Schwelgen in alten EM-Zeiten

Große Fußballturniere sind immer mit Erinnerungen verbunden. Das ist zumindest bei den eingefleischten Fans dieser Sportart so. Und so wissen diese oft noch viele Jahrzehnte später, wie sie dieses oder jenes Spiel gesehen haben und welche Emotionen dabei freigesetzt wurden.

Sie erinnern sich an den Jubel über das entscheidende 3:2 von Helmut Rahn im WM-Finale 1954 gegen Ungarn, an die Empörung über das Nicht-Tor der Engländer 1966 in Wembley oder an die Scham über die "Schande von Gijón" 1982, als sich Deutsche und Österreicher in die nächste WM-Runde mauschelten.

Auch wenn die Fußball-Europameisterschaft vom Stellenwert her noch ein kleines Stück hinter der Weltmeisterschaft angesiedelt ist, haben sich auch bei diesem Turnier im Laufe der Jahre viele persönliche Erinnerungen angesammelt. Die wollen wir während des anstehenden Turniers in Frankreich, das am 10. Juni beginnt, thematisieren. Auch Merkur-Leser dürfen dann in alten EM-Zeiten schwelgen.

Bei mir setzen die Erinnerungen altersbedingt erst im Jahre 1988 ein. Sehr dunkel erinnere ich mich an die EM im eigenen Land. Da ich damals gerade einmal fünf Jahre alt war, durfte ich vom Halbfinalspiel zwischen Deutschland und Holland nur die erste Halbzeit gucken. So verpasste ich so ziemlich alles, was dieses Spiel ausgemacht hat: Denn die Führung durch Lothar Matthäus per Elfmeter, der Ausgleich durch Ronald Koeman (ebenfalls per Strafstoß) sowie der Siegtreffer für die Niederlande durch Marco van Basten fielen erst nach dem Wechsel. Doch davon erfuhr ich erst am nächsten Tag.

Wesentliches verpasste ich auch vier Jahre später. Während die deutsche Nationalelf 1992 im EM-Finale auf Dänemark traf, weilte ich mit meiner Familie in Fort Lauderdale im US-Bundesstaat Florida. Meine Eltern hatten nicht die Absicht, einen sonnigen Urlaubstag mit Fußballgucken zu verschwenden - was in jeglicher Hinsicht eine sehr weise Entscheidung war. Denn während wir den Atlantik genossen, blamierte sich die deutsche Nationalmannschaft im viele tausend Kilometer entfernten Schweden bis auf die Knochen. Dänemark war für das Turnier eigentlich gar nicht qualifiziert gewesen und nur durch den Ausschluss Jugoslawiens nachgerückt. Im Finale machten John Jensen und Kim Vilfort die Sensation perfekt, die ich zum Glück nicht miterleben musste.

So sah ich erst 1996 im Alter von 13 Jahren mein erstes EM-Endspiel. Das war dann auch gleich deutlich erfreulicher: Deutschland gewann den Titel durch das erste Golden Goal der Fußball-Geschichte. Als Oliver Bierhoff den Ball im Finale gegen Tschechien zum 2:1 über die Linie gurkte, brauchte ich einen kleinen Moment, um zu realisieren, dass das Spiel damit zu Ende war. Dann war die Freude aber groß im heimischen Wohnzimmer. Hätte ich geahnt, dass es zwölf Jahre dauern würde, bis es bei einer EM mal wieder Grund zum Jubeln geben würde, hätte ich vielleicht noch ein wenig ausgelassener gefeiert.

Denn die Turniere 2000 und 2004 waren aus deutscher Sicht schlicht zum Vergessen. Ohne Sieg schied das Team jeweils in der Vorrunde aus. Persönliche Erinnerungen an das Turnier sind folglich Mangelware. Haften bleibt allenfalls der sensationelle Erfolg der Griechen bei der EM 2004 in Portugal. Da konnte ich mich als Werder-Fan zumindest mit dem langjährigen Bremer Trainer Otto Rehhagel freuen, der den Coup als Coach der Griechen mit möglich machte.

Mit Bremen hat auch meine Erinnerung an die EM 2008 zu tun. Auf dem dortigen Domshof verfolgte ich das Finale zwischen Deutschland und Spanien. Nach dem spektakulären 3:2-Halbfinalsieg über die Türkei waren die Erwartungen beim "Public Viewing" groß. Doch 90 Minuten später folgte nichts als Enttäuschung. Deutschland hatte sich so gut wie keine Torchance erarbeitet - Spanien siegte verdient durch einen Treffer durch Fernando Torres.

Das vorerst letzte Kapitel meiner EM-Erinnerungen folgte vor vier Jahren. Damals ging es im Halbfinale gegen die Italiener. Ich schaute das Spiel mit Freunden, und wir alle brannten auf Revanche für das WM-Halbfinale 2006. Doch Mario Balotelli riss uns mit zwei Toren noch vor der Pause aus allen Träumen. Während der Halbzeit ärgerten wir uns noch ein wenig über Tagesthemen-Moderator Ingo Zamperoni. Der Halb-Italiener hatte aus unserer Sicht ein wenig zu süffisant in die Kamera gelächelt. Völlig irrationale Gefühle, zu denen wohl nur Fußballfans während eines wichtigen Spiels in der Lage sind. . .

Wer ganz persönliche Erinnerungen an alte EM-Zeiten ebenfalls mit den anderen Lesern teilen möchte, kann sich an die Sportredaktion wenden. Per E-Mail unter merkur@pm-zw.de oder telefonisch unter (0 63 32) 80 00 50.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort