber auch als Diplomat.

Mit der Diplomatie tut man sich als Spieler in aller Regel leichter als mit dem kämpferischen Teil. Warum? Weil Schwertkampf und Bogenschießen sich sehr um Realismus bemühen, sich aber gleichzeitig immer wieder recht hakelig anfühlen. Das gilt besonders fürs Bogenschießen: Hier gibt es, der historischen Akkuratesse geschuldet, keinerlei Zielhilfe, nicht einmal ein Fadenkreuz. Also muss der Spieler selber ein Gefühl dafür entwickeln, wohin er den Bogen halten muss, um sein Ziel zu treffen. Das stresst! Beim Bogenschießen mit Lang- oder Recurcebögen ist die Trefferquote im echten Leben auch für blutige Anfänger deutlich höher.

Stichwort Stress: Dafür sorgt auch das Speichersystem. Gesichert wird der Spielstand grundsätzlich nur beim Start einer Mission und beim Schlafen im eigenen Bett. Wer an anderen Punkten den Spielstand sichern will (weil er zum Beispiel nebenher auch noch ein richtiges Leben hat), ist auf den sogenannten Retterschnaps angewiesen. Den muss man kaufen und im Inventar mitführen. Speichert man, wird er verbraucht – und Heinrich ist für ein paar Minuten beschwipst.

Wäre „Kingdom Come: Deliverance“ runder programmiert, wäre das vielleicht zu verkraften. Aber wenn überall Minispiele wie das Schlösserknacken oder der Taschendiebstahl lauern (zu allem Überfluss liegen „Reden“ und „Taschendiebstahl“ standardmäßig auf der gleichen Taste), die ruckzuck zu Kerkerhaft oder Schlimmerem für Heinrich führen können oder auf Reisen jederzeit Kämpfer auftauchen, die Heinrich zum Duell fordern (Lebensgefahr!), ist so etwas einfach nur ärgerlich.

Weniger ärgerlich, dafür lästig sind einige andere technische und spielerische Untiefen. Sei es die Wartezeit mit schwarzem Bildschirm vor jedem Dialog (und es wird ziemlich viel geredet in Böhmen), sei es das langsame Verstreichen der Zeit im Schlaf, sei es die gelegentlich hakelige Steuerung des Pferdes.

Das Verdienst der Entwickler ist, dass man sich trotz dieser Stolpersteine nur schwer von „Kingdom Come“ losreißen kann: Nur noch schnell eine Nebenmission erledigen, nur noch einen Hirsch erlegen, nur noch schnell den Lese-Skill auf die nächste Stufe bringen, nur noch ein besseres Schwert besorgen. Und schon sind zwei Stunden verstrichen.

Wertung (Schulnote): 2+

 Mangels Zielhilfe ist Bogenschießen nichts für schwache Nerven.

Mangels Zielhilfe ist Bogenschießen nichts für schwache Nerven.

Foto: Koch Media

Tipp: Wer sich anschauen möchte, wie die Spielwelt östlich von Prag heute aussieht: Einfach bei Google Maps oder einem anderen Internet-Kartendienst nach Rataje nad Sázavou suchen – so heißt Rattay, Stützpunkt des Helden, heute.

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