1. JC Zweibrücken Mit zwiespältigen Gefühlen zur EM

Zweibrücken/Köln · Erstmals seit zehn Monaten steht für Jasmin Grabowski und Martyna Trajdos wieder ein Wettkampf auf dem Programm. Die beiden Judoka des 1. JC Zweibrücken werden bei der Europameisterschaft in Prag auf die Matte gehen. Allerdings nicht ohne Sorgen.

 2015 sicherte Jasmin Grabowski (weiß) in Baku EM-Silber, 2016 sammelte sie mit EM-Bronze weitere wichtige Punkte für die Olympia-Quali. Das ist auch am Samstag in Prag das Ziel der JCZ-Judoka.

2015 sicherte Jasmin Grabowski (weiß) in Baku EM-Silber, 2016 sammelte sie mit EM-Bronze weitere wichtige Punkte für die Olympia-Quali. Das ist auch am Samstag in Prag das Ziel der JCZ-Judoka.

Foto: picture alliance / dpa/Vassil Donev

Richtig wohl ist Jasmin Grabowski nicht bei der Sache. Dabei, an diesem Mittwoch ins Auto zu steigen – Richtung Prag, Richtung Judo-Europameisterschaft aufzubrechen. Trotz aller Freude, erstmals seit Beginn der Corona-Krise endlich wieder einen Wettkampf bestreiten zu können.

Lange war nach der bereits zweifachen Verschiebung der EM in diesem Jahr nicht klar, ob diese nun in dieser Woche (19. bis 21. November) tatsächlich würde sattfinden können. Die steigenden Corona-Infektionszahlen zuletzt – auch in Tschechien – gaben Anlass zu Zweifeln. „Ich habe daher schon gemischte Gefühle. Ich bin mir auch nicht sicher, ob das wirklich alles so stattfindet, wie geplant – ich bin auf beides eingestellt“, erklärt Grabowski.

Sergej Solowejtschik, Präsident der Europäischen Judo-Union (EJU) verteidigte die Entscheidung für die EM mit Verweis auf die Olympia 2021: „Wir sind dazu verpflichtet, die Athleten auf das größte Ereignis in ihrem Leben vorzubereiten.“ Die EJU-Experten und ein Task-Force-Team seien zusammen mit dem tschechischen Verband in der Lage, die Sicherheit der Teilnehmer zu gewährleisten.

Ein mulmiges Gefühl bleibt dennoch. „Ich muss sagen, ich finde es schon ein bisschen verantwortungslos vom europäischen Verband, eine solche Maßnahme momentan noch durchzuführen“, erklärt die Judoka des 1. JC Zweibrücken. Beim Blick auf die Pandemie-Entwicklung – nicht nur in Deutschland oder Europa – „finde ich, ist der Spitzensport und alles, was dazu gehört, auch der Fußball, der da eine riesige Testkapazität einfach blockiert, nicht mehr der Nabel der Welt. Das Risiko, dem man die Sportler aussetzt, ist momentan unberechenbar und extrem hoch“, äußert sich Grabowski mit klaren Worten. Zudem sieht die Pfälzerin darin auch ein falsches Zeichen für die Gesellschaft. Es sei kein Wunder, wenn die Leute denken: „Wenn ich mich jetzt mit 20 Leuten treffe, ist das nicht so schlimm, die machen ja auch zusammen Sport. Wenn das aber 100, 200 oder 500 Menschen tun, dann entstehen eben solche Fallzahlen“, ist der 29-Jährigen ihre innere Zerissenheit deutlich anzumerken.

Denn trotz der heiklen Situation freue sich die EM-Zweite von 2015 „natürlich auch riesig darauf, endlich wieder kämpfen zu können“. Über zehn Monate ist es her, dass die beiden JCZ-Athletinnen Martyna Trajdos und Jasmin Grabowski zuletzt bei einem Wettkampf auf der Matte standen. Dann der plötzliche Lockdown, Wettkampfpause, die Absage der Olympischen Spiele und eine nur langsame Rückkehr in den normalen Trainingsalltag. Und zum Re-Start nun also gleich eine EM.

„Mein letzter Grand Slam war Düsseldorf im Februar. Da war ich aber krank, sodass der letzte richtige Wettkampf für mich eigentlich im Januar in Tel Aviv stattfand. Das fühlt sich schon ein bisschen so an, wie wenn man nach einer Verletzung zurückkommt“, beschreibt Grabowski ihre Gefühlslage. Dass der Auftakt nun gleich bei einem internationalen Großereignis erfolgt, mache ihr an sich hingegen nichts aus. Sie sei ja nicht mehr die jüngste im deutschen Team, eher mit die älteste. „Ich habe also schon eine gewisse Erfahrung. Routine wäre jetzt zu viel gesagt, aber es ist jetzt nicht die erste große Meisterschaft. Ich weiß, wie ich mich darauf vorzubereiten habe, ich weiß, wie es vom Gefühl her ist. Ja, es ist eine Europameisterschaft, aber es ist auch nur ein Wettkampf.“

An dem sie nicht ganz sorgenfrei teilnimmt. „Ich habe schon auch Angst, trotz der Kontrollmaßnahmen.“ Direkt vor Anreise müssen die Athleten zwei negative Corona-Tests nachweisen, vor Ort wird ein weiterer durchgeführt. Danach dürfen die Sportler das Hotel nicht mehr einfach verlassen. „Es kann aber ja trotzdem immer was passieren“, sorgt sie sich darum, sich „durch einen doofen Zufall beim Wettkampf zu infizieren und das Virus mit nach Hause zu bringen“.

Auf den Start zu verzichten, sei für Grabowski dennoch keine echte Option. Es geht einfach um mehr als nur die EM. „Genau, das ist mein großes, großes Problem. Es geht um Olympia-Punkte. Und die werden verteilt, ob wir da hin fahren oder nicht“, erklärt die Schwergewichtskämpferin, die trotz ihrer Berufung in den vorzeitigen Kader für Tokio noch nicht ganz sicher drin ist in der Quali. „Ich kann nicht einfach sagen, ich lasse jetzt alle Wettkämpfe ausfallen bis zu den Spielen. Diese Möglichkeit habe ich leider nicht.“ Derzeit liegt die JCZ-Judoka im Olympia-Ranking auf Platz 24. Grundsätzlich sind die besten 22 Kämpferinnen der Gewichtsklasse dabei. Allerdings die ersten 22 der bereinigten Liste – heißt, mit nur einer Starterin pro Nation. Daher hat die Deutsche derzeit ganz gute Karten. Sicher dabei ist sie aber keinesfalls. „Das ist das Riesen-Dilemma. Ich finde es auch fahrlässig vom Weltverband zu sagen: Okay, wir verteilen jetzt Punkte. Ich sehe die ganze Situation sehr kritisch momentan.“

Und so steigt Jasmin Grabowski am Mittwoch mit zwiespältigen Gefühlen nicht in den Flieger, sondern ins Auto, um nach Prag aufzubrechen. „Wir versuchen, das Risiko so gut es geht zu vermeiden. Mit dem Flugzeug anzureisen, würde das Risiko potenzieren.“ Daher die – nur zu zweit erlaubte – beschwerliche Fahrt mit dem PKW, die sicher nicht die beste Vorbereitung auf den Wettkampf gewährleistet. „Doch die Situation ist für alle gleich. Es ist ja nicht so, dass es nur für eine Nation so beschissen ist.“

Ob aber tatsächlich alle Teilnehmer mit den gleichen Voraussetzungen anreisen, könne Grabowski nur schwer einschätzen. Unterschiede kann sie dennoch ausmachen: „In vielen Ostblock-Ländern existiert Corona ja nicht, da trainieren viele ganz normal.“ Dann wiederum gebe es Länder, in denen sehr lange keine Trainingsmöglichkeiten vorhanden waren. „Die Briten sind wieder alle aus den Trainingszentren rausgeflogen, die werden gar nicht kämpfen. Bei den Franzosen ist zum Teil nicht klar, ob die ausreisen dürfen. Es sind extrem widrige Umstände“, betont Grabowski. In Deutschland hätten es die meisten Sportler noch ganz gut getroffen. „Aber auch jetzt gerade ist die Zahl der Athleten am Stützpunkt (Grabowski und Trajdos trainieren am Olympiastützpunkt in Köln, Anm. d. Red.) wieder eingeschränkt, es werden wieder deutlich kleinere Trainingsgruppen gemacht.“ Einschränkungen seien also kurz vor der EM auch hier spürbar. „Aber ich denke, wir hatten insgesamt relativ viel Glück. Grabowski und Trajdos konnten recht lange und kontinuierlich durchtrainieren. Auf der anderen Seite hätten viele Nationen schon wieder internationale Trainingslager absolviert, die das deutsche Nationalteam nicht angefahren hat. „Weil wir alle Angst hatten, dass da doch irgendwas passiert. Dadurch kann uns ein bisschen die internationale Konkurrenzfähigkeit fehlen.“ Aber grundsätzlich sei das schwer auszumachen.

Jasmin Grabowski selbst fühlt sich körperlich fit und gut vorbereitet. Die angeschlagene Schulter hält und auch sonst sei „ausnahmsweise“ mal alles gut. „Ich glaube, dass das tatsächlich an dem vielen zuhause sein, dem wenigen Wettkampfstress liegt. In der Coronazeit war ich so entspannt wie nie.“ Doch so langsam merkt sie, dass die Anspannung wiederkommt. „Ich spüre so eine Grundspannung, die ich auch nicht so einfach wieder ablegen kann.“ Diese sei aber auch nötig, um Kopf und Körper auf die Wettkampf-Belastung vorzubereiten. „Es ist nach so langer Zeit eine ganz ungewohnte Stresssituation.“

Doch spätestens am Samstag, wenn die 29-Jährige in der Gewichtsklasse über 78 Kilogramm auf die Matte geht, will sie den Schalter komplett auf Wettkampfmodus umlegen. „Wenn das jetzt auch unter ganz kuriosen und widrigen Umständen stattfindet, fahre ich schon nach Prag, um eine Medaille mitzunehmen“, gibt Grabowski selbstbewusst ihr Ziel aus. Bereits am Freitag kann sich die WM-Dritte Martyna Trajdos in der Klasse bis 63 Kilogramm gute Chancen ausrechnen. Trotz Corona hätten die Athletinnen schließlich monatelang auf den Moment hingearbeitet, wieder auf die Matte zu können. „Zudem wird es vermutlich meine letzte EM sein“, sagt Jasmin Grabowski. Denn im kommenden Jahr denke sie langsam Richtung Karriereende. Nach der Erfüllung des letzten großen sportlichen Wunsches: Nach Rio 2016 noch ein zweites Mal bei den Olympischen Spielen dabei sein zu können. Und das hoffentlich mit einem besseren Gefühl.

 JCZ-Judoka Martyna Trajdos kämpft am Freitag in Prag um eine EM-Medaille.

JCZ-Judoka Martyna Trajdos kämpft am Freitag in Prag um eine EM-Medaille.

Foto: picture alliance / dpa/Robert Ghement

Unterdessen hat das Exekutivkomitee der Internationalen Judo Föderation (IJF) beschlossen, die World Judo Tour 2020 aufgrund der aktuellen Corona-Entwicklungen auszusetzen. Nach der erfolgreichen Durchführung des Grand Slam in Ungarn Ende Oktober war die Hoffnung groß, weitere Wettkämpfe, zumindest aber den Grand Prix in Zagreb, ausrichten zu können. Aufgrund der Verschärfung der globalen Gesundheitskrise in den meisten Teilen der Welt und der zum Teil drastischen Maßnahmen zur Bekämpfung des Covid-19-Virus, hat die IJF beschlossen, dieses Jahr keine weiteren World Judo Tour-Veranstaltungen zu organisieren.

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