Judo Die gute Balance zwischen Spannung und Ruhe

Zweibrücken/Tokio · Judoka Jasmin Grabowski vom 1. JC Zweibrücken bestreitet am frühen Freitagmorgen (MESZ) bei den Olympischen Spielen in Tokio ihren Kampf gegen Shiyan Xu. Grabowskis Heimtrainer Stephan Hahn hat die starke Chinesin analysiert. Wirbel um „Ohrfeigen-Aufwärmprogramm“ von Martyna Trajdos.

  In der Kampfsportarena Nippon Budokan in Tokio trifft Jasmin Grabowski vom 1. JC Zweibrücken am Freitagmorgen auf die starke Chinesin Shiyan Xu.  Foto: Imago Images

In der Kampfsportarena Nippon Budokan in Tokio trifft Jasmin Grabowski vom 1. JC Zweibrücken am Freitagmorgen auf die starke Chinesin Shiyan Xu. Foto: Imago Images

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Nein, ob er den Kampf seines Schützlings am frühen Freitagmorgen live im TV verfolgen wird, hat Stephan Hahn noch nicht entschieden. „Eigentlich schaue ich aber immer zuerst auf das nackte Ergebnis – und sehe den Kampf dann in der Wiederholung. Ich kann ja eh nichts machen. Und vor dem Fernseher bin ich zu angespannt. Wenn ich in der Halle dabei wäre, wäre es etwas anderes.“ Die Halle, von der Hahn spricht, ist die legendäre Nippon Budokan Kampfsportarena im Stadtbezirk Chiyoda der japanischen Hauptstadt Tokio. Und sein Schützling ist Jasmin Grabowski. Die Judoka des 1. JC Zweibrücken steigt am Freitag bei ihren zweiten Olympischen Spielen gegen 4.30 Uhr (MESZ) auf die Matte, um es in der Schwergewichtsklasse über 78 Kilo mit der Chinesin Shiyan Xu aufzunehmen.

Grabowski sei „noch entspannt“, versichert ihr Heimtrainer Hahn, der am Dienstag mit ihr telefoniert hat. „Bei Jasmin beginnt jetzt zwar langsam das Kribbeln. Das heißt aber nicht, dass sie sich verrückt macht. Sie ist erfahren und weiß, wie sie vor ihrem Kampf eine gute Balance zwischen Spannung und Ruhe findet.“

Am Dienstag hat Hahn mit Grabowski noch einmal über ihre Auftaktgegnerin gesprochen. Und die hat es in sich: Die Chinesin Xu ist die Nummer 13 der Weltrangliste, fünf Jahre jünger als die Deutsche und hat 2021 starke Ergebnisse erzielt. Sie war Siegerin der Asienmeisterschaften, gewann den Grand Prix in Tiflis und wurde in Antalya Zweite. Chancenlos sei Grabowski aber keineswegs, versichert Hahn. Das verdeutlichten auch die zwei letzten Aufeinandertreffen der beiden Schwergewichts-Judoka im Jahr 2019. Einmal gewann die Chinesin, einmal ging Grabowski als Siegerin von der Matte. Beim Grand Prix im chinesischen Hohhot verdarb Grabowski, damals noch unter dem Nachnamen Külbs, ihrer kommenden Gegnerin das Heimspiel.

Und von eben jenem Kampf hat Trainer Hahn der Zweibrücker Judoka am Dienstag noch einmal Videomaterial übersandt. „Shiyan Xu ist eine starke Athletin. Aber sie bietet ein paar Punkte, an denen man ansetzen kann“, glaubt Hahn. „Clever, geschickt und ausbalanciert“, müsse Jasmin Grabowski auftreten. Ein Schlüssel zum Sieg sei die linke Hand der chinesischen Rechtsauslegerin, die in den Kämpfen zum Revers ihrer Gegnerinnen geht. „Wenn man sie da walten lässt, wenn sie sich frei entfalten kann, ist sie kaum zu stoppen. Jasmin muss gegen diese Hand arbeiten“, ist sich Hahn sicher. Das habe auch bei Grabowskis Sieg 2019 den Ausschlag gegeben. „Das hat sie damals ganz geschickt gemacht. Die Chinesin wurde unruhig – und hat sich dann auskontern lassen.“ Hahn ist aber zuversichtlich, dass die Bundestrainer vor Ort Jasmin Grabowski „nicht nur einen Plan A, sondern auch einen Plan B und C“ an die Hand geben werden. Im Zweifelsfall sei sein Schützling „aber auch flexibel genug, um auf Unvorhergesehenes reagieren zu können.“

Trotzdem sei Shiyan Xu in dem Duell am Freitagmorgen die leichte Favoritin, räumt Hahn ein: „Ein Traumlos ist es ganz sicher nicht.“ Das sei freilich auch gar nicht möglich gewesen. Denn während die Chinesin bei ihren erfolgreichen Wettkämpfen in Georgien und der Türkei wichtige Weltranglistenpunkte sammelte, war Grabowski zum Zuschauen verdammt. Wegen zahlreicher Corona-Fälle im Vorfeld des Turniers in Tiflis entsandte der Deutsche Judo-Bund zeitweise keine Athleten zu internationalen Wettkämpfen. Grabowski fiel deshalb in der Weltrangliste bis auf Rang 26. Nur weil sie zuvor ein solides Punktepolster angesammelt hatte, löste sie über einen kontinentalen Ranglistenplatz das Tokio-Ticket. Dass ihr als ungesetzter Kämpferin eine schwere Aufgabe zukommt, war unvermeidlich. 

Aber ein Platz in der Setzliste sei ja kein Freifahrtschein in die nächste Runde, sagt Hahn und seufzt. Denn die zweite Judoka des 1. JC Zweibrücken, Martyna Trajdos, erwischte als gesetzte Kämpferin zum Auftakt ein vermeintlich machbares Los – musste am Dienstag aber gleich die Segel streichen. Der „Worst Case“, sei Trajdos’ Niederlage gegen die 19 Jahre alte Junioren-Weltmeisterin Szofi Ozbas aus Ungarn gewesen. Vor allem aber sei sie vermeidbar gewesen. „Martyna war dominant, sie war technisch besser – aber sie hat es nicht in eine Wertung umgesetzt bekommen“, hadert Hahn.

Zwei Strafen hatte Ozbas bereits kassiert, als es nach der regulären Kampfzeit in den „Golden Score“ ging. Das bedeutet, dass die erste Wertung oder Strafe – egal in welcher Höhe – den Kampf sofort beendet.

Und in der Verlängerung wurde es dann richtig bitter für die 32 Jahre alte Judoka des 1. JCZ. Nach einem Angriff, der eigentlich von Trajdos ausging, kippte die Deutsche zunächst auf ihr Knie – und dann auf den Rücken weg. Nach einem Videostudium der Kampfrichter wurde die Aktion mit einem Waza-ari, einem halben Punkt, für die Ungarin gewertet. Im Golden Score reichte das für den Sieg. „Ich glaube nicht, dass jedes Kampfgericht so entschieden hätte. Wertet man das Kippen auf das Knie und das Fallen auf den Rücken als zwei getrennte Aktionen, muss es eigentlich in der Bodenlage weitergehen. Nur wenn man darin eine zusammenhängende Aktion sieht, kann man so entscheiden“, erläutert Hahn. Der aber auch sagt: „Martyna hat so viel Qualität, dass sie den Kampf schon vorher für sich entscheiden muss. Das weiß sie auch. Das wird sie wurmen.“

In die Schlagzeilen geriet Trajdos aber nicht wegen ihrer überraschenden Niederlage. Sondern wegen ihres „Ohrfeigen-Aufwärmprogramms“. Judo-Bundestrainer Claudiu Pusa hatte die 32-Jährige vor ihrem Kampf gegen Ozbas am Kragen gepackt, sie geschüttelt und ihr zwei Ohrfeigen verpasst. Trajdos hatte daraufhin offenbar zufrieden genickt und die Matte betreten. Die Internationale Judoföderation sprach im Anschluss eine „ernste Verwarnung“ aus. Die JCZ-Kämpferin verteidigte ihren Trainer aber: „Das ist etwas, worum ich ihn bitte. Macht ihm keine Vorwürfe. Ich brauche das vor meinen Kämpfen“, schrieb sie bei Instagram. Und stellte mit Blick auf ihre Niederlage sarkastisch fest: „Wahrscheinlich war es nicht hart genug.“

Stephan Hahn möchte Trajdos’ Ausscheiden derweil nicht als Scheitern verstanden wissen. „Hut ab, vor allen Athleten, die sich für die Olympischen Spiele qualifiziert haben. Das ist für mich der eigentliche Erfolg. Natürlich ist eine Medaille schön, aber die ist in vielen Sportarten nicht planbar. Gerade im Judo nicht, wo es auf so viele Kleinigkeiten ankommt. Wer gewinnt, entscheidet sich in Sekunden, in Augenblicken.“

 Trainer Stephan Hahn (r) unterstützte Jasmin Grabowski vor ihrem Auftritt bei Olympia mit dem Videostudium ihrer Auftaktgegnerin.

Trainer Stephan Hahn (r) unterstützte Jasmin Grabowski vor ihrem Auftritt bei Olympia mit dem Videostudium ihrer Auftaktgegnerin.

Foto: Stephan Hahn

Und vielleicht wird Stephan Hahn am frühen Freitagmorgen ja doch seinen Fernseher anschalten. Um nicht genau jenen Augenblick zu verpassen, wenn Jasmin Grabowski in der legendären Kampfsportarena Nippon Budokan selbst eine bärenstarke Gegnerin wie Shiyan Xu auf den Ringboden schickt.

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