Vom SV 64 in die Bundesliga Die kuriose Geschichte des Martin Schwarzwald

Zweibrücken · Vor 20 Jahren kam Martin Schwarzwald beim SV 64 Zweibrücken zum Handballsport wie die Jungfrau zum Kinde. Ab Dezember trainiert er nun den deutschen Frauen-Rekordmeister Bayer Leverkusen. Schwarzwalds erster Trainer war Stefan Bullacher. Mit diesem verbindet ihn viel mehr als nur der Handball.

  Martin Schwarzwald hat die Nachwuchsarbeit beim SV 64 mitgeprägt. Er trainierte auch die heutige Bundesligaspielerin Elisa Burkholder (Nummer 25).

Martin Schwarzwald hat die Nachwuchsarbeit beim SV 64 mitgeprägt. Er trainierte auch die heutige Bundesligaspielerin Elisa Burkholder (Nummer 25).

Foto: MARCO WILLE-Photographie/Marco Wille

Als Martin Schwarzwald vor die heimische Haustür trat, um eine Runde mit seinem Hund spazieren zu gehen, wusste er nicht, dass er etwas mehr als 20 Jahre später Trainer des deutschen Frauenhandball-Rekordmeisters Bayer Leverkusen sein würde. Woher auch? Der 13-jährige Martin spielte doch überhaupt keinen Handball.

Das allerdings änderte sich an jenem Tag. Denn wer Schwarzwald bei seinem Spaziergang entgegeneilte war Stefan Bullacher. Dieser war damals Anfang 30, hatte kurz zuvor seine Spielerkarriere beim SV 64 Zweibrücken beendet – und lief nun flotten Fußes durch die Allee. Mit Flugblättern im Arm, die er an Kinder und Jugendliche verteilte. Der heutige Trainer des SV-Drittligateams suchte Nachwuchs für die Jugendabteilung seines Vereins. Die steckte vor 20 Jahren nämlich noch in den Kinderschuhen.

Warum der heute 51-Jährige ausgerechnet den jungen Martin ansprach? „Er hatte so eine grundsympathische Ausstrahlung“, erinnert sich Bullacher. Ob er am Freitag beim Training dabei sein wolle, habe er den Teenager gefragt – sich dabei aber insgeheim gedacht: „Der kommt im Leben nicht!“

Doch Martin Schwarzwald kam. Und nicht nur das. Drei Jahre später war er Jugendcoach beim SV 64. Und Trainer ist er heute immer noch. Nur eben beim deutschen Damen-Rekordmeister Leverkusen, bei dem er am 1. Dezember seine erste Übungseinheit leiten wird. Kneifen müsse er sich ob dieser wundersamen Geschichte zwar nicht. „Aber so richtig einordnen kann ich das wohl erst mit ein bisschen Abstand. Wenn ich wirklich an der Seitenlinie stehe. Ich erlebe gerade turbulente Zeiten“, sagt Schwarzwald und seufzt.

Wenige Tage bevor er seine Unterschrift unter den Vertrag bei den Rheinländern setzte, suchte er den Kontakt zu seinem früheren Coach. „Stefan hat mich ja nicht nur trainiert – er hat mich auch geprägt“, sagt der heute 34-jährige Schwarzwald. „Stefan war ein kommunikativer, aber noch mehr ein empathischer Trainer. Für mich, als Sohn einer alleinerziehenden Mutter, war er ein großer Bezugspunkt. Eigentlich eine Vaterfigur. Ich habe ihn oft um Rat gefragt. Nicht nur in sportlichen Dingen.“ Und der SV 64 Zweibrücken? „Der ist immer noch mein Verein“, sagt Schwarzwald. „Bis vor einem halben Jahr war das Vereinslogo der Bildschirmhintergrund meines Handys – seitdem ist es mein Sohn.“

Die eine oder andere Erfahrung im Umgang mit dem eigenen Nachwuchs sammelte Schwarzwald – wie sollte es anders sein – bei Familie Bullacher. Während das SV-Trainer-Ehepaar Stefan und Dunja in der Halle Anweisungen gab, hütete Schwarzwald deren drei Kinder. „Das war eine harte Zeit für ihn“, sagt Bullacher und lacht. „Überhaupt nicht“, entgegnet Schwarzwald und muss ebenfalls schmunzeln. „Die Kids ins Bett bringen und fernsehen – das war eine Superzeit. Und irgendwie muss man sich als Jugendlicher ja ein paar Kröten verdienen.“

Heute sind er und Schwarzwald „trotz 18 Jahren Altersunterschied Freunde“, sagt Bullacher. „Ich freue mich immer, wenn Martin uns besucht. Auch wenn der Abend dann immer mit langen Diskussionen an der Taktiktafel endet.“

Seine ersten Schritte als Übungsleiter beim SV 64 ging Schwarzwald 2003 im Trainerteam mit Martin Röhrig (ehemals Jugendleiter HSC Coburg) bei den männlichen B-Jugendlichen. Doch sein Fokus richtete sich nach und nach auf den weiblichen Nachwuchsbereich. Seit 2010 trainierte er die C-Juniorinnen des Vereins. Darunter die heutige Nationalspielerin Amelie Berger (SG Bietigheim) und Bundesligaspielerin Elisa Burkholder (FSV Mainz). Berger, die ab Anfang Dezember bei der Europameisterschaft auf der Platte stehen wird, habe unter Schwarzwald „einen Riesensprung gemacht“, sagte SV-Trainerin Dunja Bullacher 2019 dem Pfälzischen Merkur.

2012 wurde Schwarzwald mit den C-Juniorinnen Saarlandmeister. „Ein besonderer Moment. Vorher hatte ich so oft erlebt, wie Stefan ein Nachwuchsteam zum Erfolg führt. Das war dann die erste Mannschaft, bei der ich das Gefühl hatte, dass ich sie selbst aufgebaut habe“, erinnert sich Schwarzwald. Auch an den gemeinsamen Saarlandpokalerfolg der SV-Frauen und Männer 2014 denkt er gerne zurück. 2012 hatte Schwarzwald auch das Damen-Team der 64er in der Oberliga übernommen.

Die Löwinnen beobachtet Schwarzwald noch immer. Meist aus der Ferne. „Aber im Sommer habe ich sie auch live bei einem Vorbereitungsspiel gegen Metz gesehen“, erzählt der 34-Jährige. „Klar haben sie gewonnen – und richtig gut gespielt“, ergänzt er. Die SV-Spielerinnen Annalena Frank und Lara Schlicker hatte Schwarzwald bereits als D-Jugendliche trainiert.

2015 endete das Kapitel Martin Schwarzwald beim SV 64. Er schloss sich dem Bundesligisten HSG Bensheim/Auerbach als Co-Trainer und Jugendkoordinator an. Zwei Jahre arbeitete er dort erfolgreich, stieß mit der A-Jugend bis ins Halbfinale um die deutsche Meisterschaft vor. Doch weil der Verein Schwarzwalds Vertrag im Anschluss nur um drei weitere Spielzeiten – oder gar nicht – verlängern wollte (Schwarzwald: „Ich wollte mich aber nicht so lange auf die Rolle als Co-Trainer festlegen“), wechselte er 2017 als Chefcoach zum Zweitligisten TVB Wuppertal. Den TVB führte er mit kleinem Etat in die Aufstiegsränge zur ersten Liga. Aber Schwarzwald lebte in Wuppertal – seine Freundin in Mainz „und wir hatten den Kinderwunsch, deshalb waren wir uns einig, dass meine Zeit beim TVB nur begrenzt sein kann.“

2019 schloss der gebürtige Landstuhler sich deshalb dem Drittligisten SG Mainz/Bretzenheim an. Deren Anfrage stieß bei Schwarzwald zunächst auf Skepsis. „Ich hatte mir eine gute Reputation als Trainer aufgebaut und dachte: ‚Die ist futsch, wenn es in der dritten Liga schief geht.’“ Doch die Zweifel waren unbegründet: „Die SG ist ein toller familiärer Verein. Ein bisschen so wie der SV 64. Ich bin mit dem Fahrrad zum Training gefahren – habe mich dort zu Hause gefühlt.“

Doch dann kam das Angebot des deutschen Rekordmeisters, das „ich einfach nicht ausschlagen konnte“, sagt Schwarzwald. „Ich bin demütig genug zu wissen, dass das nicht ein – sondern gleich zwei Schritte nach vorne sind. Einer der renommiertesten Vereine in Deutschland. 45 Jahre am Stück erste Bundesliga. Ein Vorzeigeclub in Sachen Jugendarbeit“, schwärmt er.

Erst im kommenden Sommer wird Schwarzwald allerdings nach Leverkusen umziehen. Die Trainingseinheiten wird er bis dahin nicht alle selbst leiten können. Das ist unter anderem seiner Arbeit als Grafiker geschuldet. Seinen Arbeitgeber wolle er nicht „von heute auf morgen vor vollendete Tatsachen stellen.“ Im Sommer werde er dann aber seine „volle Kraft in die neue Aufgabe stecken.“ Dann sei er Profitrainer. „Auch wenn dieser Begriff für mich noch ein wenig komisch klingt. Als wäre er nicht richtig greifbar“, wundert sich Schwarzwald.

Von seinen Grundsätzen will er auch als Cheftrainer bei einem Topclub nicht abweichen. „Einer Juniorin muss man anders begegnen als einer gestandenen Spielerin. Ich werde nicht alle gleich behandeln – aber ich werde allen den gleichen Respekt entgegenbringen.“ Auch das habe ihm Bullacher vorgelebt. „Stefan hat einem E-Jugendlichen immer die gleiche Achtung entgegengebracht wie einem Spieler der ersten Mannschaft.“

Bullacher selbst ist sicher, dass sich sein früherer Schützling in Leverkusen beweisen wird. „Martin ist ein cooler, ein bodenständiger Trainer. Einer mit viel Fachwissen. Aber vor allem hat er schon mit 16 Jahren gezeigt, wie gut er mit Menschen umgehen kann. Er ist ein Menschenfänger – im positivsten Sinn. Und ein bisschen ist er auch wie Jürgen Klopp ein Trainer, der noch viel besser vermitteln kann, als selbst zu spielen.“

„Seinen“ SV 64 Zweibrücken werde er natürlich auch in der Beletage des deutschen Handballs nicht vergessen, verspricht Schwarzwald. „Klar werde ich bei den Pfingstzeltlagern Hallo sagen“. Und auch beim „Camp 64“, der Handball-Ferienfreizeit des SV werde er wie immer als Nachwuchscoach dabei sein. „Wenn Martin dort die Kinder anleitet – dann sieht er glaube ich immer auch ein bisschen sich selbst als jungen Spieler“, sagt Stefan Bullacher.

 Über 13 Jahre ist es her: Martin Schwarzwald mit Florian Denk, Coach Stefan Bullacher, Jan Schmitt und Patrick Seitz (von links nach rechts) im Rahmen der Trainerausbildung beim SV 64 Zweibrücken.

Über 13 Jahre ist es her: Martin Schwarzwald mit Florian Denk, Coach Stefan Bullacher, Jan Schmitt und Patrick Seitz (von links nach rechts) im Rahmen der Trainerausbildung beim SV 64 Zweibrücken.

Foto: Norbert Schwarz
 Bis 2015 gab Martin Schwarzwald auch beim Oberliga-Damenteam des  SV 64 die Richtung vor.

Bis 2015 gab Martin Schwarzwald auch beim Oberliga-Damenteam des SV 64 die Richtung vor.

Foto: Marco Wille

Und vielleicht erinnert sich Martin Schwarzwald in solchen Momenten auch an jenen Tag vor etwa 20 Jahren zurück. Als er nur vor die Haustür trat, um spazieren zu gehen. Und seine wundersame Geschichte ihren Anfang nahm.

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