Schmerz, lass nach!

Erst zog es im Nacken, dann pochte der Kopf und zuletzt schien sein ganzer Körper regelrecht zu explodieren. Jahrelang, immer schlimmer. Vor lauter Schmerzen dachte der Mittelbacher Manfred Dörner schließlich an Suizid

Erst zog es im Nacken, dann pochte der Kopf und zuletzt schien sein ganzer Körper regelrecht zu explodieren. Jahrelang, immer schlimmer. Vor lauter Schmerzen dachte der Mittelbacher Manfred Dörner schließlich an Suizid. Wenn er, seines Zeichens protestantischer Pfarrer und Religionslehrer an der Berufsbildenden Schule Zweibrücken (BBS), solche Gedanken heute ausspricht, lächelt er freundlich, klingt gelassen, distanziert.

Weg mit der Fingerkuppe!

Mit "damals" meint er die Zeit zwischen 2001 und 2011. Als er sich vor lauter Qualen, teils Phantomschmerzen, etwa die Fingerkuppe mit dem Messer abschneiden wollte; Narben zeugen noch von den Versuchen. Die Tortur begann 2001. "Bei mir wurde eine sogenannte Spinalstenose festgestellt. Da war das Rückenmark eingequetscht, Bewegungen sind direkt aufs Rückenmark gegangen, über zwei, drei Wirbel wurde das Hirnwasser abgedrückt", erklärt Dörner und mustert die Röntgenaufnahmen von damals. Die Folge der Verengung im Hals: Er bekam Kopfweh, konnte den rechten Arm fast nicht mehr heben, glaubte eine dicke Brandblase am Fuß zu spüren, die wächst, die es aber faktisch gar nicht gab. "Oder ich glaubte, es regnet auf meine Hände, aber ich war im Haus", erzählt Dörner.

Operation Nummer eins

Abhilfe sollte eine Operation bei einem Spezialisten für Wirbelsäulen-Eingriffe in München bringen. Der Chef selbst operierte. Dörner: "Ich sollte um zehn Uhr dran sein, saß ab neun Uhr im OP-Hemd da, dann wurde es 14 Uhr und immer noch kein Arzt in Sicht. Dann kam er und erklärte mir, dass er gerade einen sehr schweren Eingriff hinter sich hätte und meine OP daher verschieben möchte." Die Folge: Dörner stieg einige Tage in der Klinik ab, zahlte dafür Tausende Euro privat drauf, wie er beklagt: "Das hat meine Ersparnisse aufgefressen. Aber ich stand vor der Wahl: Gebe ich Geld für einen Rollstuhl aus oder für eine gute Operation?" Der operierende Arzt habe damals gesagt, dass seine Ausfallerscheinungen eigentlich noch größer hätten sein müssen." Dörner: "Ich konnte etwa noch Motorrad fahren. Aber schon Huster oder Nieser hätten ein Desaster auslösen können", schildert der Patient rückblickend. Doch der chirurgische Eingriff - ein schwieriger, bei dem die Ärzte durch Dörners Hals vordrangen, aus seiner Hüfte ein Stück Knochen entfernten und es in Höhe des Kehlkopfes in die Wirbelsäule einfügten - brachte nur zeitweilig Besserung. Viel später erfuhr Dörner von einem anderen Wirbelsäulenchirurgen, dass das Implantat wohl falsch gewesen sei - da war es allerdings eingewachsen und nicht mehr zu entfernen.

Die Phantome sind zurück

Einige Zeit war Ruhe, dann kamen Phantom- und echte Kopfschmerzen zurück. Eine neuerliche Untersuchung 2007 zeigte: Eine Bandscheibe unter der operierten Stelle war bis auf kleine Reste verschwunden - ein Problem, das sich körperabwärts Bahn brach. Hieß für Dörner: In der gleichen Klinik nochmals in den Patientenkittel schlüpfen und unters Messer. Wieder musste er die Kosten "eines Mittelklassewagens für die Operation zahlen, alle Rücklagen aufbrauchen". Nicht mehr nur die Frage, ob er wieder gesund würde, stand im Raum. Dörner: "Wir hatten ein Haus gebaut und hohe Kreditraten. Wenn ich nicht mehr hätte arbeiten können, wäre das nicht zu halten gewesen. Auch die Ausbildung von zwei meiner vier Kinder hätte ich kaum mehr stemmen können."

Wer glaubte, der zweite Eingriff (diesmal wurde eine künstliche Bandscheibe eingesetzt) schaffe Abhilfe, der sah sich getäuscht. 2009 war der Tiefpunkt erreicht: "Ich dachte mir: 'Ein Indianer kennt keinen Schmerz' und habe den Helden gespielt", blickt Dörner zurück. Doch es tat wieder weh, schlimmer als zuvor. "Ich wollte mir mit dem Hammer auf die Stelle hauen, ich hatte Schmerzen im Finger, als ob ich sie in siedendes Öl tauche und mich dabei ertappt, wie ich mir mit dem Schweizer Messer die Kuppe abschneiden wollte." Die Belastbarkeit nahm ab, die Reizbarkeit zu. "Ich war nicht mehr wirklich ich selbst, hatte immer mehr das Gefühl, ich mache meine Sachen nicht mehr richtig."

Und davon gab es viele für den umtriebigen und engagierten Dörner: das Kriseninterventionsteam der Schule, die Notfallseelsorge, die Abenteuer-Bibel-Erwachsenenbildung, das Bündnis Buntes Zweibrücken, das er mit gegründet hatte und die Kriminalitätspräventions- sowie Integrationsausschüsse.

Dem Ende schon nah

Der Grad der Schwerbehinderung kletterte bis heute auf 70 Prozent, der Krankenschein wurde permanent, Dörner gesteht heute ein: "Mitte 2010 war mein Körper klüger als ich. Er hat Adrenalin in Massen ausgeschüttet. Das hat massiv meinen Darm angegriffen, die Ärzte haben mich vom Gleis geholt und erklärt: 'Sie haben Burnout.'" Ein Aufenthalt in einer Klinik im baden-württembergischen Bad Griesbach läutete die Wende zum Guten ein. Ein Spezialist dort erklärte ihm, dass nach den beiden Operationen keine Dritte mehr möglich sei, ohne sein Leben zu gefährden - es gebe schon zu viele Vernarbungen, er könnte bei einem weiteren Eingriff innerlich verbluten. Eine brisante, aber ungefährlichere Spritzentherapie half, arbeitsunfähig blieb er dennoch. Bei der folgenden Besserung halfen ihm die Zweibrücker Mediziner Dr. Rupert Lebmeier und Dr. Wolfgang Altmayer sowie der Neurologe Dr. Ulrich Hutschenreuther im saarländischen Dudweiler. "Wir mussten den Stress wegkriegen, sonst wäre der Darm bald durchlöchert gewesen. Außerdem erhöhte sich die Tumorgefahr, mir drohte ein künstlicher Darmausgang", erzählt Dörner nüchtern. Im St. Ingberter Schlaflabor fand man auch heraus, dass er nachts keine Sekunde in Tiefschlaf fiel.

Angeln um zu Überleben

Ende 2011 ging es endlich aufwärts. Die tägliche Tablettendosis sank von 17 auf inzwischen acht. Außerdem galt es, abzuschalten. "Yoga oder Tai Chi waren noch nie mein Ding, aber in meiner Reha habe ich begonnen zu angeln", erzählt Dörner, der nun Mitglied im Zweibrücker Angelsportverein ist. Am Stambacher Weiher, wenn der Nebel diesig emporgestiegen sei, dann sei das wie "ein Tag im Urlaub gewesen" und gleichzeitig "so anstrengend, als hätte ich Holz gehackt". Beim Angeln könne er die Schnüre nur ganz langsam verknoten, weil seine Finger teilweise taub geblieben sind. Das störe ihn aber nicht. "Der liebe Gott wird schon wissen, warum er das alles getan hat. Es wird für irgendwas gut sein."

Kochen und arbeiten

Inzwischen ist Dörner wieder in den Schuldienst eingestiegen. Erst bis zu den Osterferien dieses Jahres mit einer halben Stelle, danach mit steigender Stundenzahl, inzwischen wieder in Vollzeit, auch wenn die Schmerzen zuletzt wieder anstiegen. Seine "wahre Bestimmung" könne er jetzt dennoch wieder mit Genuss betreiben: das Kochen. Seit der Schmerz im ganzen Körper nicht mehr sein ständiger Begleiter sei, sei er viel belastbarer, ruhiger, weniger aufbrausend, wieder ein angenehmer Zeitgenosse. "Der liebe Gott hat mir Zeit gegeben, mich mal selbst kennenzulernen", sagt Manfred Dörner philosophierend, während er einen Cappuccino mit Piansa-Kaffee aufbrüht. "Das ist der Beste, den es gibt." Während seines Martyriums war er einer der Lichtblicke in seinem Leben. "Ich wollte mir mit dem Hammer auf die Stelle hauen."

 Manfred Dörner betrachtet Aufnahmen seines Rückens, die den Grund seines Leidens dokumentieren. Foto: Kolling

Manfred Dörner betrachtet Aufnahmen seines Rückens, die den Grund seines Leidens dokumentieren. Foto: Kolling

Manfred Dörner

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