Inzidenz über 100 Warum Pirmasens den Tritt auf die Corona-Notbremse verweigert

Mainz · Pirmasens hat die meisten Neuinfektionen in ganz Rheinland-Pfalz und liegt weit über der 100er-Schwelle – lässt aber entgegen der Bund-Länder-Beschlüsse alle Geschäfte geöffnet.

Eigentlich steht die Pirmasenser Ampel in Sachen Corona-Lockdown mit einer Inzidenz von 154,1 auf knallrot. Doch Oberbürgermeister Markus Zwick (CDU) gibt weiter grünes Licht für offene Geschäfte.

Eigentlich steht die Pirmasenser Ampel in Sachen Corona-Lockdown mit einer Inzidenz von 154,1 auf knallrot. Doch Oberbürgermeister Markus Zwick (CDU) gibt weiter grünes Licht für offene Geschäfte.

Foto: dpa/Uwe Anspach

„Viele Verbraucher in Rheinland-Pfalz müssen sich wegen der weiteren Ausbreitung des Coronavirus wieder auf Einschränkungen beim Shopping einstellen“, meldete am Sonntag die Nachrichtenagentur dpa. Denn am Sonntag stieg die landesweite Sieben-Tage-Inzidenz, also die Zahl der Neuansteckungen pro 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen, erneut an auf nun 56,4 und lag damit bereits den vierten Tag in Folge über der Schwelle von 50. Damit müssten in betroffenen Kommunen Lockerungen zurückgenommen werden. Landesweit lagen 17 Städte und Landkreise über der Marke von 50, drei sogar über 100 (Pirmasens Frankenthal und Altenkirchen).

Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) hatte dazu am Samstag erklärt: „In Kommunen, in denen die Inzidenz drei Tage oberhalb der 50 liegt, müssen zusätzliche Schutzmechanismen eingebaut werden: In den meisten Geschäften wird dann nur noch ein Termin-Shopping möglich sein.“ Beim Termin-Shopping gilt: Ein Kunde pro 40 Quadratmeter mit Anmeldung. „Überall gibt es die gleichen Regeln, die sich nach den Inzidenzen ausrichten: Unter 50 bleibt es wie es jetzt ist, über 50 greifen die zusätzlichen Sicherungsmechanismen und über 100 gilt die ,Notbremse’ mit einer weitergehenden Schließung des Handels und der strengen Kontaktbegrenzung auf einen Haushalt plus eine Person, sowie eine nächtliche Ausgangsbegrenzung“, erinnerte Dreyer an die nach der vergangenen Bund-Länder-Schalte mit Kommunen und Einzelhandel vereinbarten Regeln.

„Als wir landesweit unterhalb der Inzidenz von 50 waren, haben wir mit Einzelhandel, Kammern und Kommunalen Spitzenverbänden ein Bündnis für sicheres Öffnen geschlossen“, erinnerte Dreyer. Dabei seien gemeinsam Chancen ergriffen, aber auch Pflichten verabredet worden. „Deswegen ist jetzt jedem klar, was er tun muss.“

Doch ausgerechnet die Stadt mit der am Sonntag höchsten Inzidenz in ganz Rheinland-Pfalz – Pirmasens mit 154,1 – widersetzt sich offen der beschlossenen Notbremse-Pflicht. Zwar erließ Oberbürgermeister Markus Zwick (CDU) eine Allgemeinverfügung (die bereits ab Montag gilt) mit einzelnen Verschärfungen. Aber: Obwohl die Sieben-Tage-Inzidenz in der „Siebenhügelstadt“ (wie sich Pirmasens am Sonntag in der Pressemitteilung selbst bezeichnete) weit über der Notbremse-Schwelle von 100 liegt, bleibt das „Shopping für alle“ erlaubt – statt wie von Bund und Ländern vorgegeben ganz zu schließen. Auch Kosmetikstudios dürfen in Pirmasens weiter öffnen.

Das Abweichen von der rheinland-pfälzischen Corona-Bekämpfungsverordnung (welche die Bund-Länder-Beschlüsse in Rechtskraft gießt) begründete OB Zwick in einem Brief an das rheinland-pfälzische Gesundheitsministerium und in seiner Pressemitteilung mit „Besonderheiten bei der aktuellen Infektionslage“ in Pirmasens sowie mit „rechtlichen Gründen“. Der starke Anstieg der Infektionszahle in Pirmasens lasse sich in 44 Prozent der Fälle und damit „maßgeblich auf Corona-Ausbrüche in mehreren Kindertagesstätten zurückführen“. Die Geschäfte und körpernahe Dienstleistungen hätten erst seit 8. März wieder geöffnet und seien deshalb als Ursache der vielen Neuinfektionen „nahezu auszuschließen“. Eine gänzliche Schließung sei „aufgrund der besonderen Situation vor Ort unverhältnismäßig und rechtswidrig“, argumentierte Zwick. Der Oberbürgermeister verwies dabei auch auf das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Saarlouis, dass es am vergangenen Dienstag für rechtswidrig erklärt hatte, im Saarland Geschäften Terminvergaben vorzuschreiben, während Buchhandlungen und Blumenläden aufgrund der Bund-Länder-Beschlüsse normal öffnen dürfen.

Pirmasens verweigert auch eine nächtliche Ausgangssperre und die Einschränkung der Bewegungsfreiheit auf einen 15-Kilometer-Radius rund um die Stadt.

Obwohl Pirmasens mit seiner Allgemeinverfügung von den Bund-Länder-Beschlüssen abweicht, warnte OB Zwick „eindringlich vor einem regionalen Flickenteppich“, wie es hin der Pressemitteilung heißt. Bei Einhaltung der Bund-Länder-Beschlüsse müssten die Geschäfte in Pirmasens ab Montag schließen, im Landkreis Südwestpfalz wäre nur noch Termin-Shopping möglich und in Zweibrücken wären alle Läden normal geöffnet, erläuterte Zwick.

Südwestpfalz-Landrätin Susanne Ganster (CDU) hatte am Freitag angekündigt, erst am Montag nach Gesprächen mit dem Land eventuelle Lockerungs-Rücknahmen zu verfügen (wir berichteten).

Die Inzidenzzahl in Zweibrücken liegt sei mehreren Tagen stabil unter 50, am Sonntag bei 40,9. Am Samstag und Sonntag gab es in der Rosenstadt nur zwei bestätigte Neuinfektionen. In Pirmasens dagegen gab es neun Neuinfektionen (Inzidenz 154,1) und im Kreis Südwestpfalz ebenfalls neun (Inzidenz 94,9).

Von den südwestpfälzischen Neuinfektionen waren fünf in der Verbandsgemeinde Zweibrücken-Land (zwei in Contwig plus je eine in Bechhofen, Großbundenbach und Hornbach); In der VG Thaleischweiler-Wallhalben gab es zwei Fälle in Maßweiler und drei in Herschberg.

Ministerpräsidentin Dreyer kündigte am Samstag außerdem an: Wenn nach den Osterferien wieder mehr Kinder in die Schulen kämen, würden auch den Schülerinnen und Schülern Selbsttests angeboten. „Die Lehrer und Lehrerinnen können sich schon seit einigen Wochen testen lassen so oft sie wollen.“

Der Schlüssel zum „Sieg über Corona“ bleibe das Impfen, sagte die Regierungschefin weiter. Mehr als 330 000 Rheinland-Pfälzer hätten bis Samstag zumindest ihre erste Impfung erhalten. In allen Altenheimen sei schon mindestens zweimal geimpft worden und jeder Mensch über 80 Jahren könne bis spätestens Ostern einmal geimpft werden. „Wir alle wünschen uns, dass es noch schneller geht und wir die Ärzte miteinbeziehen können“, sagte Dreyer. „Deswegen wollen wir am Mittwoch bei der Konferenz mit der Kanzlerin wissen, womit wir rechnen können, damit wir einen Fahrplan für die Praxen festlegen.“

Was tun bei Corona-Verdacht? Das Gesundheitsamt rät: umgehend Hausarzt, Amts-Hotline (0 63 31) 809-750 (Mo-Fr 9-15 Uhr), die landesweite (0800) 99 00 400 (Mo-So 8-19 Uhr) oder die ärztliche Bereitschaftszentrale Tel. 116 117 anrufen.

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