Fastnachtsgondeln tragen Trauer

Mainz · Zum ersten Mal in seiner Geschichte gibt es wegen einer Sturmwarnung keinen Rosenmontagszug in Mainz. Die Narren machen das Beste draus, lassen sich den Spaß nicht nehmen.

Zunächst liegt eine stille Tristesse über der Stadt der Lebensfreude . Kein Rosenmontagszug am Rosenmontag . Am Theater lässt Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD ) den Blick über die leere Tribüne gleiten. "Das ist großer Mist", sagt das Stadtoberhaupt, "aber nicht das Ende der Fröhlichkeit." Die Domtürme strecken sich den dunklen Wolken trotzig entgegen, auch wenn die Gondeln am erstmals davor aufgebauten Riesenrad stillstehen. Die Buden sind zu, das Riesenrad fährt nicht, der Zug kommt nicht. Auf einmal wird ein paar Schritte weiter getrommelt, Trompeten fallen ein: "Die Hände zum Himmel!"

Die Narren wollen sich ihre "goldisch Meenzer Fassenacht" nicht nehmen lassen. Hunderte eher junge Leute treffen sich trotzdem auf der Festmeile in der Innenstadt, um zu feiern, manche sind von weiter her. Susanne Aumer ist aus Bibertal bei Ulm nach Mainz gekommen - wie jedes Jahr spielt sie auf der Querflöte zum Rosenmontagszug auf. Diesmal ist alles anders. "Jetzt ist es einfach spontaner, aber es macht auch Spaß!" Trotz der Absage ziehen Fastnachtsgarden aus Mainz durch die Straßen der Altstadt.

"Aus Narrensicht kann ich diese Entscheidung nicht nachvollziehen", sagt Günter Schenk, Fastnachtsexperte und Buchautor. "Das zeigt, wie unflexibel der organisierte Karneval geworden ist." Aber man müsse Gott danken, dass er im wahrsten Sinne des Wortes frischen Wind in die Fastnacht gebracht habe. Denn nun werde sich zeigen, ob Mainz unorganisiert närrisch sein könne.

Für Sarah Pinger und ihre Freunde aus dem hessischen Darmstadt und Umgebung ist das keine Frage. "Wir haben uns, das reicht", sagt die 22-jährige Zahnarzthelferin, die sich für den Rosenmontag in Mainz Urlaub genommen hat. "Und wir haben uns eingedeckt." Mit Weißwein, Bier und Kräuterlikör hat die Gruppe von etwa 20 jungen Leuten keine Angst vor Regen und Sturm.

Aber "die Mainzer haben Angst vor Luft", spottet Sven Hiernonymus. "Ich steh' immer im Wind, weil sonst seh' ich nix", erklärt der langhaarige Sänger der Mainzer Band "Se Bummtschacks". Er hält die Absage für gerechtfertigt, Gefahr und Verantwortung wären einfach zu groß gewesen. Er sieht den besonderen Tag auch als Test, wie ehrlich es den Mainzern mit dem Feiern ist.

Ziemlich bedröppelt sitzen die "Schwarzwald-Piraten" in der Weinstube. "Das waren 700 Arbeitsstunden und ein Jahr Vorbereitungszeit", sagt ihr Kapitän Christian Rebmann. Im elften Jahr ihres Bestehens wollten sie zum ersten Mal dabei sein, mit eigenem Motivwagen. Aber sie versprechen: "Wir kommen wieder!"

Traurig sind auch etwa 30 Flüchtlinge, die beim Rosenmontagszug mitlaufen wollten. "Das ist schade, sie haben sich so darauf gefreut", sagt der Leiter der Malteser-Flüchtlingshilfe in Mainz , Behrouz Asadi. Immerhin waren die Kinder beim Jugendmaskenzug am Samstag dabei. Unter ihnen auch der fünfjährige Samuel aus Albanien, der ganz eifrig sein erstes Helau übt. "Ich bin sehr froh, dass ich hier bei der Fastnacht mit dabei bin", sagt Perparim Sefulli, seit Mai 2015 in Mainz .

Neben der Rosenmontags-Freude macht sich aber auch Ärger breit. Zum Himmel gehen an diesem Tag viele Blicke. Es nieselt ein wenig, vom angesagten Sturm ist erstmal nichts zu spüren. Waldemar Werner, der vor kurzem von Siegen nach Mainz gezogen ist, sagt: "Sonst waren wir immer in Köln, jetzt wollten wir Mainz mal eine Chance geben und dann das - nicht mal richtig Musik gibt es hier!"

Ann Kathrin Losert aus Frankfurt ist sauer: "Ich habe mir extra freigenommen, um zum ersten Mal den Zug zu sehen. Man könnte doch hier wenigstens spontan reagieren und irgendwas machen."

In der Altstadt ist die Mainzer Chemiestudentin Ronja Beichler der Musikgruppe aus Biebertal gefolgt. "Wir haben kurz überlegt, nach Köln zu fahren. Aber wir lassen uns Karneval nicht nehmen. Das Wichtigste ist, dass wir in den Frühling hineinfeiern und Lebensfreude ausstrahlen."Um Punkt 11.11 Uhr haben Beate und Markus Brühl den diesjährigen Mainzer Rosenmontagszug gestartet. Dann sind sie zu zweit die gesamte Zugstrecke von 7,2 Kilometern entlang gelaufen, haben allen am Wegrand ein kräftiges Helau zugerufen. Markus freut sich: "Tausende jubeln uns zu!" Auf seiner Brust trägt er eine Kreidetafel mit der Aufschrift "Rosenmontagszug 2016", auf dem Rücken eine Kreidetafel mit "Zugente" - das ist traditionell das Ende des Mainzer Rosenmontagszuges.

"Wir sind der Anfang und das Ende des Rosenmontagszuges", sagt Beate Brühl. "Das kann man doch nicht ausfallen lassen!" Schließlich sei der Rosenmontagszug doch der Höhepunkt der Mainzer Fastnacht. Die beiden kommen aus Dresden, haben sich in Mainz aber schon lange eingelebt. Bei der Nachricht von der Absage seien sie am Sonntagabend erst traurig gewesen, dann sei ihnen die Idee zu ihrem Paar-Umzug gekommen. Aber nun müssen sie das Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur beenden: "Der Zug darf doch nicht ins Stocken kommen!" Die Mainzer Narren können nach dem erstmals wegen des Wetters abgesagten Rosenmontagszugs möglicherweise noch einmal im Frühjahr oder Sommer Helau rufen. "Wir haben dieses Jahr 200 Jahre Rheinhessen-Jubiläum", sagte der Sprecher des Mainzer Carneval-Vereins (MCV), Michael Bonewitz, gestern. "Vielleicht kann man das irgendwie kombinieren." Viele Fastnachter seien wegen der Absage enttäuscht. Eine Entscheidung über einen neuen Termin sei noch nicht gefallen.

Der angekündigte große Sturm blieb aus. Der MCV verteidigte die Absage: Bis zu neun Mal hätten Windmessgeräte in der Innenstadt am Vormittag Böen mit Windstärken zwischen Stärke 8 und 9 registriert. Auch in Koblenz, Trier und Neuwied wird über einen neuen Termin nachgedacht.

Tausende Narren zogen trotz der Absage durch Mainz , um zu feiern. Die Ranzengarde lief mit Hunderten Mitgliedern und Angehörigen anderer Garden Richtung Rhein.

Die Stadt Mainz hatte zu dem Umzug bis zu einer halben Million Besucher erwartet. Er gehört neben den Zügen in Köln und Düsseldorf zu den größten bundesweit. In diesem Jahr sollte er 148 Nummern mit 13 Motivwagen sowie rund 9500 Teilnehmer zählen.

Die für heute geplanten Fastnachtsumzüge in Zweibrücken, Ramstein-Miesenbach, Trier-Biewer und Heimbach-Weis sollen aber stattfinden.

Zum Thema:

Am RandeTerrorgefahr? Auf Facebook bezweifelt ein Nutzer, dass das Wetter der Grund für die Absage ist. "Na so ein passender Zufall aber auch", heißt es. "Wenn man den Umzug aus Terrorangst abgesagt hätte, wäre der öffentliche Unmut wieder groß gewesen. So kann man jetzt schön das Wetter als Ausrede nehmen und alle akzeptieren es." Der Mainzer Carneval-Verein stellt klar: "Es gab in unserer Entscheidungsphase keine Terrorwarnung, es sind auch keine Aliens gelandet." dpa

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