„Handelte im allgemeinen Interesse“

Luxemburg · Zweite Runde im Prozess um „Luxleaks“: Der nachsichtige Umgang der Luxemburger Steuerbehörden mit Großkonzernen ist nach Ansicht der angeklagten „Whistleblower“ nicht nur unmoralisch, sondern auch illegal. Doch ein wichtiger Zeuge für diese Auffassung bleibt fern.

 Antoine Deltour (Mitte) erscheint zum Berufungsprozess der „Luxleaks“-Affäre. Foto: JULIEN WARNAND/dpa

Antoine Deltour (Mitte) erscheint zum Berufungsprozess der „Luxleaks“-Affäre. Foto: JULIEN WARNAND/dpa

Foto: JULIEN WARNAND/dpa

Im Berufungsprozess zur "Luxleaks"-Affäre um die Enthüllungen fragwürdiger Steuerdeals internationaler Konzerne mit Luxemburger Finanzbehörden hat der Hauptangeklagte Antoine Deltour (30) die Veröffentlichung vertraulicher Steuerunterlagen verteidigt. "Ich habe im allgemeinen Interesse gehandelt", sagte er gestern in Luxemburg vor dem Berufungsgericht zum Beginn des Verfahrens. Und weiter: "Ich bin der Ansicht, dass mein Berufsgeheimnis nicht über dem öffentlichen Interesse steht."

Deltour, ein ehemaliger Mitarbeiter des Wirtschaftsprüfungsunternehmens PricewaterhouseCoopers (PwC), war im Juni in erster Instanz zu zwölf Monaten Haft auf Bewährung und 1500 Euro Geldbuße sowie zu einem symbolischen Schadenersatz in Höhe von einem Euro verurteilt worden. Sein Kollege Raphaël Halet hatte neun Monate Haft und 1000 Euro Geldbuße erhalten. Deltour hatte zugegeben, rund 45 000 Seiten Dokumente über Steuervorbescheide ("Tax Rulings") großer Konzerne kopiert zu haben. Er habe es für ungerecht gehalten, dass diese kaum Steuern zahlten.

Der französische Journalist Edouard Perrin (43), der mit einem Bericht die luxemburgische Steuerpraxis publik machte, war freigesprochen worden. Gegen die Urteile hatten sowohl die Verurteilten als auch die Luxemburger Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt.

Heftig umstritten war im Gericht der Antrag von Halets Verteidiger Bernard Colin, den seinerzeitigen Leiter der für die Steuervorbescheide zuständigen Abteilung 6 der Luxemburger Finanzbehörde, Marius Kohl (64), als Zeugen vorzuladen. Kohl war bereits während des ersten Gerichtsverfahrens wegen Krankheit nicht erschienen und meldete sich auch jetzt wieder krank. Colin argumentierte, die Luxemburger Steuerpraxis sei keineswegs legal gewesen und zudem moralisch fragwürdig. Tatsächlich habe Kohl seine "Tax Rulings" nach eigenem Gutdünken und entgegen den wenigen vorhandenen Anweisungen entschieden.

Der mittlerweile pensionierte Kohl habe als Beamter "selbst die eigenen Normen gesetzt": Nur so habe er es auch schaffen können, nicht mehr als drei Minuten für die Abzeichnung eines Steuervorbescheids zu brauchen. "Diese Rulings waren illegal", sagte Colin. "Und das ist für die strafrechtliche Bewertung von großer Bedeutung." Kohl müsse amtsärztlich untersucht und notfalls von Justizbeamten ins Gericht gebracht werden. "Der Mann spielt Verstecken mit der Justiz", formulierte Deltours Anwalt Philippe Penning. Staatsanwalt John Petry sagte hingegen, eine Vernehmung des Steuerbeamten sei nicht nötig. Richter Michel Reiffers teilte nach einer Beratungspause mit, er werde erst später über den Antrag auf Vernehmung entscheiden.

Die Fraktion der Grünen im Europaparlament forderte einen umfassenden Schutz von Informanten, die die Öffentlichkeit über Missstände vor allem in Unternehmen und Behörden informieren. Nötig sei eine EU-Richtlinie, die solche Informanten (Whistleblower ) schütze. Der deutsche Abgeordnete Sven Giegold bezeichnete es als "grotesk", dass gegen die Hinweisgeber ein Verfahren laufe, der "Architekt des Steuerparadieses Luxemburg ", Jean-Claude Juncker , aber Präsident der EU-Kommission sei. Die Angeklagten wurden von rund 200 Demonstranten vor dem Luxemburger Justizpalast unterstützt.

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