Judoka des 1. JC Zweibrücken vor Tokio Der Wunsch nach einem „dickeren i-Punkt“
Zweibrücken · Es war ein langer Weg bis nach Tokio. Es war eine lange und extrem nervenaufreibende Qualifikationsphase. Doch Ende Juli werden die beiden Judoka des 1. JC Zweibrücken, Jasmin Grabowski und Martyna Trajdos, im Mutterland des Judo bei ihren jeweils zweiten Olympischen Spielen auf die Matte gehen.
Es scheint etwas unwirklich, die Koffer nun tatsächlich für die Reise zu den Olympischen Spielen in Tokio zu packen. „Fünf Jahre ist eine lange Zeit“, betont Martyna Trajdos, Judoka des 1. JC Zweibrücken beim Blick auf die coronabedingten zwölf zusätzlichen Monate, auf die ausgedehnte Qualifikationsphase, auf die Unsicherheiten und unzähligen Entbehrungen, die die Olympia-Verschiebung mit sich brachte. Der Stolz aber, nun ein zweites Mal bei dem größten Sportereignis der Welt für Deutschland auf die Matte gehen zu können, der ist riesig. Auch bei JCZ- und Nationalmannschaftskollegin Jasmin Grabowski. „Es ist absolut etwas Besonderes, ein zweites Mal, das Ticket für die Olympischen Spiele zu lösen. Das ist eine Sache, die schafft nicht jeder“, betont die 29-Jährige. Trotz der Corona-Auflagen, trotz der fehlenden Zuschauer sei es dennoch etwas sehr Spezielles in Tokio dabei sein zu dürfen. „Klar schaut man auch etwas wehmütig zurück, weil man weiß, was vor Rio alles war, mit Verabschiedungen und Veranstaltungen, in Brasilien selbst und mit dem Empfang danach“, sagt Grabowski. Es werden andere Spiele. „Dessen muss man sich bewusst sein, aber ist ja dennoch nicht minderwertig, es sind immer noch Olympische Spiele, es ist trotzdem immer noch ein Traum, der da für einen wahr wird.“
Anders verlief aufgrund der Corona-Pandemie auch schon der lange Weg bis zur Tokio-Nominierung. Ende Februar 2020 waren die beiden JCZ-Judoka bereits in den vorläufigen Olympia-Kader 2020 berufen worden, zwei Wochen später war das hinfällig, die Welt eine andere. Trainingshallen waren plötzlich dicht, der gewohnte Sportalltag nicht mehr existent. Der schwierigste Moment in den vergangenen eineinhalb Jahren sicher nicht nur für die beiden JCZ-Judoka folgte mit dem Entschluss, die Olympischen Spiele zu verschieben. „Das war schon ein herber Schlag“, erzählt Grabowski und fügt an: „Da hatte ich schon zwei, drei Tage richtig schlechte Laune. Da war ein Punkt erreicht, an dem man nicht wusste, wie man sich gerade fühlen soll.“ Alles, worauf die Sportler ohnehin schon vier Jahre hingearbeitet hatten, musste nochmal ein Jahr länger am Laufen gehalten werden. „Und Pläne, die man mal gemacht hat, funktionierten plötzlich alle nicht mehr. Das war schon ein herber Rückschlag“, sagt die Schwergewichtskämpferin bei allem Verständnis bei der damaligen Pandemielage. Die EM-Dritte des Vorjahres in der Klasse bis 63 Kilogramm, Martyna Trajdos, hatte an diesem Tag im März 2020 mit ähnlichen Gefühlen zu kämpfen. „Ich fand es extrem schwierig.“ Solch ein Olympia-Zyklus dauere ja ohnehin schon vier lange Jahre, die unmittelbare Qualifikation für die Spiele bei den Judoka zwei. „Und in diesen zwei Jahren stellt man so viel hinten an. Uni muss warten, Freunde müssen warten, Familie muss warten. Dann denkst du immer: Egal, nach den Spielen holst du alles nach – und dann kam plötzlich dieses Extra-Jahr“, erzählt die 32-Jährige. „Man fragt sich, wo nehme ich nur die Power für diesen nochmal sehr langen Atemzug her? Am Anfang war das schon ein Schlag ins Gesicht.“
Doch ein weiteres ungewöhnliches Gefühl stellte sich in dieser Phase ein: „Das Verrückte war, dass dann, als wir plötzlich nicht mehr so viel gereist sind und wir nicht mehr so viele Wettkämpfe hatten, man sich fast ein Stück weit erholt hat“, erklärt Trajdos. Man habe schlagartig mal etwas herunterfahren können, bestätigt Grabowski, die seit mittlerweile zehn Jahren für den 1. JC Zweibrücken kämpft. „Da konnte man zum Glück nochmal etwas Kraft tanken für dieses Jahr plus.“
Nach dem Rückzug der deutschen Athleten vom Grand Slam in Tiflis Ende März - wo es mehrere Corona-Fälle gab -, nach dem folgenden Verzicht auf den Start beim Grand Slam im türkischen Antalya, war die JCZ-Judoka in der Olympia-Rangliste von dem so sicher geglaubten direkten Qualiplatz abgerutscht. Gedanken an das Olympia-Aus, wollte Grabowski aber zu keinem Zeitpunkt zulassen. Daran, dass die harte Arbeit der vergangenen fünf Jahre, das Zurückkämpfen nach ihren Schulteroperationen für Nichts gewesen wäre.
Bei der WM in Budapest Mitte Juni dann die erlösende Nachricht: Es reicht. Über die Kontinentalquote hat die gebürtige Böhl-Iggelheimerin, die mit den Bronzemedaillen bei den Grands Prix in Antalya und Hohhot 2018 sowie Platz fünf beim Grand Prix in Tel Aviv Anfang des Jahres den Grundstein gelegt hatte, schließlich ein Tokio-Ticket erhalten. „Der Stein, der mir vom Herzen gefallen ist, war natürlich riesig.“
Und so ist der 1. JC Zweibrücken nun der einzige Verein, der mit Grabowski (plus 78 Kilogramm) und Trajdos (bis 63 Kilogramm) – die sich als Neunte des Olympia-Rankings souverän qualifizierte – gleich zwei Judoka für Deutschland zu den Spielen nach Japan schickt. „Das macht uns schon stolz“, sagt JCZ-Heimtrainer Stephan Hahn: „Ich finde es toll, dass unsere beiden Athletinnen in Tokio dabei sein können. Für Judo schließt sich dort gerade ein Kreis. Dort hat die olympische Judo-Geschichte 1964 ihren Anfang genommen – und jetzt in 2021 wieder hier bei Olympia zu kämpfen, das ist für den Judosport schon historisch. Und Jasmin und Martyna sind ein Teil dieser Geschichte.“ Das sei absolut besonders.
„Ich finde es super schön, dass wir im Herkunftsland des Judo sind – das hat schon eine Bedeutung für mich“, spricht Trajdos von dem Gastgeberland. Zumal sie und ihre Teamkollegin „immer sehr gerne in Japan sind, wir vermissen das durch die Coronazeit schon richtig“. Sonst sind wir ein, zwei Mal in der Saison in Japan“, sagt die 32-Jährige, dass neben den Wettkämpfen hier auch etwas anderes bei den beiden JCZ-Athletinnen hoch im Kurs steht: „Wir gehen hier auch immer sehr gerne shoppen. Das werden wir vor Ort vermissen – gerade die Krimskrams-Läden“, sagt sie lachend. Es bleibe die kleine Hoffnung, dass es einen solchen im olympischen Dorf gibt. „Terminshopping – das wäre super“, ergänzt Grabowski mit einem Grinsen.
Doch nicht nur das gemeinsame Shoppingvergnügen wird sich für die JCZ-Judoka, die beide am Olympiastützpunkt Rheinland in Köln trainieren, von ihren bisherigen Japan-Aufenthalten unterscheiden. Auch über den Wettkämpfen schwebt – nicht nur durch das Fehlen der Zuschauer – weiterhin das Coronavirus. Ein Gefühl der Unsicherheit wollen Grabowski und Trajdos aber nicht aufkommen lassen. „Ich versuche Corona bei den Wettkämpfen irgendwie hinten anzustellen im Kopf. Wir tun ja das bestmögliche, um uns zu schützen“, erklärt Trajdos. Die Sportler sind geimpft, werden täglich getestet, vor Wettkämpfen sind zwei PCR-Test Pflicht – „wenn wir uns da noch den Kopf zerbrechen würden, wäre das suboptimal“, betont sie. „Wir tun alles, um das zu kontrollieren.“ Im vergangenen Jahr, als die Infektionszahlen überall „noch extremst hoch waren, auch bei der WM in Prag, da war das nochmal eine andere Situation“, sagt Grabowski. Jetzt seien die beiden „ich will nicht sagen entspannter, aber man nimmt nicht mehr alles so engstirnig. Wir sind jetzt geimpft, wir tun alles dafür, um uns nicht anzustecken, und tun eben das, was wir in der eigenen Hand haben“. Und der Weltverband mache mittlerweile mehr Tests, auch im Betreuerstab. „Das bringt nochmal ein bisschen mehr Sicherheit, nachdem, was da im März passiert war. Das Bewusstsein ist schon nochmal ein besseres“, sagt die EM-Zweite von 2015. Und beide sind davon überzeugt, dass das Gastgeberland Japan streng mit den Hygienevorschriften und Corona-Regularien umgehen wird. „Wir wohnen im olympischen Dorf, es gibt eine Blase, die wir nicht verlassen dürfen. Wir dürfen auch nur mit offiziellen Transporten zur Halle fahren, um das Risiko zu minimieren.“
In der Wettkampfhalle, dem Nippon Budokan in Tokio, wird es dann recht ruhig zugehen. Das kennen die Athleten von den Grand Slams und internationalen Meisterschaften zuletzt. Nicht nur die Zuschauer, auch die Kontakte fehlen - abgesehen von denen der direkten Gegenüber im Kampf. „Es ist beim Wettkampf nicht mehr so freundschaftlich wie früher, das vermisst man ein bisschen. Jeder ist mehr für sich“, erzählt Trajdos von den bisherigen Erfahrungen in der Corona-Zeit.
Dass der Schlussspurt vor den Spielen so nervenzehrend, die Generalproben für die beiden JCZ-Sportlerinnen beim Grand Slam im russischen Kasan sowie bei der WM in Budapest nicht ganz nach Wunsch verlaufen waren, davon lassen sich die beiden erfahrenen Judoka nicht aus der Ruhe bringen. „Bei meiner Karriere würde ich jetzt nicht nur auf die vergangenen zwei Monate zurückblicken“, betont Trajdos. „Jasmin und ich sind ja nun schon seit 2008 zusammen in der Nationalmannschaft. Ich denke, in dieser Zeit habe ich viele starke Wettkämpfe gemacht, kann auch auf viele krasse Medaillen zurückblicken. Daraus kann ich einfach meine Zuversicht nehmen“, lässt die Europameisterin von 2015 keinerlei Zweifel an der eigene Leistungsfähigkeit aufkommen. Wenn die direkte Olympia-Vorbereitung auch sicher nicht ganz einfach war. Eine Ellbogenverletzung, „die sich gezogen hat“, habe sicher bei den Auftritten in Kasan und bei der WM in Budapest eine Rolle gespielt. „Man muss sich da erst nochmal zurückfuchsen“, will Trajdos das aber nicht an die große Glocke hängen. Schmerzen gehörten auf diesem Niveau im Judo einfach dazu. „Das ist Leistungssport. Wir arbeiten immer daran, unsere Grenzen wieder ein Stück weit zu überschreiten, immer bis dahin zu kommen.“ Ganz ohne Leiden gehe das nicht. „Ja, es war ein bisschen holprig zuletzt, aber, das war ja nur die Generalprobe, in Tokio zählt es dann.“ Dort, wo Martyna Trajdos zwei ihrer größten Erfolge gefeiert hat. 2015 gewann sie beim Grand Slam in der japanischen Hauptstadt Gold, bei der Weltmeisterschaft 2019 die Bronzemedaille. Momente, die der Judoka, die schon seit über einem Jahrzehnt in der Weltspitze kämpft, auch bei ihren zweiten Olympischen Spielen Auftrieb geben dürften. „Ich denke, Jasmin und ich können aber auch davon profitieren, dass wir schon zusammen bei den letzten Spielen in Rio waren.“
Wenn die beiden Teamkameradinnen von dort auch die leidvolle Erfahrung verbindet, beim Olympia-Debüt 2016 frühzeitig auszuscheiden. „Es war schon bitter, da in der ersten Runde raus zu sein, erinnert sich Jasmin Grabowski. „Ich glaube aber, dass wir jetzt mit einem entspannteren Gefühl hinfahren können.“ Mit dem Wissen, wie es abläuft. „Wir waren schon mal bei den Spielen. Man kann es ein bisschen besser einordnen und ist vielleicht nicht mehr so geflasht von allem, davon, dass man es geschafft hat“, erklärt Grabowski, fügt aber gleich lachend an: „Obwohl wir wahrscheinlich trotzdem mal zwei Tage kurz durchdrehen, dass wir nun tatsächlich dabei sind.“ Die Pfälzerin fügt dann aber bestimmt an: „Ich will es in Tokio schon besser machen als in Rio.“
Eine genauere Prognose abzugeben, das sei unmöglich, betont Stephan Hahn: „Die Judowelt ist so eng zusammengerückt und bei Olympia ist die Anzahl der Athleten so reduziert, da ist jeder Kampf ein schwerer. Für mich ist der größte Erfolg, dass sich beide qualifiziert haben.“ Klar wolle man als Athlet vor Ort jeden Kampf gewinnen, „aber das ist für mich nur der i-Punkt. Ich hoffe, und wünsche es unseren beiden Athletinnen, dass dieser ein bisschen dicker wird als in Rio“. Was den Judosport ausmacht, sei eben, dass er nicht vorhersagbar ist. „Der Kampf kann mit der nächsten Technik vorbei sein“, betont der JCZ-Vorsitzende Hendrik Harth. „In die eine oder die andere Richtung. Ich habe nicht die Möglichkeit, nochmal ein Tor aufzuholen.“
Es sei eine Sportart, „die einem alles abverlangt, körperlich und geistig“, bestätigt Grabowski. Eine angestrebte Platzierung will daher auch Martyna Trajdos für Tokio nicht ausgeben. „Mein Ziel ist es, am 27. Juli die beste Version von mir selbst abzuliefern. Ich denke, wenn ich das schaffe, dann weiß ich auch, dass da etwas Gutes dabei herumkommen kann.“ Dann, wenn im Nippon Budokan der lang ersehnte Wettkampf der Gewichtsklasse bis 63 Kilogramm auf dem Programm steht. Drei Tage darauf, am Freitag, 30. Juli, geht es für Jasmin Grabowski bei ihren zweiten und letzten Olympischen Spielen auf die Matte. Nach Tokio will sie ihre internationale Karriere ausklingen lassen. Dass die 29-Jährige nach dem Leben für den Judosport, nach jahrelangen Entbehrungen, großem Reisestress, nach Rückschlägen, aber auch den Erfolgen dann aus Japan zurückkehren, den Koffer auspacken und plötzlich mehr Zeit für Familie, Freunde und private Reisen haben wird – auch das wird sicher erst einmal unwirklich sein.