„Wie im Bauch der Titanic“

Völklingen · Es war der technisch anspruchsvollste und teuerste Abschnitt der Sanierung: die Sicherung und Entgiftung der drei Trockengasreinigungen des alten Völklinger Eisenwerks. Rund 23 Millionen Euro wurden investiert. Wann Besucher Zugang finden, ist noch offen.

 Die einsturzgefährdeten Trockengasanlagen wurden zuerst von Giftstäuben gereinigt, dann durch Innengerüste statisch gesichert. Foto: Gundelwein/Hütte

Die einsturzgefährdeten Trockengasanlagen wurden zuerst von Giftstäuben gereinigt, dann durch Innengerüste statisch gesichert. Foto: Gundelwein/Hütte

Foto: Gundelwein/Hütte

Es war ein auf dem Völklinger Röchling-Gelände entwickeltes Recycling-Verfahren, das der Lübecker Filtertechnik-Firma Beth die Auftragsbücher füllte. Kaum waren die Völklinger Trockengasreinigungen in den Jahren nach 1910 am Laufen, orderten europaweit 40 Firmen nach. Innovation made im Saarland. Rund 100 Jahre später ist es wieder eine technische Spitzen- und Spezialleistung, die die saarländische Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD ) auf das Hüttengelände zieht. Gestern ging es um einen Sanierungsprozess, für den es, so die Ministerin, weltweit "keine Blaupause" gab. In rund fünf Jahren wurden die drei Trockengasreinigungen (1910-1925) - hoch toxische Flächen und Maschinenteile - zuerst gereinigt und dann statisch gesichert. Rund 23 Millionen Euro kostete das, hälftig finanziert vom Bund sowie jeweils zu 25 Prozent von Land und Europäischer Union. Sieben Millionen Euro davon flossen über Aufträge zurück an Saar-Firmen, das betonte Ministerin Rehlinger gestern bei der Vorstellung der Maßnahme.

Es war dies nach Angaben des Weltkulturerbes das bisher größte Bauprojekt. Und, wie es scheint, war es auch das aufregendste und gefährlichste. Jedenfalls hörte es sich nach einer Art Krimi an, was der Leiter der Hüttenbauhütte, Andreas Timm, gestern Medienvertretern über den Entgiftungsprozess erzählte. In der zweijährigen Kernphase waren täglich bis zu 100 Arbeiter mit Bürsten und Wasser im Einsatz, um Wände, Einbauten, ja jeden Nagel, von giftigen Stäuben und Asbest zu befreien. "Astronautenmenschen" in Ganzkörperanzügen, die auch in das Innere der gigantischen Rohre kletterten. 20 Mal pro Stunde wurde für sie die Luft in der Halle ausgewechselt. Diese zeitraubende Knochenarbeit - es kamen 340 000 Arbeitsstunden zusammen - lieferte die Voraussetzung dafür, dass gestern anlässlich des Ministerinnen-Besuchs die Trockengasreinigung II erstmals überhaupt Besucherblicken geöffnet wurde. Ein "historischer Moment", so Weltkulturerbe-Chef Meinrad Maria Grewenig . Bis vor 30 Jahren habe die Hütte der schwerindustriellen Produktion gedient, nun werde sie einer neuen Nutzung durch Touristen zugeführt. Wobei Grewenig offen ließ, wie und wann der Anschluss an die Besucherwege und ob überhaupt eine generelle Öffnung realisiert wird. Zumindest durften gestern Journalisten schon mal hinein, in eine zerklüftete, unwegsame Pompeji-Kulisse des Industriezeitalters mit bis zu zehn Meter hoch aufragenden engen Schluchten aus eisernen Filter-Kammern. Zweifelsohne handelt es sich um einen der architektonisch extremsten und atmosphärisch dichtesten Orte des Völklinger Denkmals. Rund 50 Mann waren einst hier im 24-Stunden-Betrieb im Einsatz, heiß war's und stinkig, ihre Arbeitsplätze galten laut Andreas Timm schon damals als gesundheitsgefährdend.

Touristisch verwertbare proletarische Schauer-Nostalgie? "Es ist wie im Bauch der Titanic ", freut sich jedenfalls der Weltkulturerbe-Chef Grewenig. 80 Prozent des Gesamtsanierungsabenteuers, bei dem die Rettung der Trockengasreinigungen eine der unkalkulierbarsten Phasen war, hat er geschafft.

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Auf einen BlickIn den Trockengasreinigungen wurde das Gichtgas, das beim Verhüttungsprozess entstand, durch Baumwollfilter von Erzstaub und Koksresten gereinigt. Dadurch wurde das Gas wiederverwertbar, etwa für die Gebläsemaschinen. ce

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