Triathlon Nicht ohne Schmerzen zum „Sahnehäubchen“
Zweibrücken · Nach über anderthalb Jahren coronabedingter Wettkampfpause startet Oliver Spurzem Ende Mai bei der Halbdistanz im österreichischen St. Pölten. Auch die Qualifikation für seinen fünften Hawaii-Start will der Zweibrücker Triathlet in diesem Sommer in Angriff nehmen.
An die Schmerzen, an das Leiden auf der Strecke – ja, an dieses Gefühl kann sich Oliver Spurzem noch gut erinnern. Auch an das Adrenalin und die Emotionen. Und letztere, so ist er sich sicher, werden bei dem nun anstehenden Wettkampf-Debüt in diesem Jahr besonders groß sein. Denn sein letztes Rennen hat der Triathlet der Wassersportfreunde Zweibrücken beim Ironman auf Hawaii im Oktober 2019 bestritten. Eine Ewigkeit für den ehrgeizigen Athleten, der immer wieder neue Herausforderungen sucht. Dem für seinen Sport keine Reise zu weit, keine Anstrengung zu groß ist. Der immer noch das Ziel hat, bei dem legendärsten Ironman der Welt auf Kona die Zehn-Stunden-Marke zu knacken.
Doch all diese Pläne sind durch die Corona-Krise abrupt ausgebremst worden. „Es reicht langsam auch“, sagt Spurzem – der nun den ersten Lichtblick am Horizont sieht. Nach monatelangem Training, dem Aufrechterhalten der Form und der ständigen Ungewissheit steht für ihn nun der erste Wettkampf vor der Tür. Am 30. Mai will der 44-Jährige bei der Veranstaltung der „Challenge“-Serie im österreichischen St. Pölten die Mitteldistanz (1,9 Kilometer Schwimmen, 90 Kilometer Radfahren und 21,2 Kilometer Laufen) in Angriff nehmen.
Die Freude darüber, endlich in seinen „Rennmodus“ schalten zu können, ist Spurzem anzuhören. Seit November 2019 läuft schließlich nur das Training „ganz normal durch“. Im vergangenen Jahr hat der Triathlet sein Übungspensum im Hinblick auf Umfang und Intensität so abgespult, als hätten die geplanten Wettkämpfe tatsächlich stattgefunden – was nicht ein einziges Mal der Fall war. „Aber jetzt gibt es endlich ein Ziel“, freut sich der Zweibrücker, der allerdings noch ein „kleines Damoklesschwert“ über dem Rennen schweben sieht. „Es kann natürlich noch passieren, dass die Zahlen wieder hoch gehen, dass Österreich zum Risikogebiet oder Virusvarianten-Gebiet hochgestuft wird. Dann bist du wieder raus“, weiß Spurzem.
Dass er sein Training trotz Corona gnadenlos durchgezogen hat, macht sich positiv bemerkbar. „Ich bin gerade recht gut drauf“, sagt Spurzem – und das in allen drei Disziplinen, die zu einem Triathlon dazugehören. Auch was das Schwimmen angeht, das den meisten Athleten in der Coronazeit angesichts geschlossener Bäder Probleme bereitet. Spurzem konnte in den zurückliegenden Monaten hingegen auf seinen selbst gebauten Pool im Garten, auf das Lehrschwimmbecken im Zweibrücker Hofenfels-Gymnasium sowie auf nasskalte Einheiten im Trainingslager zurückgreifen. „Das war schon krass, was ich da in zwei Wochen abgeschwommen habe.“ Denn pro Woche 22 Kilometer schwimmen seien „schon wild“, sagt Spurzem. „Beim Training im Hofenfels, auch wenn das Becken kurz ist, merke ich schon, dass das Wassergefühl gut, der Druck da ist“, ergänzt er.
Nachholbedarf habe er allerdings noch im „Open Water“. Denn Schwimmen im Becken und Schwimmen im Freiwasser – das sind zwei Paar Schuhe, weiß Spurzem. „Da muss ich noch was machen vor dem Rennen. Ich muss mal schauen, welche Seen offen haben – die sind halt noch frisch im Mai.“ Aber um reinzuspringen und 20 Minuten „zu ballern, um das Gefühl nochmal zu haben“ werde es schon gehen, ist sich der Triathlet sicher. Auch vor Ort in St. Pölten werde Spurzem vor dem Renntag nochmal in den See springen. „Und das muss dann einfach mal reichen.“ Zumal es zum Auftakt nicht um die Qualifikation für den Ironman auf Hawaii geht. „Klar bist du vor dem ersten Rennen nach so langer Zeit trotzdem motiviert“, versichert Spurzem.
Zwar werden auch bei den Challenge-Wettkämpfen (im Vergleich zur WTC/Ironman-Serie) Startplätze für deren eigene WM vergeben, die Ende August in der Slowakei stattfindet. „Aber das ist nicht meine Priorität“, erklärt der viermalige Hawaii-Teilnehmer. Theoretisch könne es aber schon sein, dass er sich für die WM des konkurrierenden Verbandes qualifiziert. „Gerade das Schwimmen wird im Wettkampf ein Vorteil für mich sein. Vielleicht kann ich meine Zeit sogar verbessern. Da werden es viele aufgrund der fehlenden Trainingsmöglichkeiten im Wasser schwerer haben“, glaubt der 44-Jährige.
Doch auch er selbst müsse vor dem Wettkampf in Niederösterreich noch „ein bisschen was schaffen“. Nachdem er über lange Zeit vor allem an der Grundlagenausdauer gearbeitet hat, habe er vor zwei Wochen mit der Wettkampf-Belastung angefangen. „Da hatte ich richtige Schmerzen, was habe ich da gelitten“, blickt der Zweibrücker auf die ersten Einheiten nach Erhöhung der Intensität zurück. „Das sind Wochen, die sind richtig hart. Denn der Körper muss nach langer Zeit aus der Komfortzone Grundlagentraining raus“, erklärt Spurzem. In solchen Momenten schalte sich plötzlich auch der Kopf ein und frage: „Du hast ein Rennen in drei Wochen, wie soll das gehen?“ Dann helfe es, zu reflektieren, „was der Körper in den letzten Wochen eigentlich alles geleistet hat“ und positiv zu denken.
Am Wettkampftag selbst werde dann sicher vieles anders ablaufen als es die Athleten gewohnt sind, ist sich Spurzem sicher. Immerhin sei St. Pölten nun das erste Rennen in Europa, nach welchem die Sportler nach der Rückkehr nach Deutschland nicht mehr zur Quarantäne verpflichtet sind. „Deshalb habe ich vorher auch noch kein Rennen, wie etwa das auf Gran Canaria, gemacht. Das kann ich mir nicht leisten“, erklärt Spurzem. Allerdings muss er sich 72 Stunden vor seiner Einreise nach Österreich anmelden, ebenso vor der Rückreise in die Heimat. Um das Rennen zu bestreiten sei es auch im Vorfeld „alles ein bisschen mehr Aufwand, mehr Papierkram. Es ist nicht mehr so unbeschwert – aber es ist es wert“.
Vor Ort kommen die Athleten nur mit negativem Coronatest in den Wettkampfbereich. Das gelte auch für die Geimpften. Auf dem Gelände müssen die Sportler zudem bis zum Schwimmstart eine Maske tragen. „Das wird funktionieren“, ist und fühlt sich Spurzem sicher. „Wenn du einem Leistungssportler sagst, was er zu tun hat und wie er es zu tun hat, dann hält er sich da auch peinlichst genau dran. Der wird nie auch nur einen kleinen Fehler machen, weil er weiß, was daran hängt.“
Nach den langen Monaten ohne Wettkampf, nach dem einsamen Schuften im Training werde vor dem Start „viel von dir abfallen, von dem Stress der letzten eineinhalb, zwei Jahre“, vermutet Spurzem. „Das wird äußerst emotional. Bei meinem ersten Ironman hatte ich auch leichte Tränchen im Auge vor dem Start“, erinnert sich der Zweibrücker, der seine erste Langdistanz 2010 in Florida, den Ironman auf Hawaii erstmals 2014 absolvierte, zurück. „Das kann jetzt auch passieren.“ Zumal die Challenge-Veranstalter beim Start immer ein großes Feuerwerk abbrennen würden. „Die sind ja auch froh sind, dass sie wieder Wettkämpfe machen können. Die werden daher sicher ganz schwere Geschütze auffahren.“
Und das schon morgens ab 6.30 Uhr. Für Spurzem geht es gleich in der ersten Schwimmgruppe nach den Profis ab 6.45 Uhr ins Wasser. „Das heißt für mich: Die Nacht ist um 3.30 Uhr vorbei. Dann geht es ab.“ Essen, Registrierung, rein in den Wettkampfbereich – und dann in den See. „Da bist du gleich wach morgens – in dem österreichischen Eiswasser“, sagt der Zweibrücker und muss lachen.
Möglicherweise sind die Temperaturen dann einen Monat später in Kaiserwinkel – und damit erneut in Österreich – ja schon etwas sommerlicher, wo Oliver Spurzem am 27. Juni seine zweite Mitteldistanz der Saison plant. „Das ist ein bisschen näher. Jetzt muss ich ja fast bis Wien fahren. Aber das ist egal, ich wäre für den ersten Wettkampf noch viel weiter gereist“, betont er. Mitte August steht für Spurzem dann die verschobene Ironman-EM in Frankfurt über die Langdistanz (3,8 Kilometer Schwimmen, 185 Kilometer Radfahren und 42,2 Kilometer Laufen) an. Ob dazwischen für den Stabsfeldwebel des Fallschirmjägerregiments 26 mit dem Militärteam noch die Kurzdistanz-WM in Kanada stattfinden wird, ist offen. Ansonsten will Spurzem den Juli zur Vorbereitung auf Frankfurt nutzen. Möglicherweise werde dann am 1. August in Sassenberg noch eine Olympische Distanz mit der Militär-Mannschaft eingeschoben. „Das würde ganz gut passen, so zwei Wochen vor Frankfurt noch ein bisschen was mit Geschwindigkeit zu machen.“ Am 15. August soll es am Main dann mit der Qualifikation für das legendäre WM-Rennen in Kailua-Kona auf Hawaii klappen. Es wäre die fünfte Teilnahme für den Zweibrücker. Und sollte das schief gehen, steht Ende Oktober zum Saisonausklang ja immer noch die bereits mehrfach verschobene Langdistanz in Kalifornien (Sacrameto/USA) im vollgepackten Wettkampfkalender des 44-Jährigen. Der Rennplan für das Jahr steht also – nun muss nur noch Corona mitspielen und die Umsetzung zulassen.
Den Auftakt hat Spurzem nun dicht vor Augen. Er freut sich darauf, sich „wieder so richtig zu verausgaben“. Es sei einfach schön, „wenn du dich da mal wieder fallen lassen kannst. Wenn du alles gibst, dann ein gutes Rennen abgeliefert und ein gutes Gefühl hast. Du machst wieder das, wofür du die ganze Zeit schuftest. Es ist das Sahnehäubchen.“ Das seien die Rennen zwar immer. Aber nach weit mehr als anderthalb Jahren ohne Wettkampf sei dieses Sahnehäubchen „nochmal doppelt so groß“ wie gewöhnlich. Ob das für Oliver Spurzem auch die doppelte Menge an Schmerzen auf der Strecke bedeutet – das wird sich am 30. Mai in St. Pölten zeigen.