Vom Regelbrecher zum Regelhüter

Frankenthal · In der JVA Frankenthal können sich Häftlinge zu Fußball-Schiedsrichtern ausbilden lassen. Neben Abwechslung im öden Gefängnis-Alltag verspricht das Projekt auch eine Perspektive für die Zeit nach der Entlassung.

Fast könnte sich Roland Schäfer einbilden, er unterrichtete da in einem ganz gewöhnlichen Klassenraum: Fußball-Fragebögen auf den Plätzen, vorn die grüne Tafel, ein Ball auf dem Boden. Alles wie immer in seinen Seminaren - wenn nicht die Gitterstäbe vor den Fenstern wären. Statt normalen Schülern sitzen in den Reihen Häftlinge . In ein paar Wochen werden sie ihre Prüfung zum Fußball-Schiedsrichter ablegen.

Von Gefängnismannschaften, die im untersten Ligabetrieb hinter Gittern nur Heimspiele austragen, um sich die Zeit zu vertreiben, hat man schon öfter gehört. Aber bloß gegen einen Ball zu kicken, wäre Schäfer, dem Schiedsrichter-Obmann des Kreises Rhein-Pfalz, zu wenig gewesen, als er im März dieses Jahres mit einem ersten Kurs das etwas eigenwillige Projekt mit der Justizvollzugsanstalt (JVA) Frankenthal startete. "Schiedsrichterei hat auch etwas mit Verantwortung zu tun", sagt der 61-Jährige.

Das Thema der Stunde ist passend: verbotenes Spiel und unsportliches Betragen. "Schlagen hat auf dem Platz nix verlor'n! Hat generell nix verlor'n! Genauso wenig wie Spucken", sagt Schäfer. Die Häftlinge haben gut gelernt und wissen, wann es Verwarnung und wann Platzverweis, wann es wie lange Sperre gibt. Sie selbst sitzen zum Beispiel wegen Drogendelikten oder Gewaltanwendung - und verteidigen nun Regeln, obwohl sie selbst welche gebrochen haben.

Wie aber geht jemand mit Gewalt um, der früher selbst zugeschlagen hat? Wo heutzutage von der Kreisklasse bis hoch zur Bundesliga die Kritik an Schiedsrichtern immer aggressiver wird - in Worten, aber gerade im Amateurbereich, wo die Häftlinge später pfeifen sollen, manchmal auch in Taten. "Damit müsst ihr rechnen!", sagt Schäfer seinen Schützlingen. Und dann vor allem: ruhigbleiben. Ein Schiedsrichter kann es sich nicht leisten, die Kontrolle zu verlieren. Er soll schließlich Vorbild sein.

Die Verantwortung ist Bürde und Motivation zugleich: Was der Schiedsrichter sagt, ist auf dem Rasen das Maß der Dinge. Ziemlich viel Macht, wenn man bedenkt, dass im Gefängnis für einen Häftling das Gegenteil gilt. Doch um die Macht geht es ihnen gar nicht so sehr, sagen sie. Hinter hohen Mauern und Stacheldraht sieht jeder Tag gleich aus - da genügt es schon, durch die Entscheidung für einen Kurs wie den der Referees im strikt durchgeplanten Alltag "einfach mal wieder etwas selbst bestimmen" zu dürfen. Fußballaffin sind sie ohnehin alle.

Wenn sie nach Monaten oder Jahren wieder draußen sind, ist Abwechslung kaum noch von Belang. Trotzdem pfeifen aus dem ersten Kurs vier der zwölf Häftlinge regelmäßig. Es sei einfach das Gefühl, etwas geschafft zu haben, sagen sie: ein ganzes Spiel - von An- bis Abpfiff. "Viele haben in ihrem Leben noch nie etwas zu Ende gebracht", erzählt Natascha Becker, die Dezernentin der JVA. Eine Urkunde für den Lehrgang und damit verbunden die erworbene Qualifikation seien so gesehen für manchen schon ein echtes Erfolgserlebnis.

Schäfer kann nicht garantieren, dass nicht auch einer dieser Jungs hier im Klassenraum irgendwann noch einmal straffällig wird. Auch einen abgebrochenen Schulabschluss kann die Schiedsrichter-Lizenz nicht ersetzen - vielleicht aber den einen oder anderen motivieren, ihn mit dem neu gewonnenen Gespür für Verantwortung doch noch einmal anzugehen. "Wenn auch nur einer über diesen Weg die Chance hat, in seinem Leben etwas besser zu machen - dann ist es all den Aufwand schon wert gewesen."

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