Kinderarzt Fred Konrad empört über von Leopoldina empfohlene längere Kita-Schließungen „Wieder trifft es Kinder und Frauen“

Käshofen/Zweibrücken · Vor allem das Wohlergehen von Kindern aus bildungsfernen Familien ist gefährdet, falls die Politik der Leopoldina-Empfehlung folgt, Kitas weiter nur für Notbetreuung zu öffnen, warnt Dr. Fred Konrad.

 „Eine mehrmonatige Kita-Schließung gefährdet die Bildungsfähigkeit einer Kita-Generation“, befürchtet der Käshofer Kinder- und Jugendmediziner Dr. Fred Konrad, dass die Kindertagesstätten (abgesehen von Notbetreuung) weiter leer bleiben – zumal Kinder durch das Coronavirus deutlich weniger gefährdet seien als Erwachsene.

„Eine mehrmonatige Kita-Schließung gefährdet die Bildungsfähigkeit einer Kita-Generation“, befürchtet der Käshofer Kinder- und Jugendmediziner Dr. Fred Konrad, dass die Kindertagesstätten (abgesehen von Notbetreuung) weiter leer bleiben – zumal Kinder durch das Coronavirus deutlich weniger gefährdet seien als Erwachsene.

Foto: dpa/Sina Schuldt

Eine Wissenschaftler-Arbeitsgruppe der Nationalen Akademie der Wissenschaften empfiehlt, aufgrund der Corona-Pandemie Kindertagesstätten bis zu den Sommerferien bis auf Notgruppenangebote geschlossen zu halten –mit der Begründung, Kinder dieser Altersstufe könnten Abstandsregeln nicht umsetze (wir berichteten). Der Käshofer Mediziner Fred Konrad (in Zweibrücken auch als früherer Grünen-Landtagsabgeordneter und Oberbürgermeister-Kandidat bekannt) ist darüber so empört, dass er einen offenen Brief verfasst hat.

Dr. Konrad, der in Käshofen lebt und in Kusel eine Praxis hat, schreibt: „Als Kinder – und Jugendarzt sehe ich diese Maßnahme als absolut unverhältnismäßig an: Es ist viel einfacher, eine verkleinerte Kitagruppe räumlich von andern Gruppen zu isolieren, als eine Klasse in Sekundarstufe 1, deren Stundenplan Raumwechsel und gleichzeitige Pausen mit anderen Klassen erforderlich machen. Außerdem ist die persönliche Betreuung der Kita von der gemeinsamen Anwesenheit von Erzieher*innen und Kindern abhängig, während Lernaufträge der Schule in gewissem Maß nach zuhause verlagert werden können.“

Dr. Konrad warnt vor den Folgen, wenn Kita-Kinder monatelang zuhause bleiben müssen: „Ein solches Vorgehen würde Kinder und Familien als Gruppe benachteiligen, obwohl beide Alterskohorten – Kinder und Eltern überwiegend bis 50 Jahre – eine geringe Gefährdung haben. Jede Grundrechtseinschränkung bedarf einer Rechtfertigung. Bezogen auf die genannten Alterskohorten frage ich mich, wie die Rechtswissenschaftler in der Arbeitsgruppe zu diesem Widerspruch stehen.“

Dr. Konrad kritisiert: „Wieder trifft es Kinder und überwiegend Frauen. Leidtragende sind vor allem unterprivilegierte Menschen: Und natürlich kommt die Empfehlung fast ausschließlich von männlichen Professoren.“ Konrad zählt in seinem Brief die Namen der 26 Mitglieder der Arbeitsgruppe, darunter sind nur zwei Frauen.

Es habe Jahrzehnte gedauert, Kindertagesstätten aus der Rolle als reiner Betreuungseinrichtung zu Orten der frühkindlichen Bildung zu entwickeln, erinnert Konrad – und wundert sich: „In der Empfehlung der Arbeitsgruppe beginnt Bildung erst in der Grundschule bzw. in der Vorschule, dem letzten Kindergartenjahr: Dies ist absolut anachronistisch und sachfremd. Ich durfte als Kinder- und Jugendarzt erleben, welche immensen Fortschritte gerade die frühkindliche Bildung in den letzten Jahren gemacht hat. Auch und vor allem bei Kita-Kindern aus bildungsfernen Familien gefährdet eine mehrmonatige Kita-Schließung die Bildungsfähigkeit einer Kita-Generation.“

Auch Kinderschutz könne nur stattfinden, wenn ein Zugang zu den Kindern besteht: „Die kleinsten Kinder sind die schutzlosesten: Auch dies würdigt die Stellungnahme nicht.“

Die Erfahrung mit der Betreuungseinschränkung auf Notgruppen seit Mitte März zeige zudem, dass wieder vor allem Frauen und Berufstätige aus sozialen Berufen ihre Berufsausübung einschränken, um das Familieneinkommen zu sichern. Frauen, weil sie schlechter bezahlt werden als ihre männlichen Kollegen und Berufstätige in den sozialen Berufen, die schlechter vergütet werden, als beispielsweise Jobs in der Industrie.

 Der Kinder- und Jugendarzt  Dr. Fred Konrad.

Der Kinder- und Jugendarzt Dr. Fred Konrad.

Foto: picture alliance / dpa/Birgit Reichert

Die Stellungnahme der Leopoldina-Arbeitsgruppe war als grundlegend für die anstehenden politischen Entscheidungen über die Pandemie-Eindämmungsmaßnahmen angekündigt. Doch Konrad fordert: „Eine solche Stellungnahme darf auf keinen Fall grundlegend für die politischen Entscheidungen diese Woche sein! Diese Empfehlung ist familienpolitischer, genderpolitischer und bildungspolitischer Skandal! Sie gefährdet grundlegende gesellschaftliche Fortschritte der letzten Jahrzehnte. Ich appelliere an alle politisch Verantwortlichen der Empfehlung der Leopoldina-Arbeitsgruppe in Bezug auf die frühkindliche Bildung nicht zu folgen!“

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