Im Rausch der Tiefe

Wallerfangen/Bexbach · Markus Witzmann und Nicole Kiefer sind Extrem-Taucher. Beide zieht es regelmäßig in die Tiefe. Beide lieben die Unterwasserwelt. Unterschiedlicher könnten sie diese aber kaum entdecken.

 Nicole Kiefer und ihre Tauchkollegen beim Training. Foto: Privat

Nicole Kiefer und ihre Tauchkollegen beim Training. Foto: Privat

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Sein Leben hängt an einem Faden. Er sieht kein Tageslicht mehr. Hört nur noch ein leises Blubbern. Für Markus Witzmann das schönste Gefühl der Welt. Der 37-Jährige ist Höhlentaucher, er erkundet Felsengänge unter Wasser . "Ich tauche in Bereiche, in die nur wenige Menschen vordringen", erklärt er, was ihn an seinem Hobby besonders fasziniert. Wenn er aufbricht, schleppt der Wallerfanger über 90 Kilo Ausrüstung mit sich. Die sei das Wichtigste beim Höhlentauchen. Von ihr hänge sein Leben ab. "Ich kenne die Technik genau und weiß wie alles funktioniert", sagt Witzmann. Zur Sicherheit nehme er jedes Teil mehrfach mit: zwei Atemsysteme, drei Lampen, zwei Schneidewerkzeuge und die Führungsleine. Diese ist in manchen Höhlen bereits angebracht und hilft, den Ausgang wiederzufinden.

All das braucht Nicole Kiefer nicht. Ihr genügt ein Atemzug, um sich für mehrere Minuten den Fischen gleich zu fühlen. Mit Maske, Flossen und Neoprenanzug bekleidet, taucht sie an einem Seil hinab in die Tiefe. Solange, bis sich ihr Bauchraum zusammenzieht. Ihr Zwerchfell zuckt. Ihr Körper nur noch eines will: Atmen. "In diesem Moment muss man den Willen haben, weiterzumachen", sagt die 39-Jährige. "Dann entscheidet der Kopf, ob du dein Ziel erreichst oder aufgibst." Kiefer ist Apnoetaucherin. "Ich wollte an meine Grenzen gehen", erzählt die Bexbacherin. Freitauchen sei da genau das Richtige.

Auch Witzmann suchte neue Herausforderungen. Mit 19 Jahren macht er den Tauchschein. "Sporttauchen war mir irgendwann nicht mehr spannend genug", sagt der Elektrotechniker. 2005 absolviert er daher in der Schweiz die Höhlentaucher-Ausbildung. Über 60 Höhlentauchgänge hat er seitdem schon hinter sich gebracht. Keinen einzigen davon in Deutschland. Denn hier ist das Höhlentauchen aus Versicherungsgründen verboten. Witzmann taucht daher in der Schweiz und in Südfrankreich in Rocamadour.

Dort versteckt sich auch eine seiner Lieblingshöhlen. Der Eingang ist unscheinbar. Ein vier Quadratmeter großes Wasserloch, direkt neben einer Landstraße. "Aber was sich dahinter verbirgt", schwärmt Witzmann, "ist gigantisch." Um in die Höhle zu kommen, müsse man in dem Becken drei Meter tief abtauchen. Sich dann durch ein 40 Zentimeter breites Loch quetschen. "Wer das geschafft hat, ist frei. Es fühlt sich an wie schweben." In der Höhle genießt er vor allem die Stille. "Eine richtig schöne Stille", beschreibt Witzmann, "man hört nur noch seine Atmung. Mehr ist da nicht. Nur man selbst."

Apnoetaucherin Kiefer ergänzt: "Man selbst und die Natur". Sie erinnert sich: "Einmal haben wir in einem See getaucht, da kam ein riesiger Wels zu uns. Der hat uns genau begutachtet." So dicht an die Fische heranzukommen, sei eine tolle Erfahrung. Um länger unter Wasser bleiben zu können, macht die Geographin Entspannungs- und Atemübungen. Bis zu 30 Meter tief kommt sie mit einem Atemzug. "Im Training dürfen wir nur 25 Meter tief tauchen", erklärt sie. Der Verband Deutscher Sporttaucher gebe diese Grenze vor. Wer sie überschreitet, sei nicht mehr über den Verband versichert.

Den Weltrekord im Tieftauchen hält der Österreicher Herbert Nitsch. Am 14. Juni 2007 schaffte er es in eine Tiefe von 214 Metern. Allerdings zog ihn eine Art Schlitten-Konstruktion nach unten und eine Seilwinde beförderte ihn nach oben. Sein Tauchgang dauerte vier Minuten und 24 Sekunden.

Witzmann bleibt bis zu zwei Stunden in einer Höhle. Ihn fasziniert aber nicht nur die Zeit unter Wasser , sondern auch die Planung. Bevor er abtaucht, informiert er sich über die Beschaffenheit der Felsengänge. Die meisten Höhlen in Europa seien bereits kartographiert, erklärt er. Auf den Plänen studiere er die Höhlenstruktur. "Dann berechne ich, wie viele Gasvorräte ich für meinen Tauchgang brauche", sagt Witzmann. Das sei der schwierigste Teil der Vorbereitung - Fehler könnten zum Tod führen. "Mein größter Albtraum ist, dass in der Höhle etwas passiert, was ich nicht beherrschen kann", verrät der 37-Jährige, "etwa Leinen- und Lichtverlust gleichzeitig." Auch seinen Tauchpartner in der Höhle zurücklassen zu müssen, sei ein furchtbarer Gedanke. "Ab einem gewissen Bereich ist es nicht mehr möglich, den Partner mit rauszunehmen, wenn ihm etwas zustößt", sagt Witzmann. Dem müsse man sich bewusst sein.

Auch ein Saarländer kam beim Höhlentauchen bereits ums Leben. Der Neunkircher Bernhard Pack verunglückte 1992, als er einen Film über das Höhlensystem des Moraig in Spanien drehte. Er starb auf dem Rückweg, wenige Meter vor dem Ausgang. Todesursache: Sauerstoffmangel. Angst hat Witzmann trotzdem nicht. "Wer Angst hat, ist unkonzentriert. Das darf man in der Höhle nicht sein", erklärt er.

Beim Tauchen müsse der Kopf frei sein, sagt auch Kiefer. "Es gibt Apnoetaucher, die schaffen im Indoor-Tauchturm locker 20 Meter. Draußen kommen sie manchmal nicht tiefer als zehn", erzählt sie. Ein mentales Problem. Im See werde es beim Abtauchen immer dunkler. "Irgendwann sieht man nur noch das weiße Seil. Die Luft wird knapp", beschreibt die 39-Jährige. Sie mag dieses Gefühl.

Es ist eben das Extreme, das Markus Witzmann und Nicole Kiefer immer wieder reizt. Obwohl sie die Unterwasserwelt auf ganz unterschiedliche Art entdecken, haben die beiden Taucher doch einiges gemeinsam: Die Dunkelheit. Die Stille. Die Orientierungsleine - für sie bedeutet das Freiheit.

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