Meist wird reiner Wein eingeschenkt

Mainz/Alzey · Er schmeckte besonders aromatisch, doch er gefährdete die Gesundheit der Weintrinker. Mit dem Frostschutzmittel Glykol versetzter Rebensaft sorgte vor drei Jahrzehnten für einen der größten Lebensmittelskandale. Heute gibt es strengere Regeln denn je.

Es wird geschlürft, es wird gespuckt. Gläser klirren. Ein Brötchen liegt bereit und eine Flasche Sprudelwasser zum Nachspülen. "Weintrinken ist Arbeit", sagt einer der Sachverständigen. Im Weinbauamt im rheinland-pfälzischen Alzey werden fast täglich Rebensäfte auf ihre Güteklasse geprüft: Haben sie die Bezeichnung Qualitätswein tatsächlich verdient? Dass solch strenge Kontrollen unerlässlich sind, bestreitet in der Branche seit Sommer 1985 niemand mehr. Damals hatten Behörden Diäthylenglykol in deutschen Weinen entdeckt, eine gesundheitsschädliche Chemikalie. Einige österreichische Winzer hatten versucht, mit dem Frostschutzmittel aus billigen Tafelweinen scheinbar hochwertige, süß und vollmundig schmeckende Auslesen und Beerenauslesen zu machen. In Deutschland stark betroffen war die Region Rheinhessen, wo österreichische Ware weiterverkauft und Mischungen aus österreichischem und deutschem Wein hergestellt wurden. Für die Weinwirtschaft bedeutete der Fall einen enormen Imageschaden. Die Gesetze wurden deutlich verschärft. Bei der Kontrolle herrschen heute höchste Standards. "Es gibt nichts, was nicht geregelt ist. Es geht bis hin zur Schriftgröße auf dem Etikett", sagt die Sprecherin des Landesuntersuchungsamtes, Kerstin Stiefel . Ihr Amt prüft, ob die in Rheinland-Pfalz produzierten und verkauften Weine die gesetzlichen Vorgaben einhalten. Rheinland-Pfalz ist das Bundesland mit dem meisten Weinanbau. Die Weinkontrolleure überprüfen vor Ort in den Betrieben, die Lebensmittelchemiker und chemisch-technischen Assistenten untersuchen im Labor: Sind die Grenzwerte zum Beispiel für Schwefeldioxid eingehalten? Stimmt der Alkoholgehalt? Wurden verbotene Aromastoffe zugesetzt? "Der Fall hat die gesamte Denk- und Herangehensweise beeinflusst", sagt der Sprecher des Deutschen Weininstituts, Ernst Büscher. Erste Warnungen hatte es im Juli 1985 gegeben. Zunächst sank der Export. 1985 wurde Wein im Wert von 500 Millionen Mark exportiert, 1986 waren es nur noch 400 Millionen Mark. Es folgte auch eine Trendwende beim Geschmack: "Die trockenen Weine wurden viel stärker nachgefragt. Verbraucher hatten immer die Befürchtung, dass süße Weine mit Glykol versetzt sein könnten", sagt Büscher. Heute investiere die junge Winzergeneration viel in das Qualitätsmanagement, das habe das Image deutlich verbessert.

Das bestätigt auch Theo Jung, Schulkoordinator am Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum in Oppenheim, wo unter anderem Winzer und Weintechnologen ausgebildet werden. Auch in der Lehre tat sich Einiges, erinnert sich der 64-Jährige: "Neu war: Qualität entsteht im Weinberg und nicht im Keller. Es ging von nun an verstärkt um den Boden oder zum Beispiel die Ausdünnung der Reben." Auch den Blick in die europäischen Nachbarländer habe der Fall verstärkt, Netzwerke wurden gegründet.

In Österreich habe der Glykol-Skandal einen Neubeginn ausgelöst: "Neues, strenges Weingesetz, staatliche Kontrolle, Qualitätsweine mit Prüfnummer und Banderole", sagt der Geschäftsführer von Österreich Wein Marketing, Wilhelm Klinger. Niemals würde Österreich bei einer Krise in der Weinwirtschaft wieder so unprofessionell und selbstbeschädigend agieren wie 1985.

Schwindel gibt es vereinzelt noch immer, wie die Bilanz des Landesuntersuchungsamtes für das Jahr 2014 zeigt: Um seinen Tropfen als Barrique-Weißwein verkaufen zu können, fügte ein Winzer verbotenerweise Vanillezucker hinzu. Eine andere Weinkellerei wollte angeblich "alte Schätzchen" aus den Jahren 1911, 1920 und 1921 für 3000 Euro pro Flasche verkaufen. Bereits am Geschmack fiel den Kontrolleuren die frische und junge Säurestruktur auf.

Der bisher letzte Fall, der auch öffentlich für Aufsehen sorgte, war der Eiswein 2011. Ein Großteil des Leseguts entsprach nicht den Anforderungen an Eiswein, unter anderem, weil es zu warm war. Winzer versuchten den Wein dennoch unter dem Label zu verkaufen. Es sei naiv zu glauben, dass ein Skandal dieses Ausmaßes heute auszuschließen sei, sagt Stiefel : "Es gibt in jeder Branche immer wieder schwarze Schafe, die vor Betrug nicht zurückschrecken."

In Alzey ist man jedenfalls vom derzeitigen guten Zustand deutscher Tropfen überzeugt. Die Tester trinken, schmecken, bewerten und vergeben Punkte: "3,0; 2,67; 3,17". Qualitätsweinprüfung bestanden.

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