Mangelnde Leidensfähigkeit

Vor manch sportlicher Leistung kann man sich nicht tief genug verneigen. Dazu gehört für mich die Titelverteidigung Jan Frodenos beim Ironman auf Hawaii. Ohnehin ziehe ich vor jedem einzelnen Starter und Finisher den Hut. Nicht nur die Strecke von 225 Kilometern im Wasser, auf dem Rad und laufend, auch die Wellen, der Wind und die Hitze verlangen den Eisenmännern dort körperlich und mental alles ab. Wie auch der Zweibrücker Oliver Spurzem in den vergangenen beiden Jahren leidvoll, im Ziel glückselig, erfahren durfte. Dieses Mal hat er die Quali verpasst, musste blutenden Herzens Zuhause vorm Livestream das Rennen verfolgen. Und das wollte auch ich trotz der Zeitverschiebung. Zu groß war die Spannung vor dem vorhergesagten Duell zwischen den beiden Deutschen Sebastian Kienle und "Frodo".

Dass es dazu tatsächlich kommen würde, für die vor dem Bildschirm mitleidenden Fans grandios. Für mich beim Betrachten der Bilder unvorstellbar, wie nicht nur Frodeno es immer wieder schafft, seine Grenzen zu überschreiten, seinen Kopf zu besiegen. Man sieht auf der Radstrecke, wie der Olympiasieger von 2008 leidet, wie Kienle seinen Rückstand aus dem Schwimmen aufholt, sie gemeinsam in der Spitzengruppe fahren. Während die Triathleten in Kona Höllenqualen durchleben, wird mein Körper zu der nächtlichen Zeit müder, die Augen schwerer. Wenn die sich so schinden, dann schaffe ich es doch wohl, mich bis zum Ziel wach zu halten, denke ich beim Blick auf den Laptop. Kienle und Frodo Seite an Seite auf der Laufstrecke. Dann klingelt der Wecker. Erst beim Gang zur Kaffeemaschine fällt mir ein, dass ich nicht weiß, wie das Rennen ausgegangen ist. Mist. Doch obwohl ich nicht bis zum Ende live dabei war, überkommt mich die Gänsehaut beim Anschauen der Zusammenfassung, mindert das nicht den Respekt vor der Leistung.

Nach der schwierigen Zeit nach dem Olympiatitel 2008 hätten viele Frodo nicht zugetraut, sich so stark zurückzumelden. Einbruch bei der WM 2010, Burnout, kurz davor, alles hinzuschmeißen. Doch er kam wieder. Nach seiner ersten Langdistanz 2014 gleich Platz drei beim Hawaii-Debüt hinter Gewinner Sebastian Kienle. 2015 der Sieg bei dem legendären Rennen , in diesem Sommer in Roth die Pulverisierung des Langdistanz-Weltrekords. Und nun die Titelverteidigung auf Hawaii. Die Leistung Frodenos scheint unmenschlich. Unbegreiflich für Normalsterbliche wie mich, die es gerade mal auf eine Triathlon-Sprintdistanz gebracht haben, wie leidensfähig er ist, welche mentale Stärke er an den Tag legt. Bitter ist das nur für Kienle, der nach etwas mehr als acht Stunden gerade mal dreieinhalb Minuten hinter seinem Kumpel ins Ziel kommt, dessen Leistung, ebenso wie die vom drittplatzierten Hawaii-Debütanten Patrick Lange, genauso unfassbar ist. Doch ganz oben steht einmal mehr Jan Frodeno .

Und ich schlafe ein. Meine Leidensfähigkeit ist wohl einfach nicht groß genug. Egal, vielleicht im nächsten Jahr, wenn womöglich wieder Kienle die Nase vorn hat und Oliver Spurzem seine Zehn-Stunden-Marke auf Hawaii knackt.

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