"Die Resignation ist ein großer Faktor"

Vor 40 Jahren gingen 18-Jährige zum ersten Mal wählen. Wie sehen Sie diese Entwicklung?Christina Rauch: Durchweg positiv natürlich. Die Herabsetzung des Wahlalters ist ja ein Erfolg der 68er Generation - auch die Volljährigkeit wurde dann Mitte der 70er Jahre gesenkt. Auch für uns persönlich ist es positiv

Vor 40 Jahren gingen 18-Jährige zum ersten Mal wählen. Wie sehen Sie diese Entwicklung?Christina Rauch: Durchweg positiv natürlich. Die Herabsetzung des Wahlalters ist ja ein Erfolg der 68er Generation - auch die Volljährigkeit wurde dann Mitte der 70er Jahre gesenkt. Auch für uns persönlich ist es positiv. Sonst hätten wir auch nicht schon so früh in den Stadtrat gewählt werden können.Florian Scharfenberger: Klar, auch ich sehe die Entwicklung positiv. Für uns war es mit 18 etwas Besonderes zur ersten Wahl zu gehen und mitzubestimmen.Heute hört man häufig von Politikverdrossenheit, gerade bei der Jugend. Wie empfinden Sie das?Rauch: Im Allgemeinen kann man nicht einfach von Politikverdrossenheit der jüngeren Generation reden. Im Laufe der Zeit hat die Wahlbeteiligung insgesamt nachgelassen. Nicht nur junge Menschen und Neuwähler gehen nicht zur Wahl - die geringere Beteiligung zieht sich durch alle Altersstufen.Scharfenberger: Die Sozialisierung durch das Elternhaus und das soziale Umfeld spielen dort eine große Rolle. Bei vielen ist das vielleicht abhanden gekommen. Von Politikverdrossenheit im eigentlichen Sinne kann nicht die Rede sein. Ich würde eher von einer Systemproblematik sprechen - es beginnt auf einer viel höheren Ebene. Für viele ist es Resignation, nach dem Motto: Egal wo ich mein Kreuz mache, die machen ja sowieso, was sie wollen. Aber das betrifft nicht die Jugend allein.Rauch: Ja, Resignation ist sicherlich ein großer Faktor. Aber ich denke, es gibt auch Menschen, die einfach zufrieden sind und deshalb alles laufen lassen.Einige Fraktionen fordern eine weitere Senkung des Wahlalters auf 16? Was denken Sie darüber?Scharfenberger: Grundsätzlich kann man nicht sagen, dass 16-Jährige zu unreif sind, um bei einer Wahl mitzuentscheiden. Auch sie setzen sich mit politischen Themen auseinander. Jugendliche machen früh eine Ausbildung, dürfen mit 17 Auto fahren. Auch dafür müssen sie reif genug sein. Auf der anderen Seite glaube ich, dass die Jugend ein Stück weit überfordert ist. In der heutigen Leistungsgesellschaft fehlt es an kulturellen Werten. Unser System funktioniert nicht mehr wirklich. Die Anforderungen, das eigene Leben auf die Reihe zu bekommen, sind für viele sehr hoch.Rauch: Das ist nicht so einfach. Es gibt sicherlich 16-Jährige, die reifer sind als manch 20-Jähriger. Aber Jugendliche sind heute oft uninformiert. Dabei kommt auch den Schulen eine große Verantwortung zu, nicht nur dem Elternhaus. Würde man mit den Schülern debattieren und konstruktive Streitgespräche führen, könnte man junge Menschen besser an Themen heranbringen. Das fehlt hier in Zweibrücken. Aber man kann schwer pauschalisieren, ob alle unter 18-Jährigen reif genug sind an Wahlen teilzunehmen oder nicht.Scharfenberger: Zudem ist die Gesellschaft allgemein nicht mehr so politisiert wie noch in den 60er und 70er Jahren. Heute ist das Interesse für Playstation oder Wii einfach größer. Dennoch muss man Jugendliche ernst nehmen und nicht mit dem erhobenen Zeigefinger mit ihnen reden oder vorschreiben, wie sie sich politisch zu verhalten haben.Würde ein Senken des Wahlalters der angeblichen Politikverdrossenheit entgegenwirken?Rauch: Nach dem Motto: "Ihr habt zu wählen, also geht gefälligst!" Ob das hilfreich wäre? Man muss mehr tun, als den Jugendlichen einfach nur das Recht zu geben. Man muss das Interesse wecken und den Jugendlichen vertrauen schenken.Scharfenberger: Die Wahlbeteiligung würde sich dadurch nicht schlagartig erhöhen. Wie wir schon sagten, bleiben ja nicht nur die jüngsten Wähler von Wahlen fern. Ich denke, dass auch bei Jugendlichen die Bereitschaft da ist, sich zu engagieren. Es gibt pro und contra für die Absenkung des Wahlalters. Aber erhofft man sich dadurch eine höhere Wahlbeteiligung, dann hakt es.Rauch: Ich denke, es liegt auch an uns, neue Ideen einzubringen und Themen anpacken, die Jugendlichen auf der Seele brennen. Aber ich denke, bevor man das Wahlrecht weiter absenkt, gibt es noch viel Redebedarf. Dabei sollten aber auch die Jugendlichen gehört werden.Sind ältere Wähler immer besser informiert?Rauch: Wählen gehen heißt nicht, besser informiert zu sein. Ältere sehen in Wahlen noch das höchste staatsbürgerliche Recht. Für viele war es etwas Besonderes, endlich wählen zu dürfen.Scharfenberger: Viele ältere Menschen gehen wählen, weil sie sich in der Pflicht sehen. Sie haben miterlebt, wie unser Grundgesetz in Kraft getreten ist. Da ist noch ein Hörigkeitsdenken vorhanden. Ob man deshalb besser informiert ist? Ich denke auch nicht, dass die, die nicht wählen, meinungslos sind.Haben Sie das Gefühl, auch als die jüngsten Mitglieder des Stadtrates etwas bewirken zu können?Rauch: Man lernt hier schnell, dass alles ein großer Kompromiss ist. Man muss sich da einfinden und das in vielen Bereichen. Wenn Du neu bist, ist das immer so. Scharfenberger: Die Orientierungsphase ist einfach da. Aber, wenn ich das Gefühl hätte, im Stadtrat gar nichts bewegen zu können, wäre ich auch nicht dabei. Natürlich ist auch hier auffällig, dass die Jugend in der Unterzahl ist. Politisches Engagement kostet eine Menge Zeit.Rauch: Zudem schwimmen viele lieber mit dem Mainstream, das ist einfacher. Auch die Unsicherheit in der heutigen Zeit, wie es mit dem Studium, der Ausbildung und der Zukunft weiter geht, ist schon enorm. Da ist es schwer, sich politisch zu engagieren.

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"Von Politikverdrossenheit im eigentlichen Sinne kann nicht die Rede sein. Ich würde eher von einer Systemproblematik sprechen. Für viele ist es vor allem Resignation, nach dem Motto: Egal, wo ich mein Kreuz mache, die machen sowieso was sie wollen."
"Von Politikverdrossenheit im eigentlichen Sinne kann nicht die Rede sein. Ich würde eher von einer Systemproblematik sprechen. Für viele ist es vor allem Resignation, nach dem Motto: Egal, wo ich mein Kreuz mache, die machen sowieso was sie wollen."