„Das bleibt jedem in Erinnerung“

Ludwigshafen · Vor einem Jahr flog in Ludwigshafen eine große Gasleitung in die Luft, zwei Menschen starben, es gab einen Millionenschaden. Das Unglück beschäftigt die Menschen immer noch – und die Justiz.

Bei der Explosion ist für Maria Magdalena Maier mehr als Tür und Tor kaputtgegangen. Die junge Ludwigshafenerin wohnt direkt neben der Stelle, an der damals eine Hochdruckgasleitung in die Luft flog. Zwei Menschen starben, 22 wurden verletzt, die Umgebung glich einem Trümmerfeld. Maier hatte fünf Minuten vorher den Müll rausgetragen, die Tonne steht zehn Meter vom Explosionsort entfernt. Sie war unter Schock und floh - für lange Zeit. "Ich habe ein Jahr lang nicht mehr hier gewohnt, weil ich es psychisch nicht verkraftet habe", sagt die 24-Jährige. Am Freitag jährt sich die Katastrophe zum ersten Mal.

Am Unglückstag hatte eine Baufirma aus Hessen auf einer Freifläche neben Maiers Wohnhaus die Leitung freilegen sollen, an der Unregelmäßigkeiten registriert worden waren. Auftraggeber war der Pipeline-Betreiber Gascade, eine Tochter von BASF und Gazprom. Laut Staatsanwaltschaft trieben die Arbeiter mit Hilfe eines Baggers eine Spundwand in die Erde, ohne den genauen Verlauf der Pipeline zu kennen. Leider war sie nicht abgestellt. Die Leitung wurde an zwei Stellen beschädigt, eine Explosion erschütterte die Gegend, eine hundert Meter hohe Flamme loderte unweit des BASF-Werks gen Himmel.

Ein Bauarbeiter war sofort tot, drei andere wurden schwer verletzt. Einer von ihnen starb Wochen später im Krankenhaus. An den Häusern in der Umgebung barsten die Scheiben, Dächer wurden beschädigt, Fassaden angesengt. Nach wenigen Sekunden sah die Gegend aus wie ein Kriegsgebiet. Anwohner flohen in Panik vor der mörderischen Hitze, vor der nicht einmal ihre Wohnungen Schutz boten. Noch in 150 Metern Entfernung schmolzen Autoblinker, Stoßstangen , Reklameschilder und Rollläden. "Das war schon ein erschreckendes Bild", sagt der Ortsvorsteher des Stadtteils Oppau, Udo Scheuermann (SPD ).

Maria Magdalena Maier und ihr Freund Ingo Ehrhardt hätten im Moment der Explosion ihre Wohnung verlassen, wenn der junge Mann sich nicht entschlossen hätte, noch etwas zu essen. "Wir haben richtig Glück gehabt", sagt die 24-Jährige. Das Paar, dem die Riesenflamme den Weg aus der Haustür versperrte, rettete sich über den Balkon - und rannte, "bis es nicht mehr heiß am Kopf war", schildert die Frau das Geschehen. Danach lebten sie bei Ehrhardts Eltern im Badischen, erst vor kurzem kamen sie zurück. Zwei Nachbarinnen seien wegen des Unglücks aber weggezogen, berichtet Maier. Andere mussten längere Zeit in Notunterkünften leben, weil ihre Wohnungen so schwer beschädigt waren. Der Schaden belaufe sich mindestens auf einen zweistelligen Millionenbetrag, sagt Scheuermann. Gascade spricht in einer groben Schätzung von bis zu 20 Millionen Euro. "Es handelt sich dabei in erster Linie um Schäden an Gebäuden und Autos", teilt Sprecherin Nicola Regensburger mit. Das Unternehmen und sein Versicherer schalteten sich in die Regulierung ein, auch wenn die Haftungsfrage noch nicht abschließend geklärt ist. Außerdem erbrachten eine Spendenaktion von Bürgern und ein Benefizspiel des 1. FC Kaiserslautern laut Scheuermann insgesamt rund 130 000 Euro. Davon erhielten jene 2000 Euro, die ihre Wohnung länger verlassen mussten.

Nach umfangreichen Reparatur- und Sanierungsarbeiten ist von den Unglücksspuren heute kaum noch etwas zu sehen. In den Köpfen vieler Menschen aber ist die Ruhe noch nicht wieder eingekehrt. "Das bleibt jedem in Erinnerung", sagt Scheuermann. "Das ist auch heute noch Gesprächsthema, auch bei Leuten, die nicht unmittelbar betroffen waren." Auch für die Justiz ist der Fall noch nicht abgeschlossen. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft kam es zur Explosion, weil bei den Arbeiten Sorgfaltspflichten verletzt wurden. Ermittelt wird gegen zwei Verantwortliche des Pipeline-Betreibers sowie gegen den Bauleiter und den Polier der Baufirma, unter anderem wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion.

Maria Magdalena Maier macht seit dem 23. Oktober 2014 einen großen Bogen um Bagger und Baustellen. Ihr Freund sorgte dafür, dass sie das Datum nicht nur in schlechter Erinnerung behält. Er bekannte ihr noch am selben Tag seine Liebe und den Wunsch sie zu heiraten.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort