Viele neue Unterkünfte im Ahrtal „Wie eine Befreiung“: Minihäuser für Flutopfer

Grafschaft-Ringen · Tausende Bewohner der Ahr-Flutregion mussten ihre beschädigten Häuser verlassen. Nach Notaufenthalten bei Verwandten und Freunden kommen jetzt viele in neuen „Tiny Houses“ unter.

 Doris und Peter Bruch spazieren neben Tiny Houses (von denen im Ahrtal eine der größten Ansammlungen bundesweit entsteht). Eines dieser Minihäuser haben sie vor wenigen Tagen selbst bezogen. Die Sturzflut in der Nacht auf den 15. Juli war auch durch das komplette Erdgeschoss ihres Reihenhauses in Bad Neuenahr-Ahrweiler geströmt.

Doris und Peter Bruch spazieren neben Tiny Houses (von denen im Ahrtal eine der größten Ansammlungen bundesweit entsteht). Eines dieser Minihäuser haben sie vor wenigen Tagen selbst bezogen. Die Sturzflut in der Nacht auf den 15. Juli war auch durch das komplette Erdgeschoss ihres Reihenhauses in Bad Neuenahr-Ahrweiler geströmt.

Foto: dpa/Thomas Frey

Mehrere Nachbarn ertrinken in einer Tiefgarage, ein um Hilfe schreiender Mann hängt im Morgengrauen tot in einem nahen Baum: Ihre Erlebnisse während der Flutkatastrophe im Ahrtal werden Doris und Peter Bruch wohl nie mehr vergessen. Die Sturzflut in der Nacht zum 15. Juli ist auch durch das komplette Erdgeschoss in ihrem Reihenhaus in Bad Neuenahr-Ahrweiler geströmt. Nach einem zeitlich begrenzten Notaufenthalt in einer Bonner Wohnung unterm Dach hat das Ehepaar in der dunklen und kalten Jahreszeit nun originelle neue vier Wände gefunden. „Solange man nicht gleich fünf Kinder hat, ist es hier sehr gut“, sagt Doris Bruch (70).

Lichterketten an Geländern, Weihnachtsbäumchen auf kleinen Terrassen und ein weiter Blick über Wiesen und Felder: 25 komplett ausgestattete Tiny Houses, also Minihäuser, beherbergen seit kurzem in Grafschaft-Ringen hoch über dem Ahrtal obdachlose Flutopfer. Die neue kleine Straße Herzensweg verbindet die Holzhäuschen. In einem Container laufen Waschmaschinen und Trockner.

Endlich wieder eigene vier Wände im Winter nach Notaufenthalten bei Verwandten und Freunden, in Ferienwohnungen und Wohnwagen. Auch an etlichen anderen Stellen in der Ahrregion entstehen kleine Tiny-House-Dörfer für Flutopfer, finanziert mithilfe von Spenden und Sponsoren. Die Nachfrage übersteigt das Angebot. Laut dem rheinland-pfälzischen Sozialminister Alexander Schweitzer (SPD) bieten die Häuschen „den Betroffenen vorübergehend ein eigenes Dach über dem Kopf und ein neues Zuhause“. „Gerade jetzt vor Weihnachten ist das ein positives und wichtiges Signal auch für die Region.“

An diesem Samstag will Schweitzer mit der Aktion Deutschland Hilft und einem Mobilfunkunternehmen in der Ahrregion weitere Tiny Houses Flutopfern zur Verfügung stellen. Bei dem Hochwasser nach extremem Starkregen am 14. und 15. Juli kamen im Ahrtal 134 Menschen ums Leben, Tausende Häuser wurden beschädigt oder zerstört.

Die wärmegedämmten Holzhäuser mit Heizung messen oft 4 mal 8,5 Meter, haben also 34 Quadratmeter Grundfläche und zusätzlich eine kleine Terrasse. Es gibt ein Wohnzimmer mit Küchenzeile, zwei Schlafräume, ein Bad mit Dusche und einen kleinen Abstellraum. Doris Bruch sagt: „Es ist alles da: Bettbezüge und Handtücher, Toaster und Kaffeemaschine.“ Ihr 72-jähriger Mann Peter ergänzt: „Der erste Tag hier ist wie eine Befreiung gewesen. Endlich was Eigenständiges.“ Zugleich läuft der Wiederaufbau ihres Hauses nahe der Ahr, in dem sie so viele Erinnerungsstücke wie Kinderzeichnungen und Fotos verloren haben. Im Laufe des Jahres 2022 will das Rentnerpaar zurückziehen.

Zwei Tiny Houses weiter in Grafschaft-Ringen sagt eine 36-Jährige, die ihren Namen nicht nennen will: „Es ist gemütlich hier und wir haben ein Dach über dem Kopf. Das ist das Wichtigste.“ Sie hat zwei kleine Kinder, genauso wie auch Granit Kuçi wieder zwei Minihäuser weiter. Der 32-Jährige sagt: „Wir sind hier gut angekommen. Wir haben Glück gehabt.“ In einer anderen Häuserzeile ist Michael Ölschläger mit seinen zwei 17 und 19 Jahre alten Töchtern untergekommen. Er bemerkt mit Blick über das Tiny-House-Dörfchen: „Es fühlt sich hier ein bisschen wie eine Verlängerung von Urlaub an, trotz Alltag.“

Die Gemeinde Grafschaft teilt mit, mit Unterstützung des Hilfsvereins eines Süßwarenherstellers seien die 25 möblierten Minihäuser am neuen Herzensweg aufgestellt worden. Die Gesamtkosten beliefen sich voraussichtlich auf rund 100 000 Euro pro Gebäude, insgesamt also auf 2,5 Millionen Euro. Bewohner Peter Bruch gibt eine monatliche Miete von 455 Euro inklusive aller Nebenkosten an.

Seit dem Spätherbst sind laut der Gemeinde Grafschaft mehr als 60 Bewerbungen für die 25 Häuschen eingegangen: Daher „waren wir gezwungen, eine Auswahl zu treffen“. Zunächst seien „unter der Berücksichtigung der Sozialverträglichkeit“ Familien, dann Paare und schließlich einzelne Flutopfer ins Auge gefasst worden.

 Die Flüchtlingshäuschen am Flugplatz Zweibrücken gehören mittlerweile der Bundespolizei. Sie sind für Ahrtal ungeeignet – und die Bundespolizei will sie bald abtransportieren, um sie bundesweit für eigene Unterkunftsbedarfe zu verwenden, wie es vor einigen Monaten auf Merkur-Anfrage hieß.

Die Flüchtlingshäuschen am Flugplatz Zweibrücken gehören mittlerweile der Bundespolizei. Sie sind für Ahrtal ungeeignet – und die Bundespolizei will sie bald abtransportieren, um sie bundesweit für eigene Unterkunftsbedarfe zu verwenden, wie es vor einigen Monaten auf Merkur-Anfrage hieß.

Foto: Nadine Lang

In Sinzig nahe der Ahrmündung in den Rhein werden laut Stadtverwaltung 42 Tiny Houses aufgestellt. Die Kreisstadt Bad Neuenahr-Ahrweiler will 64 Minihäuser auf drei Standorte verteilen. Außerdem seien 48 „Dreier-Container-Einheiten“ jeweils mit einem Schlaf-, Wohn- und Küche-Bad-Bereich aufgestellt worden. Weiter flussaufwärts, in der Verbandsgemeinde (VG) Altenahr, sollen ebenfalls insgesamt 64 Tiny Houses auf verschiedene Dörfer verteilt werden – stets möglichst nahe von Kindergärten und Schulen.

Bad Neuenahr-Ahrweiler zum Beispiel sieht eine Unterbringung von Flutopfern während maximal eines Jahres in den Minihäusern vor. Und danach? Als Ferienhäuschen anbieten? Ganz so einfach ist es nicht. Bei spendenfinanzierten Tiny Houses müsste auch eine Nachnutzung gemeinnützig sein, erklären mehreren Kommunen. Zudem sollen beispielsweise in der VG Altenahr zahlreiche Tiny Houses auf privaten Flächen stehen. Dennoch erklärt die VG-Sprecherin: „An einem Nachnutzungskonzept, das auch dem Gedanken einer Fremdenverkehrsregion entgegenkommt, wird gearbeitet.“ Das Ahrtal mit steilen Schieferfelsen ist eigentlich als Rotwein-Paradies bekannt.

Die Zweibrücker „Flüchtlingshäuschen“, die seit Juni 2016 am Flugplatz leerstehen, kamen fürs Ahrtal nicht infrage – vor allem weil sie keine Bäder, ja nicht einmal Wasseranschluss haben (wir berichteten im Oktober).

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