„Die Frontlinien sind überwunden“

Saarbrücken · Mehr als 90 Prozent der Saarländer stimmten heute vor 80 Jahren für den Anschluss an Hitlers Drittes Reich. Die Historiker haben dazu viel erforscht. Ob die „Straße des 13. Januar“ noch so heißen muss, ist strittig.

 Die Drohung des SA-Manns auf dem Krad im Anfang Januar 1935 war eindeutig: „So endet jeder Status quo“. Wer dafür stimmte, war seines Lebens nicht mehr sicher. Foto: Stadtarchiv St. Ingbert

Die Drohung des SA-Manns auf dem Krad im Anfang Januar 1935 war eindeutig: „So endet jeder Status quo“. Wer dafür stimmte, war seines Lebens nicht mehr sicher. Foto: Stadtarchiv St. Ingbert

Foto: Stadtarchiv St. Ingbert

. "Die Volksabstimmung 1935 stellt eines der besterforschten Kapitel der saarländischen Landesgeschichte dar", sagt Landesarchivdirektor Ludwig Linsmayer. "Die meisten Publikationen erschienen Ende der 1970er bis Anfang der 90er Jahre. In den vergangenen 25 Jahren ist keine profunde Forschungsarbeit mehr geleistet worden." Eine der perspektivischen Neubewertungen sei das Werk "Der 13. Januar" zur Erinnerungskultur gewesen, das er 2005 herausgegeben hatte und das nun in zweiter Auflage mit einem Vorwort von Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer vorliegt.

"Die historische Forschung hat lange Zeit noch in den Frontlinien des politischen Abstimmungskampfes gesteckt, bis in die 1980er Jahre", sagt der Historiker Professor Dietmar Hüser von der Saar-Uni. Heute gebe es in der Forschung ein differenzierteres Bild und einen breiteren Konsens als in der gesellschaftlichen Debatte. Wenn es geschichtspolitische Initiativen der Landesregierung gebe, gebe es heftig geführte Debatten in den Zeitungs-Leserbriefspalten. "Das spiegelt aber den Forschungsstand nicht wieder", erklärt Hüser. "Wir sind über die politischen Frontlinien hinaus."

Offen seien noch Fragen der lokalen Ebene, sagen Hüser und Linsmayer unisono: Wie haben sich etwa einzelne Priester Ende 1933, Anfang 1934 positioniert? "Hier kann man noch den einen oder anderen historischen Fund machen. Die Sozialisationsmacht der Kirche war damals ungleich größer als heute. Die Geistlichen sprachen bei den vielen Kriegerdenkmal-Einweihungen jener Zeit und sagten, was damals allgemein gedacht wurde: dass der Kriegsschuldparagraph des Versailler Friedensvertrags eine Lüge sei, die Deutschen zu Unrecht den 1. Weltkrieg verloren hätten und die Situation der Saarländer in Sonderheit ein großes Unrecht sei. Die Pfarrer rühmten die Soldaten in ihrem Heldentum, der Nationalismus wurde religiös überhöht", sagt Linsmayer. Dieses Denken sei Mehrheitsmeinung gewesen, ebenso wie die Sehnsucht nach der Einheit der Volksgemeinschaft, die die Nationalsozialisten nach der Machtergreifung Adolf Hitlers im Januar 1933 im Reich in Szene setzten. "Das neue Deutschland hat im Saarland nach 1933 auch viel Begeisterung ausgelöst." Wenn man bestimmte Studien sehe, heiße es oft: Die Saarländer wurden manipuliert, standen unter braunem Terror. Aber objektiv betrachtet müsse man sagen: Es gab eine große Entsprechung zwischen dem, was die Menschen ersehnten, und den Zukunftsvisionen, die das "neue Deutschland" vermittelte. Wobei Hüser zu bedenken gibt: "Wer Augen hatte zu sehen und Ohren zu hören, der wusste, dass er sich auf ein diktatorisches Willkür- und Gewaltregime einlassen würde."

Dass die Straße des 13. Januar in Saarbrücken , mit dem die Volksabstimmung geehrt wird, umbenannt werden muss, bestreitet Linsmayer. "Man hat das Problem nicht gelöst, wenn man die Straße umbenennt. Man kommt dem Problem dann am besten bei, wenn man möglichst gut über die Geschichte aufklärt. Man kann den Namen auch als historische Mahnung verstehen." Dieses Datum müsse Teil des Geschichtsbewusstseins bleiben, an Schulen auf dem Lehrplan.

"Das Ergebnis der Volksabstimmung von 1935 ist sehr ambivalent. Als Landesregierung sollte man darüber nachdenken, ob es politisch angemessen ist, eine Straße nach diesem Ereignis zu benennen", sagt Hüser. NS-Gauleiter Josef Bürckel habe 1936 verordnet, dass in allen Gemeinden des Saarlandes Straßen des 13. Januar benamt werden. Die seien alle nach 1945 umbenannt worden. "Die erneute Umbenennung der Schlachthofstraße, später St. Arnualer Straße, in Saarbrücken im Juli 1957 müsste man stärker historisieren", sagt Hüser. Die Umbenennung sage viel aus über die Verflechtung der ersten mit der zweiten Volksabstimmung, was die federführenden politischen Kräfte, Argumente oder Plakate anbelange. Es gebe Kontinuitäten der politisch Handelnden 1935 und 1955, bestätigt Linsmayer. Bei den Emigranten wie Johannes Hoffmann (CVP) sei das sehr gut aufgearbeitet, Biografien von Franz Josef Röder (CDU ) oder Heinrich Schneider (DPS/FDP), die 1935 auf NSDAP-Seite standen, fehlten. "Das findet als Thema bisher kein Interesse."

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