Dellfelder Musical-Darsteller „Zazu“ hat nach 20 Jahren Zwangspause

Hamburg/Dellfeld · Musical-Darsteller Joachim Benoit aus Dellfeld fehlen die Auftritte bei „König der Löwen“.

 Joachim Benoit als Zazu.

Joachim Benoit als Zazu.

Foto: Brinkhoff/Mögenburg

Die Dunkelheit liegt über der Savanne. Nichts ist zu sehen, nichts zu hören, als plötzlich Rafikis Ruf, der so laut wie die unzähligen Hufe einer urgewaltigen „Stampede“ über die Steppe hallt, die Ungewissheit besiegt: „Nants igonyama baghiti Baba“, „Hier ist ein Löwe, sagen sie, Vater!“ Der Ruf, den die Schamanin in die Welt hinaus brüllt, soll allen Tieren verkünden: Simba, der König der Tiere ist geboren, die Hoffnung lebt!

Diese Szene ist der Beginn von „Circle of Life“ (deutsch: Der Kreislauf des Lebens), einem der bekanntesten und emotionalsten Lieder des „König der Löwen“.

„Woran ich mich erinnere, ist der letzte Auftritt, der letzte Abend mit Kollegen auf der Bühne“, schwelgt Benoit , der in Hamburg seit 18 Jahren den „Zazu“ gibt, in noch wachen Erinnerungen. „Circle of Life“ ist die erste und die letzte Nummer, die die Darsteller der Hamburger Produktion aufführen. In der heraufziehenden Morgenröte versammeln sich die Tiere der Savanne, um der Geburt des neuen Königs zu huldigen. Das Lied ist eine Feier auf das Leben und den ewigen Fluss der Zeit. Als die Szene am 12. März endet, erlöschen die Lichter nicht nur bis zur nächsten Aufführung, sondern auf unbestimmte Zeit und werden in diesem Jahr die Bühne nicht mehr erhellen.

Seit 18 Jahren habe er acht Mal pro Woche diese Szene immer wieder durchlebt, die Freude erkannt, die sie zum Ausdruck bringt und den parabelhaften Schluss der Kreises, der am Anfang des Musicals beginnt. Am Ende der Vorstellung an jenem Donnerstag, standen alle Darsteller zusammen und alles war irgendwie anders. Benoit bekennt, er habe geweint und sei sehr emotional gewesen, obwohl es sonst zu seinem Tagesgeschäft gehöre, Gefühle nach Bedarf zu erzeugen oder zu unterdrücken.

Der Künstler ist beim Berichten immer noch angegriffen: „Mir wurde klar: Das war das letzte Mal für eine ganz lange, nicht abschätzbare Zeit, dass wir uns gesehen hatten. Wir standen alle zusammen, Simbas kleiner Sohn wurde unter den Armen gestützt ’gen Himmel gereckt und zum ersten Mal seit fast 20 Jahren blieb die Erde stehen – „der Kreislauf des Lebens“ war durchbrochen.“

Mit kaum 21 Jahren verließ der Musical-Darsteller die Pfalz, um in der Großstadt seine Musical-Ausbildung abzuschließen, an den großen Theatern zu spielen und sein berufliches Glück zu finden. Er stand für „My Fair Lady“ auf der Bühne, spielte in „A Chorus Line“, war am Wiener Schauspielhaus zu sehen und wirkte in Berlin.

Letztlich landete er beim „König der Löwen“, als das Stück auf die große Bühne, nach Hamburg gebracht wurde. „Disney hatte anfangs noch gar keine Übersetzung für bestimmte Rollen. Ich hatte viel Freiheit bei meinem Spiel, da die Produzenten einem Muttersprachler vertrauten. So konnte ich die Rolle des „Zazu“ formen und mein eigenes Gefühl für Witz und Komik einbringen und entwickeln,“ erinnert sich Benoit. Natürlich habe es aber auch Produktionsvorgaben gegeben, die Rollen seien ohnehin sehr organisch, immer frisch und es gebe viele Choreographen und Mitarbeiter, die ständig eine Rückmeldung geben.

Als Benoit am 13. März zum allerletzten Mal seine Kollegen zu einer Besprechung im Stage-Theater im Hamburger Hafen getroffen hatte, war für ihn klar, er würde die notwendigsten und wertvollsten Habseligkeiten zusammenpacken, sein Stadtauto nehmen und sonntags über Nacht in die Pfalz fahren. „Im Grunde aus einer gewissen Panik heraus, aus Sorge um die Eltern, den Bruder und wegen der Tatsache, dass sie eben nicht eine Stunde entfernt wohnen – etwa in Hannover, sondern in der Pfalz, acht bis neun Autostunden entfernt, bin ich sofort losgefahren“, beschreibt der Pfälzer auf der väterlichen Veranda in Dellfeld die Situation.

So etwas habe er noch nicht erlebt, gibt er zu. Da die Mitarbeiter von „Disney on Broadway“ im Frühjahr etwas später nach Hamburg zum turnusmäßigen Treffen gekommen waren und erzählt hatten, China sei komplett abgesagt worden, wusste Benoit nicht, was ihm bevorsteht. „Dann hatte ich kurz vor dem Lockdown eine leichte Erkältung, verbrachte krankheitsbedingt ein paar Tage zu Hause, hatte im italienischen Fernsehen verfolgt, was in Italien vor sich ging und war schockiert.“ Auch schon im Frühjahr, bekennt er, sei er durch die Bilder aus Wuhan verunsichert gewesen.

Der Künstler berichtet, immer noch etwas vor den Kopf gestoßen, er hätte mit Vielem gerechnet, vielleicht, dass eine Show mal schlecht angenommen werde, was er nicht geglaubt hätte, oder dass ein Regisseur zu ihm sagt, „Benoit, das gefällt mir so nicht, was du spielst.“ Allerdings hätte er nie gedacht, dass ein Virus dafür verantwortlich sein würde, dass eine der erfolgreichsten Shows der Welt plötzlich still stehe.

Als Benoit Hamburg verließ, so drückt er es aus, sei er psychisch nicht gerade in bester Verfassung gewesen. Telefonate mit Kollegen und Freunden hatten ihm klar gemacht, viele Naturbegeisterte hätten in der, wie er es nennt „kleinen Stadtfläche“ der Hansestadt nichts anderes tun können als an die Alster zu gehen. Dort wäre es irgendwann eng geworden und hätte der Senat eine Ausgangssperre verhängt, wäre die Freiheit arg eingeschränkt worden. In Dellfeld angekommen spürt Benoit, dass die Pfalz viel Platz, Bewegungsfreiheit und eine unvergleichlich belebende Natur bietet, die er längst vergessen hatte, erzählt Benoit.

„Als ich von hier wegging“, so erklärt es der fast 50-jährige, „war ich etwas über zwanzig. In der Phase habe ich nicht wirklich wahrgenommen, was die Pfalz mir bieten kann.“ Jetzt, zurückgekehrt zum Ausgangspunkt seine Lebens, habe er gemerkt, dass diese Natur ihn beruhige und ihm Zufriedenheit geben könne. „Ich konnte abschalten und habe gespürt, es gibt trotz einer Krise Dinge, Alternativen, die einem Hoffnung schenken können. Es gibt immer etwas, das man tun kann.“ Der Musical-Darsteller sieht darin eine wichtige Erkenntnis für eine Grundhaltung, die den Menschen helfen könne, Krisen wie die Corona-Pandemie zu überstehen.

Aufgaben gäbe es auch in der Heimat, sagt Benoit. Er habe dabei geholfen, die Blockhütte, die Gaststätte seines Bruder „coronakonform“ umzugestalten. Auf die Frage, ob es etwas gebe, das man aus dieser Krise lernen könne, gibt er ganz selbstbewusst zu bedenken, „wir waren und sind alle in Deutschland auf einem immens hohen Niveau des Konsums. Das gilt für materielle Güter ebenso wie für die Kunst. Wir fliegen für 19 Euro nach Mallorca, verbrauchen mehr Kleider denn je und verkonsumieren jegliche Form der Kunst als sei sie selbstverständlich.“

Die Kunst, das ist dem gebürtigen Dellfelder klar, sei das letzte Glied in der Kette, das wieder an den Start gehe und doch müsse man jetzt erkennen, um welch hohes Gut es sich bei ihr handle.

Auch wenn seine „Firma“ schnell und vorbildlich reagiert habe und sofort Kurzarbeitergeld gezahlt worden sei, dürfe er sich als Musical-Darsteller im Vergleich zu einigen anderen freischaffenden Künstlern sehr privilegiert schätzen. Benoit berichtet von Kollegen aus Sao Paulo und Rio de Janeiro, die in Hamburg geblieben sind, und stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten diese Menschen hätten, Eltern und Verwandte zu sehen.

„Wer weiß, wie lange ich dieses anstrengende Gewerbe auf der großen Bühne bedienen kann. Vielleicht habe ich irgendwann ein „Tinyhouse“, ein kleines containerartiges Häuschen auf dem Grundstück meines Vaters und spiele kleinere Produktionen in Theatern der Umgebung, um öfter hier zu sein und vielleicht meine Familie zu unterstützen“, wagt der kreative Kopf einen Blick in die Zukunft.

 Der gebürtige Dellfelder Joachim Benoit vergoss Tränen nach der letzten Vorstellung vor der Zwangsschließung der Theater.

Der gebürtige Dellfelder Joachim Benoit vergoss Tränen nach der letzten Vorstellung vor der Zwangsschließung der Theater.

Foto: Peter Lang

Shows wie „Der König der Löwen“ seien sehr vereinnahmend, die Darsteller seien immer auf der Seite der Dienstleistung und hätten kaum Zeit für Dinge, die für andere Menschen normal sind. „Ich hoffe – und das ist mein Traum – dass, wenn dieser „Spuk“ vorüber ist, die Menschen wieder nach Kultur und schönen Dingen Ausschau halten und wir wieder vor vollem Hause spielen dürfen“, ergänzt der Musical-Darsteller abschließend.

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