Leichtathletik Vom Winterwurf zu den Sommerspielen

Zweibrücken · Speerwerferin Christin Hussong vom LAZ Zweibrücken steigt am Wochenende in Split in die Olympia-Saison ein. Zuvor erzählt die 27-Jährige von der guten Vorbereitung, den Zielen für Tokio und ihrem Horrorszenario.

  Christin Hussong will bei den Sommerspielen in Tokio um eine Medaille kämpfen. Zuerst steht für die Speerwurf-Europameisterin vom LAZ Zweibrücken an diesem Wochenende aber der Winterwurf-Europacup in Kroatien auf dem Programm. Für die 27-Jährige ist es der erste Wettkampf in der Olympia-Saison.

Christin Hussong will bei den Sommerspielen in Tokio um eine Medaille kämpfen. Zuerst steht für die Speerwurf-Europameisterin vom LAZ Zweibrücken an diesem Wochenende aber der Winterwurf-Europacup in Kroatien auf dem Programm. Für die 27-Jährige ist es der erste Wettkampf in der Olympia-Saison.

Foto: dpa/Tim Ireland

Das große Ziel rückt in immer greifbarere Nähe. Viele Monate der Vorbereitung, des Schuftens, Schwitzens – und des Bangens – liegen auch hinter Christin Hussong. Nun aber sind die Olympischen Sommerspiele in Tokio, auf die die Athleten mit der Verzögerung von einem Jahr hinarbeiten, immer deutlicher am Horizont zu erkennen. Keine 80 Tage sind es mehr bis zum Auftakt. Und mit dem Winterwurf-Europacup im kroatischen Split beginnt für die Speerwerferin des Leichtathletikzentrums (LAZ) Zweibrücken bereits an diesem Wochenende die Olympia-Saison. Am Sonntag ab 15.45 Uhr greift Hussong in Kroatien zum Speer.

Der Name der kommenden Veranstaltung ist aber kein Programm: Wegen Corona findet der „Winterwurf“ nicht wie sonst im März statt – sondern bei voraussichtlich frühlingshaften Temperaturen an der kroatischen Mittelmeerküste. Dass Hussong dort früher als geplant in den Wettkampf-Sommer einsteigen wird, sei „auf jeden Fall“ ein Sinnbild für die Planungsunsicherheit in den vergangenen 14 Corona-Monaten. Monate, die von den Athleten ein hohes Maß an Flexibilität verlangt haben. Und noch immer verlangen Denn eigentlich würde sich Hussong derzeit in Belek den Feinschliff für den Mitte Mai geplanten Wettkampf-Auftakt in Halle holen. Doch das Trainingslager in der Türkei wurde abgesagt. „Es war einfach zu unsicher“, verweist Hussong auf die Corona-Lage.

Der verschobene Winterwurf-Cup passte nun gut in die frei gewordene Lücke im Kalender und daher „nehmen wir den mit“, erklärt die Hussong, die mit dem Verlauf der Vorbereitung „sehr zufrieden“ ist. Und so sei die Vorfreude auf den ersten Wettkampf des Jahres auch „extrem groß“. Endlich will die Herschbergerin zeigen, was sie sich in den vergangenen Monaten im Training erarbeitet hat. Ihre Technik hat sie umgestellt, außerdem viel im Kraft- und Athletikbereich gearbeitet. Seit Anfang März liegt der Schwerpunkt nun darauf, so oft wie möglich den Speer fliegen zu lassen. Um die Änderungen im Bewegungsablauf zu automatisieren, die sie gemeinsam mit ihrem Vater und Trainer Udo noch im ersten Trainingslager Anfang März vorgenommen hat.

Wohl fühle sie sich mit der Technikumstellung, sagt die LAZ-Athletin. Ihre Oberkörperposition sei nun aufrechter. Welchen Effekt das auf ihre Würfe hat, sei schwer zu erklären. „Es geht alles viel schneller. Ich kann dadurch meine Größe ein bisschen besser ausspielen“, sagt die 1,86 Meter große Herschbergerin. Noch sitzt nicht jeder ihrer Würfe – „weil ich deutlich schneller bin und darum einfacher Fehler geschehen“, erklärt Hussong. Trotzdem sei sie schon sehr gespannt darauf, wie sie ihre neue Technik vom Training in den Wettkampf transportieren wird. „Da reagiert jeder Sportler anders, man fällt dort schon auch mal in seinen alten Trott zurück“, weiß die amtierende Europameisterin, die dem ersten Meeting am Wochenende entgegenfiebert: „Man braucht diese Wettkämpfe einfach, um Sicherheit zu gewinnen.“ Zumal niemand könne voraussagen, wie viele Meetings auf dem Weg nach Tokio tatsächlich stattfinden werden, „ob die Wettkämpfe, die jetzt geplant werden, nicht kurzfristig ausfallen“, spricht Hussong aus der Erfahrung des vergangenen Jahres.

Ein Jahr, in dem sie es in der verkürzten Saison immerhin noch auf acht Wettkämpfe gebracht hatte. Bei der Deutschen Meisterschaft, die nach der Olympia-Verschiebung und der Absage der Europameisterschaft plötzlich zum Saisonhöhepunkt wurde, gewann sie mit 63,93 Metern souverän ihren vierten Titel – und knackte anschließend beim Wettkampf in Luzern mit ihrer Saisonbestleistung von 64,10 Metern erneut die Olympianorm.

Mit der Sicherheit der absolvierten Qualifikationsweite im Rücken kann die Herschbergerin die kommenden Wettkämpfe grundsätzlich gelassen in Angriff nehmen. Doch gleich zum Auftakt bekommt es die beste deutsche Speerwerferin in Split mit hochkarätiger Konkurrenz zu tun. Unter anderem befinden sich Tatsiana Khaladovich aus Belarus (persönliche Bestleistung 67,47 Meter), Hanna Hatsko aus der Ukraine (67,29 m), die Türkin Eda Tugsuz (67,21 m) und die Polin Maria Andrejczyk (67,11 Meter) im Teilnehmerfeld. Eine heiße Anwärterin auf den Sieg ist auch die Tschechin Barbora Spotakova. Die zweimalige Olympiasiegerin, dreimalige Weltmeisterin und Weltrekordlerin gehört zu den einzigen vier Frauen, die den neuen Speer, der seit 1999 benutzt wird, bereits über die magische Marke von 70 Metern katapultiert haben.

Eine Traummarke, die Hussong in ihrer Karriere auch gerne übertreffen würde. „Doch an die 70 Meter denkt man eigentlich nicht wirklich. Wenn es irgendwann so kommt – ob in diesem Jahr oder in fünf Jahren – wäre das schön. Und wenn nicht, dann nicht“, sagt die deutsche Meisterin gelassen. Ihre persönliche Bestleistung datiert aus dem Jahr 2018. 67,90 Meter weit schleuderte sie den Speer – und krönte sich damit im Berliner Olympiastadion zur Europameisterin.

Ihre eigene Top-Marke würde Hussong „natürlich schon gerne angreifen“, sagt die LAZ-Athletin, die im März 27 Jahre alt geworden ist. „Ich denke, so weit muss man auch werfen, wenn man in Tokio vorne dabei sein will. Wenn ich schon mit einer 62er Weite eine Medaille gewinne, wäre es aber auch okay“, sagt Hussong und lacht. Unabhängig davon, dass das ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht würde – „glaube ich nicht daran, dass das reichen wird, dafür sind wir alle zu stark“, sagt die Herschbergerin. Dafür sei die Leistungsdichte im internationalen Frauen-Speerwurf zu hoch. „Bei den Männern ist mit Johannes Vetter einer dabei, der derzeit extrem weit wirft. Aber bei uns Frauen sind es viele, die um die 66 Meter erreichen können.“ Es gebe nicht „die Eine“, die heraussticht, von der sich sagen lässt: „Wenn die durchkommt, gewinnt die das Ding. Das ist bei uns schon sehr spannend.“

Dass diese Breite in der Weltspitze dazu führt, dass eine Konkurrentin, die man nicht unbedingt zum Favoritenkreis zählt, mit einem einzigen Wurf alles auf den Kopf stellen kann, hat Christin Hussong bei der Weltmeisterschaft in Doha 2019 leidvoll erfahren. Bis zum letzten Wurf lag sie auf Medaillenkurs, wurde dann aber noch auf Platz vier verdrängt. „Da kann ich noch so eine Super-Serie haben – wenn eine andere ein Fünkchen mehr Glück hat oder einen richtig starken Wurf, dann reicht das halt.“

Ein wenig Zeit bleibt Christin Hussong noch, bis sie sich am 6. August im Olympia-Stadion in Tokio dem Medaillenkampf stellen darf. Abgesehen vom Winterwurf-Europacup hat sich ihr Wettkampfplan auf dem Weg zu den Spielen nicht geändert. „Der Auftakt ist jetzt eben nur eine Woche früher“, erklärt die Herschbergerin. Mitte Mai folgen dann die Halleschen Werfertage (15./16. Mai). Anschließend will Hussong beim „Golden Spike“ im tschechischen Ostrava (19. Mai) antreten. „Ob das klappt, da muss ich abwarten, wie sich die Corona-Situation entwickelt“, sagt die 27-Jährige vorsichtig. Auch ist noch nicht klar, ob die Team-EM in Polen (29/30. Mai) stattfinden kann. Ansonsten will Christin Hussong im Olympia-Sommer so gut es die Pandemie-Lage zulässt, in Deutschland werfen. Um jedes Risiko einer Ansteckung zu minimieren.

Eine Erleichterung sei es für sie, dass die deutschen Olympia-Starter bis zum Abflug alle gegen Covid19 geimpft werden sollen. Das sei in einigen anderen Nationen bereits geschehen, betont die LAZ-Athletin. „Wenn es für uns die Möglichkeit gibt, vor Tokio geimpft zu werden, dann wäre das schon für alle ein beruhigendes Gefühl.“ Den Gedanken, dass „man irgendwie in Tokio im Krankenhaus landet“, möchte sie aus ihrem Kopf vertreiben,

Doch noch ist Christin Hussong nicht geimpft. Und die gegenwärtige Unsicherheit „wird uns auch noch bis zu den Spielen begleiten“, ist sie sich sicher. Jeder Sportler müsse extrem gut aufpassen. „Dass keiner irgendetwas reinschleppt, dass wir alle gut durchkommen“, betont die Europameisterin. Denn: „Einen Tag vor dem Olympia-Start gesagt zu bekommen: Nee, du bist positiv, du darfst nicht starten – das wäre das Horrorszenario für alle.“

Alles Schuften, alles Schwitzen wären umsonst gewesen. Und Christin Hussongs Traum von Olympischem Edelmetall vorerst ausgeträumt.

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