Zweibrücken gut repräsentiert - aber auch gut geführt?

Wie bewerten Vertreter aus Politik und Wirtschaft in Zweibrücken die achtjährige Amtszeit von Oberbürgermeister Helmut Reichling? Eine Frage, auf die die Antworten nur so sprudeln - könnte man meinen angesichts der berühmt-berüchtigten Diskussionsfreudigkeit der Zweibrücker Kommunalpolitiker

 Tadellos hat Oberbürgermeister Helmut Reichling (Mitte), hier napoleonisch gewandet mit Gästen aus der Partnerstadt Boulogne-sur-Mer, Zweibrücken nach außen repräsentiert. Foto: cos/pma

Tadellos hat Oberbürgermeister Helmut Reichling (Mitte), hier napoleonisch gewandet mit Gästen aus der Partnerstadt Boulogne-sur-Mer, Zweibrücken nach außen repräsentiert. Foto: cos/pma

Wie bewerten Vertreter aus Politik und Wirtschaft in Zweibrücken die achtjährige Amtszeit von Oberbürgermeister Helmut Reichling? Eine Frage, auf die die Antworten nur so sprudeln - könnte man meinen angesichts der berühmt-berüchtigten Diskussionsfreudigkeit der Zweibrücker Kommunalpolitiker. Doch als unsere Redaktion jetzt bekannte Zweibrücker einlud, die Leistung Reichlings in sechs Politik-"Fächern" in jeweils ein bis zwei Sätzen und einer Note zu bewerten, duckten viele den Kopf weg. Selbst die (schon lange nicht mehr aktive) Unterstützer-Bürgerinitiative für Reichling aus dem Wahlkampf 2003 sagte ab. Der Vorsitzende Egon Kirmse erklärte, er habe auch mit Mitstreitern von damals gesprochen, man wolle aber lieber nicht zurückblicken. SPD, CDU und FDP sprachen sogar in Fraktionssitzungen über die Merkur-Anfrage an einzelne Mitglieder, sagten aber mit ähnlichen Begründungen ab - man wolle nicht nachkarten. "Der Blick sollte nach vorne gerichtet sein", schrieb etwa Christian Gauf: "Und hier gibt es mit dem neu gewählten Oberbürgermeister Kurt Pirmann im kommenden Monat einen Neuanfang." Auch die IG Metall wollte sich nicht äußern.Bei der Bewertung mitgemacht haben schließlich Dieter Weber (Vorsitzender Bündnis Zweibrücker Wirtschaft) und der Werbegemeinschafts-Vorsitzende Mario Facco sowie die Vorsitzenden zweier Ratsfraktionen, die Reichling 2003 unterstützt hatten: Kurt Dettweiler (FWG) und Gertrud Schanne-Raab (Grüne Liste).

Hier die Bewertungen (wobei nicht alle Noten gaben, weil zum Beispiel Schanne-Raab nur "Reflexionen", aber keine "Bewertung" abgeben wollte. Dettweiler gibt Reichling "die Gesamtnote 2-3" und merkt noch an: "Herr Reichling übergibt die Stadt in einem guten Zustand." Er freue sich aber auch auf die Zusammenarbeit mit Nachfolger Kurt Pirmann. Und: "Der Stadtrat wird sicherlich in Zukunft ruhiger ablaufen, nachdem Pirmann ja eine Hausmacht hat, welche sicherlich nicht ständig an ihm herumnörgelt."

Wirtschaftsförderung:

Weber: Schade, dass der Wirtschaftsrat nicht am Leben gehalten wurde. Manch gute Idee hätte man daraus schöpfen können. Ansonsten blieb es bei der Wirtschaftsförderung bei vielen Ankündigungen. Note 3. Facco: Ich hätte mir gewünscht, dass Reichling aufgrund seiner Qualifikation als Marketing-Fachmann den Handel in der Innenstadt nach vorne bringt, aber das hat er nicht geschafft. Wir haben kein neues Alleinstellungsmerkmal, alles ist dahingedümpelt wie vorher auch. Weder aus dem angekündigten Business Improvement District noch aus sonst was ist etwas geworden. Dettweiler: Als Wirtschaftsfachmann hat Reichling alles daran gesetzt, die Wirtschaft Zweibrückens zu fördern. Neuansiedlung von zum Beispiel Conergy, Paletten Gölz ... Man muss aber auch beachten, dass in Zweibrücken kaum noch Industriefläche vorhanden ist. Schanne-Raab: Es ist wirtschaftlich nicht bergab gegangen. Es gab neue Ansiedlungen (zum Beispiel Hilgardcenter), aber viele Probleme bleiben ungelöst - und werden uns sicher länger als die nächsten acht Jahre beschäftigen.

Stadtentwicklung:

Weber: Viele Arbeitskreise, zu viele Gutachter - nach dem Motto "viele Köche verderben den Brei". Die Stadtentwicklung tritt auf der Stelle. Note 4. Facco: Da hat sich nicht viel bewegt. Es gab Vorschläge und Ideen, aber der Ball wurde nicht aufgefangen. Dettweiler: Die Stadt hat sich in Reichlings Zeit positiv weiter entwickelt. Hilgardcenter, Kita-Ausbau, Neubaugebiete … Schanne-Raab: Wir hatten große Erwartungen - zum Beispiel Stadtumbau nach dem Leitbild der Lokalen Agenda. Da ist nichts passiert. Haben wir nicht genügend Ausdauer und Überzeugungskraft gehabt? Hätten Reichlings Konkurrenten es anders gemacht?

Haushaltspolitik:

Weber: Klamme Kassen - leerer Geldbeutel - trotzdem gut gewirtschaftet. Note 2. Facco: Angesichts des über Jahrzehnte angehäuften Schuldenbergs war klar, dass Reichling die von ihm im Wahlkampf geweckten Hoffnungen nicht umsetzen konnte. Das ist aber ohnehin die Regel ... Dettweiler: OB Reichling hat den Haushalt transparent und ehrlich vorgelegt. Die Entscheidung, letztendlich zu sparen, liegt beim Rat. Die Vorgaben von Bund und Land sind erdrückend. Das Konnexitätsprinzip wird nicht eingehalten. Schanne-Raab: Trotz steigender Gewerbesteuereinnahmen ist der Haushalt von der Stadt allein nicht zu sanieren. Es gibt zu viele Pflichtaufgaben, deren Finanzierung nicht durch Bund oder Land gesichert sind (zum Beispiel Ausbau der Kindertagesstätten zur Betreuung der Kinder unter drei Jahren). Auch der Kommunale Entschuldungsfonds wird nicht alle Probleme lösen. Reichling hat sich entmutigen lassen.

Repräsentanz

der Stadt nach außen:

Weber: Gute Reden alleine helfen nicht. Trotzdem konnte Herr Professor Dr. Reichling kraft seiner Reputation punkten. Note 3. Facco: Da hat Reichling sehr, sehr gute Arbeit geleistet. Dettweiler: Die Stadt wurde vom OB nach außen hin sehr gut und souverän vertreten. Schanne-Raab: Hier lag sicher Reichlings Stärke (zum Beispiel 600-Jahr-Feier Herzogtum Pfalz-Zweibrücken, Besuch des Bundespräsidenten). Ich hätte mir persönlich aber mehr Einsatz in den Städtepartnerschaften gewünscht. Ich möchte noch einmal betonen, dass ich hier keine Abrechnung mit der Person des Oberbürgermeisters vornehmen will. An vielen Punkten muss ich mir die Frage stellen, wo ich/wir vielleicht hätten Veränderungen bewirken können oder sollen und es nicht getan haben.

Verhältnis Bürger/Politik:

Weber: Die Außendarstellung war ohne Zweifel nicht optimal. Die vielen Querelen haben kein klares Profil finden lassen. Note 3. Facco: Da kann er nicht viel bewirkt haben - sonst hätten die Bürger bei der Wahl 2011 sein Ergebnis von 2003 ja nicht mehr als halbiert. Dettweiler: Unser OB war sympathisch und bürgernah. Es war erfrischend und hoffnungsvoll, dass er ohne Partei als Hausmacht sein Amt ausgeübt hat. Schanne-Raab: Es gab gute Ansätze, zum Beispiel regelmäßige Bürgerversammlungen. Irgendwann schliefen sie wieder ein. Lag das nur an Reichling?

Umgang mit Stadtrat und Verwaltung:

 Hat Wirtschaftsexperte Reichling wirtschaftspolitisch richtig angepackt? Auch da gehen die Urteile auseinander. Foto: pma/voj

Hat Wirtschaftsexperte Reichling wirtschaftspolitisch richtig angepackt? Auch da gehen die Urteile auseinander. Foto: pma/voj

Weber: Da gehören Stadtrat und OB in "einen Sack". Alle zusammen Note 4. Facco: Ein OB ist wie der Star der Mannschaft: Er führt die Mannschaft - für das Ergebnis reicht es aber nicht, ein guter Sportler zu sein, sondern man braucht auch ein gutes Team. Und wenn man nicht gut zusammenarbeitet, hat man keinen Erfolg. So haben wir acht Jahre Zeit verloren. Dettweiler: Reichling war Hoffnungsträger der Wähler. Die Verwaltung hat er nach Leistungsprinzipien und nicht nach Parteibuch geführt. Da kommt es natürlich zu Stresssituationen in Verwaltung und Rat. Schanne-Raab: Im Rat hatten die kleinen Fraktionen mehr Chancen gehört zu werden als früher. Welche Rolle werden wir Kleinen in der Zukunft spielen? Verwaltung und OB Reichling blieben sich in vieler Hinsicht fremd. Über die Hintergründe kann man spekulieren ...

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