Sammy, der Menschenjäger

Riegelsberg · Seit dem Jahr 2010 hält Michael Stock aus dem saarländischen Riegelsberg einen Greifvogel bei sich im Garten. Am Wochenende gehen sie gemeinsam jagen. Diese Partnerschaft ist mehr als ein Hobby.

 „Er ist mein Freund“, sagt der Riegelsberger Michael Stock über den Bussard Sammy. Foto: Iris Maurer

„Er ist mein Freund“, sagt der Riegelsberger Michael Stock über den Bussard Sammy. Foto: Iris Maurer

Foto: Iris Maurer

Es sind Szenen, wie gemacht für die TV-Show "Verstehen Sie Spaß?". Michael Stock (45) nennt sie "kurios" und hat sich dran gewöhnt. Etwa an Traktoren, die auf dem Feld wenden, um ihm, dem Spaziergänger, hinterherzufahren. Weil die Bauern nicht fassen können, was sie beobachten: Wie ein Greifvogel auf der Schulter eines Mannes landet, der seelenruhig weiterwandert? Auch dass es an grünen Ampeln zu Staus kommt, gehört zum Alltag. Die Fahrer im Nachbarwagen bleiben auf der Bremse, weil sie ihren Augen nicht trauen, wenn sie im Kofferraum des Stockschen Jeeps auf einem Gestänge ein ziemlich großes Wildtier entdecken.

Sammy wiegt zwar nur 840 Gramm, sieht jedoch nach gefühlten acht Kilo aus, also ziemlich gefährlich. Aber nicht doch. "Sammy ist ganz unproblematisch. Er fährt gern Auto", sagt sein Besitzer Michael Stock, von Beruf Justizvollzugsbeamter in Saarlouis. Woran Stock das erkennt? Das bleibt ein Kommunikations-Geheimnis, über das nichts im Falkner-Lehrbuch steht. Hört man Stock zu, benimmt sich Sammy generell wie ein Musterknabe. Der Raubvogel lässt sich bei Familienfesten von Nichten und Neffen herumgetragen oder genießt satt und selig das "Unterhaltungsprogramm" im Garten , schaut beim Blumengießen oder Grillanzünden zu. Jeden Tag darf er aus seiner Voliere. An den Wochenenden geht's zu mehrstündigen Ausflügen.

Schwer vorstellbar, dass der handzahme Prachtjunge beim mehrstündigen Kaninchenjagen in Schönenberg-Kübelberg bei Kusel zum Killer wird. Als "nervenstarken, geduldigen Jäger" und "harmoniebedachten Mitbewohner" schildert Stock seinen Sammy. Das sei typisch für die Gattung der "Harris Hawk", der amerikanischen Wüstenbussarde. Die Gemütstiere müssen deshalb - anders als die weit nervöseren und aggressiveren Falken - auch keine Haube über den Augen tragen.

"Locke machen" nennen die Falkner das, was mit dem Wort zähmen falsch übersetzt ist. Denn Greifvögel lassen sich nicht dressieren, weil sie nicht auf Bestrafung reagieren und sie hören nicht auf ihren Namen. Stock erklärt den Prozess so: "Ich habe ihn an mich gewöhnt und sein Vertrauen gewonnen. Und wir haben ein Desensibilisierungsprogramm absolviert. Sammy soll sich nicht dauernd erschrecken oder fürchten." Denn von Natur aus ist der amerikanische Bussard, der auf Laien grimmig und schnell reizbar wirkt, ein schreckhaftes Fluchttier mit natürlichen Feinden wie etwa Eule oder Adler.

Dass Sammy aber so gar nicht menschenscheu ist und sich sogar von Fremden übers Gefieder streicheln lässt, das führt Stock auf die Aufzucht im Freisener Naturwildpark zurück. Dort schlüpfte Sammy am 20. Mai 2010 und machte dann mit wechselnden Bezugspersonen bei Flugvorführungen mit, bevor er im Juni 2012 zu den Stocks nach Riegelsberg umzog. Dort sitzt Sammy nun also auch während des langen Interviews auf einem für ihn gefertigten Sitz, dem "Sprenkel": geräusch- und regungslos, zugleich mit immenser Wachsamkeit.

Für die Stocks ist Sammy ein Lockvogel, ein Menschenfänger. Überall provoziert er Kontakte. Insbesondere, wenn das Ehepaar dem gemeinsamen Hobby nachgeht, auf Mittelalter- und Bauernmärkte fährt, um ein Gauklerlager aufzuschlagen. "Früher war ich es, der bei solchen Gelegenheiten die Falkner ausgefragt hat, heute bin ich umzingelt und muss Rede und Antwort stehen", so Stock. Wer mutig ist, nimmt Sammy auf den großen Wildleder-Handschuh.

Für Stock ist das Alltag. "Er klebt an mir wie ein Gutzje", sagt er und freut sich, wenn Sammy auf freiem Feld hinter ihm herschießt wie ein Pfeil. "Er ist mein Freund", sagt er auch, obwohl er weiß, dass kein Lehrbuch das hergibt. Stock spricht von einem "Lebenstraum", den er sich erfüllt habe. Schon als Kind sei er im Walpershofener Vogelzuchtverein gewesen, hätte sich aber nur für Greifvögel interessiert. Doch es dauerte dann noch rund 40 Jahre, bis Sammy bei ihm einzog. "Das alles hat mich viel gekostet", sagt Stock. Er meint damit nicht materielle Opfer - die Ausbildung kostete ihn 2200 Euro, für Sammy zahlte er 1000 Euro. Nein, Stock musste viel Zeit und Lernmühe investieren, vor allem seine anfängliche Distanz zur Jagd über Bord werfen. Denn nur über den Jagdschein führt der Weg zum Falkner-Intensivkurs.

Und zwischenzeitlich fing Stock dann auch Feuer für die Jagd, ist jetzt bestätigter Jagdaufseher in Riegelsberg . Und jawoll, die Beizjagd mit dem Vogel, die ist es, die ihn heute elektrisiere, erzählt er. "Man beobachtet rasante Flüge, unverfälschte Natur. Live dabei zu sein, ist was Anderes als Naturfilme gucken." Es sind dies die Königsmomente der Vogel-Mensch-Beziehung.

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Auf einen BlickWie wird man Falkner? Voraussetzung ist die Jäger- und die Falknerprüfung. Dominik Stock machte einen zwölfwöchigen Jagdkurs (1500 Euro) und einen einwöchigen Falkner-Intensivkurs (700 Euro). Der Beizvogel braucht eine (vom saarländischen Biodokumentationszentrum genehmigte) Voliere oder Flugdrahtanlage. Der Beizvogel wird mit rotem Fleisch ernährt (Tauben, Kaninchen, Ratten). Die Jagdsaison beginnt im Oktober, ab August wird trainiert. Mindestens drei- bis viermal pro Woche sollte der Vogel frei fliegen und jagen können.Die Gewöhnung an den Falkner-Handschuh erfolgt über das "Atzen": Man bietet auf dem Handschuh Nahrung beziehungsweise Beute als Belohnung an.Amerikanische Bussarde sind Grifftöter, ihre Waffe sind die Füße (Krallen). Die Beute wird tot "geknetet". ce

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