Die streitbare Nonne

Boppard · Die einstige Bankerin Lea Ackermann hat als Nonne ihr Leben den schwächsten Frauen gewidmet. Ackermann wird heute 80 Jahre alt.

 Lea Ackermann in ihrem Büro. Die Nonne ist Begründerin des Vereins „Solwodi“, der Opfern von Menschenhandel und Zwangsprostition hilft. Foto: Frey/dpa

Lea Ackermann in ihrem Büro. Die Nonne ist Begründerin des Vereins „Solwodi“, der Opfern von Menschenhandel und Zwangsprostition hilft. Foto: Frey/dpa

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(dpa) Lea Ackermann, Nonne und Vorsitzende des Hilfswerks Solwodi für Frauen in Not, springt auch kurz vor ihrem 80. Geburtstag noch empört vom Sessel auf, wenn ihr etwas nicht passt. "Unglaublich!", ruft sie mit Blick auf den Vorschlag der grünen Bundestagsabgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Pflegebedürftigen und Behinderten Sex mit Prostituierten zu zahlen. Sexualität sei zwar ein Grundbedürfnis und Geschenk, eine Frau aber keine Ware mit Rechtsanspruch, betont Ackermann. Zu ihrem 80. Geburtstag an diesem Donnerstag hat sich für die Bartholomäus-Kirche in Boppard hoher Besuch angesagt: die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) und der Trierer Bischof Stephan Ackermann.

Geboren 1937 als Tochter eines Bauunternehmers in Völklingen, gibt Lea Ackermann schon früh ihre Bankkarriere auf, um als Ordensschwester nach Afrika zu gehen. In Bars und Bordellen begegnet sie dem Leid von Prostituierten. Sie sieht in Kenia etwa die 14-jährige Maggy, die ein Baby von einem Freier zur Welt gebracht und in einer Toilette ertränkt hat.

Ackermann ist entsetzt und gründet 1985 in Mombasa die Organisation Solwodi (Solidarity with Women in Distress, also Solidarität mit Frauen in Not). Im Jahr 1987 folgt der deutsche Ableger, der bald sein 30-jähriges Bestehen feiert. Heute unterhält Solwodi in mehreren europäischen Ländern und in Afrika viele Beratungsstellen und auch eine Reihe von Schutzwohnungen. Im vergangenen Jahr hat die Hilfsorganisation 2295 Erstkontakte mit Frauen aus 104 Ländern gezählt.

Schlank, blaue Augen, flotter Kurzhaarschnitt, schwarze Hose, dunkles Jäckchen, dezent-rosa Pulli: Nur ein goldenes Kreuz an einer Kette weist darauf hin, dass Ackermann einem katholischen Orden angehört. "Ich bin nicht so die stille Nonne", sagt sie lächelnd. "Wenn ich Unrecht sehe, spreche ich es an. Ich bin eine Praktikerin."

Der Trierer Bischof Stephan Ackermann würdigt seine Namensvetterin als eine "streitbare und engagierte Frauenrechtlerin, die sich mit hoher Anerkennung in der Gesellschaft für die Bekämpfung der Prostitution einsetzt". Die rheinland-pfälzische Sozialministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) nennt Lea Ackermann "eine mutige Pionierin im Einsatz für Frauen in Not. Ihr großartiges Engagement hilft Opfern von Ausbeutung und Unterdrückung weltweit." Seit Jahrzehnten trage sie zu einer umfassenden Sensibilisierung der deutschen Gesellschaft bei. "Mit bewundernswerter Beharrlichkeit verändert Lea Ackermann die Welt jeden Tag."

Solwodi lehrt in Afrika Prostituierte, anders Geld zu verdienen, indem sie beispielsweise Brot für Hotels backen oder Schmuck herstellen. Der Verein ermöglicht Mädchen auch eine Ausbildung, etwa zur Schneiderin, Friseurin, Köchin oder Lehrerin. Auch in der Bundesrepublik berät die Initiative viele Opfer von Zwangsprostitution und Menschenhändlern. Manche Ausländerinnen haben geglaubt, im reichen Deutschland putzen, Kinder betreuen oder kochen zu können - und sind in Bordellen gelandet. Manche Opfer begleitet Solwodi zu Prozessen, manche können in Schutzwohnungen unterkommen. Als junge Frau hatte Lea Ackermann zunächst ganz andere Herausforderungen: Sie hilft zum Beispiel beim Aufbau einer deutschen Bankfiliale in Paris. Doch schon 1960 tritt sie mit 23 Jahren in den Orden "Missionsschwestern unserer Lieben Frau von Afrika" ein. "Meine Eltern waren nicht so begeistert", erinnert sie sich. Für ihren Orden arbeitet Ackermann von 1967 bis 1972 als Lehrerin und Schuldirektorin im afrikanischen Ruanda. Dem schließt sich in München ein Studium der Pädagogik, Psychologie und Theologie mitsamt Promotion an. 1985 bis 1987 bekämpft die Nonne mit Doktortitel die Elendsprostitution in Kenia, danach baut sie im Bopparder Stadtteil Hirzenach Solwodi in Deutschland aus.

Und jetzt? Auch im nunmehr neunten Lebensjahrzehnt will die mit zahlreichen Auszeichnungen überhäufte vielfache Buchautorin für ihre Organisation da sein: "Ich bin robust."

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