Nachwuchsarbeit der SG SV 64/VT Zweibrücken Mit neuem Jugendkonzept zurück in die deutsche Spitze

Zweibrücken · 18 Nachwuchsteams stellt die seit einem Jahr gemeinsam auflaufende SG SV 64/VT Zweibrücken in der neuen Saison. Fünf davon in der Handball-Regionalliga. Und es soll möglichst noch weiter nach oben gehen. Doch die Löwen um Jugendkoordinator Stefan Bullacher haben bei der Ausbildung der Spieler nicht nur den Erfolg im Blick, auch die Persönlichkeitsentwicklung ist ein zentraler Punkt.

 Die C-Junioren der SG Zweibrücken um Coach Stefan Bullacher (rechts) haben den Aufstieg in die Regionalliga geschafft, und hoffen, in dieser – wie auch die C-Jugend-Mädels – oben mitmischen zu können.

Die C-Junioren der SG Zweibrücken um Coach Stefan Bullacher (rechts) haben den Aufstieg in die Regionalliga geschafft, und hoffen, in dieser – wie auch die C-Jugend-Mädels – oben mitmischen zu können.

Foto: SG Zweibrücken

Eine Verbindung zwischen dem österreichischen Skisprung-Olympiasieger Toni Innauer und dem Zweibrücker Handball herzustellen, scheint vollkommen irrsinnig. Und doch spielt ein Satz, den der langjährige Skisprung-Trainer in seinem Buch „Der kritische Punkt“ niedergeschrieben hat, in der Ausbildung der Nachwuchsspieler bei der SG SV 64/VTZ eine zentrale Rolle: Den Sport „als Entwicklung des Körpers“ zu sehen, „aber Ziel ist der ganze Mensch“. SG-Jugendkoordinator Stefan Bullacher, der das Buch zu Beginn seiner Trainerzeit Mitte der 1990er Jahre geschenkt bekam, habe stets versucht, sich das „als Direktive zu bewahren“. Und will diese auch in die seit dem vergangenen Jahr neu strukturierte Nachwuchsarbeit bei der SG einfließen lassen.

Deren Ambition es ist, dem Handballsport in der Region wieder eine größere Rolle zukommen zu lassen und die Zweibrücker Jugendmannschaften zurück „in die deutsche Spitze“ zu bringen. „Das ist das Ziel“, erklärt Bullacher, der dazu ein eigenes Leistungssportkonzept für die Spielgemeinschaft entwickelt hat.

Nach insgesamt 26 Spielzeiten als Trainer der ersten Herrenmannschaft des SV 64 arbeitet der 55-Jährige seit dem Vorjahr nun als Jugendkoordinator bei der SG. Dabei ist der Nachwuchsbereich für Bullacher kein Neuland. Auch in seiner Zeit als Aktivencoach war er Jugendkoordinator, allerdings nicht hauptamtlich. „Das konnte ich problemlos nebenher machen. Aber das geht jetzt nicht mehr“, erklärt er. Der Jugendhandball habe sich gewandelt, die Struktur im Deutschen Handball Bund (DHB) nähere sich mehr und mehr dem Fußball an, in dem es für kleinere Vereine immer schwerer wird, sich zu behaupten. Die Gegner seien ganz andere. „Du fährst mit der C-Jugend jetzt schon bis Koblenz und du hast lauter Leistungszentren von Bundesligavereinen, die ganz andere Möglichkeiten haben. Aber das sind nun mal unsere Gegner.“ Auch wenn es schwieriger geworden ist, wollen die Zweibrücker im Konzert der Großen mitspielen. Ganz nach einem Leitsatz des französischen Schriftstellers Antoine de Saint-Exupéry: ‚Die Zukunft kann man nicht voraussagen, aber möglich machen‘. „Wenn wir es nicht anpacken, wird es nicht passieren. Aber wenn wir es tun, haben wir eine gute Chance, dass es passiert.“

Und so stand ganz am Anfang die Frage: „Wo wollen wir hin und was müssen wir – mit den engagierten Leuten, die wir hier haben – dafür tun“, erklärt Bullacher und ergänzt: „Das ist nun klar definiert.“ Neben dem Voranbringen des Handballsports in der Region und dem Erfolg der einzelnen Mannschaften liege in dem Leistungssportkonzept der SG der Fokus auch auf der individuellen Entwicklung. Das große Problem, „ähnlich wie im Fußball“, sei, dass den jungen Spielern gleich gesagt wird: „Wenn du Karriere machen willst, musst du in ein Handball-Leistungszentrum, in ein Internat“, erklärt Bullacher, der davon absolut kein Fan ist. Nicht nur, weil die Zweibrücker selbst bereits das Gegenteil bewiesen haben. Mit Jungs wie Jerome Müller, Björn Zintel, Marc-Robin Eisel, Robin Egelhof, Kian Schwarzer oder Gil Kunkel haben sie einige spätere Erst- und Zweitligaspieler ausgebildet. „Und damit mehr als in diesem Zeitraum alle rheinland-pfälzischen Vereine zusammen.“ Dazu haben bei den Frauen mit Bundesliga- und Nationalspielern Amelie Berger sowie Elisa Burkholder zwei Zweibrückerinnen den Sprung nach ganz oben geschafft. Ein gutes Beispiel sei zudem das DHB-Herrenteam von Paris, das die olympische Silbermedaille gewonnen hat. Nur die wenigsten von diesen Spielern kommen aus einem Nachwuchsleistungszentrum.

Die weibliche B-Jugend der SG startet – wie auch die C-Juniorinnen – bereits an diesem Wochenende in Wittlich in die Regionalliga-Saison.

Die weibliche B-Jugend der SG startet – wie auch die C-Juniorinnen – bereits an diesem Wochenende in Wittlich in die Regionalliga-Saison.

Foto: Verein/SG Zweibrücken

„Es ist eine Farce, was den Jungs erzählt wird“, betont Bullacher. „Die Vereine werben in ihren Internaten mit einer individuellen Ausbildung, aber es geht nur um den Mannschaftserfolg“. Denn nur, wenn der Nachwuchs in der obersten Spielklasse vertreten ist, bekommen die Bundesligaclubs das Jugend-Zertifikat und müssen keine Strafe an die HBL zahlen. Dementsprechend groß würden die Kader geplant, um auch bei Ausfällen stets Positionen adäquat ersetzen zu können. „Aber in diesem System gehen so viele Talente unter“, sagt Bullacher: „Klar kommen die Besten da auch hoch.“ Wie etwa Renars Uscins von Magdeburg. „Aber der wäre auch gut geworden, wenn er bei uns gespielt hätte“, ist sich der SG-Jugendkoordinator sicher.

„Wenn ich dem Nachwuchs erzähle, dass sie nicht ins Internat müssen, reden wir hier nicht von Träumereien, sondern von Realitäten, die wir schon geschafft haben.“ So können die Zweibrücker neben dem Hervorbringen der Spitzenspieler auch auf fünf Jahre in der A-Jugend-Bundesliga verweisen. „Es geht darum, das zu wiederholen – natürlich unter schwierigeren Bedingungen.“

2004 war die A-Jugend-Bundesliga eingeführt worden. Neu ist nun neben der zweiten Liga auch die B-Jugend-Bundesliga. In die erste Liga können bei den A-Junioren aber nur noch die Teams der Nachwuchsleistungszentren aufsteigen, in die zweite auch die anderen Clubs. „Und wir wollen ab der B-Jugend immer wieder probieren, da reinzukommen“, erklärt Bullacher den angestrebten Weg für die Toptalente.

Die B-Jugend um Julian Weber steigt am 22. September beim HLZ Friesenheim/Hochdorf II in die Regionalliga-Runde ein.

Die B-Jugend um Julian Weber steigt am 22. September beim HLZ Friesenheim/Hochdorf II in die Regionalliga-Runde ein.

Foto: Martin Wittenmeier

„Die meisten Spieler, die durch unsere Jugendarbeit gehen, sind aber ja keine Toptalente“. Doch alle sollen auf ihren unterschiedlichen Entwicklungsstufen eine bestmögliche Förderung erhalten. „Am Ende der A-Jugend muss der Spieler zurückblicken und sagen: Das war eine Superzeit – egal, wo er individuell am Schluss gelandet ist.“ Jeder einzelne solle am Ende der Nachwuchszeit – gemessen an seinem Talent – die Möglichkeit haben, seine Ziele zu erreichen. „Wenn einer das Talent hat, Bundesligaspieler zu werden, dann soll es für ihn in Zweibrücken möglich sein, die entsprechende Ausbildung zu bekommen.“ Keiner solle hinterher sagen: „Wäre ich doch nur zu den Rhein-Neckar Löwen oder nach Gummersbach gegangen.“

Um all diese Ziele zu erreichen, haben die Zweibrücker einige Umstrukturierungen vorgenommen. Nach dem ersten Schritt, einen hauptberuflichen Trainer „mit entsprechender Lizenz“ zu installieren, ging es darum, die Inhalte der Nachwuchsausbildung anzupassen. Die nun „auf drei Rädern basiert, die ineinandergreifen“, erklärt Bullacher: Training, Wettbewerb und Persönlichkeitsentwicklung.

Verändert wurden Inhalt und Umfang der Einheiten. „Wir haben die Umfänge von der E-Jugend an riesig erhöht.“ Auch was die Anzahl der Spiele betrifft. Die B- und C-Jugend-Regionalligateams trainieren jeweils sieben Stunden pro Woche in der Halle – ohne Wettkampf und ohne das eigenverantwortliche Ausdauertraining mit einer Lauf-App.

Bullacher selbst ist Coach der männlichen C- und B-Jugend, mit den Toptalenten der E- und D-Junioren absolviert er je einmal wöchentlich ein Zusatztraining zu den zwei normalen Einheiten, die A-Jugend-Talente trainieren zwei Mal pro Woche bei dem A-Lizenzinhaber mit, zwei Mal bei der zweiten Aktivenmannschaft. Im Leistungsbereich stehen Bullacher von den D- bis zu den A-Junioren sieben weitere Coachs zur Seite. Sie alle haben eine B-/C-Lizenz oder machen die Prüfung gerade. Bei den jüngeren Jahrgängen kämen zahlreiche weitere Trainer dazu.

„Wir versuchen, die Eltern auf unserem Weg so viel zu schonen, wie es geht.“ Die sieben Trainingsstunden sind demnach auf „nur“ drei Tage verteilt. In Zweibrücken stehen je zwei Mal 90 Minuten Handball plus 60 Athletiktraining sowie einmal 120 Minuten Handball auf dem Plan. „All unsere B- und C-Jugendspieler sind zudem in der Auswahl, die haben somit zusätzlich auch noch eine Einheit in Saarbrücken.“ Insgesamt sei das ein Bereich, „in dem ein Internat auch nicht mehr macht“.

 Auch in den jüngeren Jahrgängen, hier D-Juniorin Anna Klein, haben die SG-Handballer den Trainingsumfang erhöht.

Auch in den jüngeren Jahrgängen, hier D-Juniorin Anna Klein, haben die SG-Handballer den Trainingsumfang erhöht.

Foto: Martin Wittenmeier

Das Athletiktraining, das die vom DHB empfohlenen Langhanteleinheiten, funktionelles Krafttraining nach Dr. Müller-Wohlfahrt sowie die Ausdauerläufe umfasst, hat die SG im vergangenen Jahr eingeführt. Dazu kommen Videoanalysen und Leistungstests. „Da ziehen wir individuell und für die Mannschaften Rückschlüsse, woraus wir Trainingsinhalte generieren.“ Was den Wettkampf betrifft, wollen die Zweibrücker pro Mannschaft in einer Saison auf 30 Partien kommen. „Für gewöhnlich haben die Teams 18 Ligabegegnungen, den Rest fangen wir mit Freundschaftsspielen und Turnieren auf.“ Auch mal weiter entfernt. Im vergangenen Monat erst war Bullacher etwa mit der C-Jugend vier Tage in Stuttgart. Neben dem Handball standen gemeinsame Unternehmungen wie eine Höhlenbegehung auf dem Plan. „Das war eine sehr coole Tour“, sagt er lachend. Zumal solche Fahrten auch den Zusammenhalt stärken.

Was in den dritten Punkt der SG-Nachwuchsarbeit, die Persönlichkeitsentwicklung, hineinreicht. Schlagwörter wie Respekt und Teamfähigkeit, Zusammenhalt, Selbstständigkeit, Selbstreflektion und Umgang mit der eigenen Leistung spielen hier rein. Und da kommt auch Toni Innauers Buch wieder ins Spiel. „Ich war beim Lesen fasziniert davon, wie er mit dem Scheitern und als Trainer mit seinen Sportlern umgegangen ist.“ Scheitern als Konzept der Entwicklung, Kritik als Chance zu sehen. Und keine Schuldzuweisungen zu äußern. „Auch nicht von Eltern – die nehmen wir da mit ins Boot“, sagt Bullacher mit dem Wissen, dass das nicht immer gleich bei allen auf Begeisterung stößt. Es sei aber einfach wichtig, Durchhaltevermögen zu beweisen. Auch bei Rückschlägen. Bullacher gibt den Sportlern dabei Zitate wie das von Automobilpionier Henry Ford mit auf den Weg: ‚Wer immer nur das tut, was er schon kann, bleibt immer das, was er schon ist‘. „Wenn sich die Spieler auf die Fahne schreiben, dass man seine Grenzen überschreiten muss, wenn man mehr erreichen will, dann sind sie auf dem richtigen Weg.“

Zum Respekt gegenüber dem Team gehören für Bullacher auch Dinge wie pünktlich zum Training zu erscheinen – und keine Minute später; wichtige private Termine, auch Urlaube, frühzeitig zu planen; zu wissen, wie ich zum Training komme, falls die Eltern mal krank werden. „Wenn man als Mannschaft erfolgreich sein will, funktioniert das nur, wenn alle im Team Verantwortung tragen.“ Auch Halle und Bälle von Harz zu säubern, sei ein Teil der Charakterbildung. „Wir haben einen Reinigungsdienst eingeführt – den organisieren die Jungs selbst.“

Ein weiteres „schönes Beispiel“ dafür, dass es hier um mehr als „nur Handball geht, bei allem Leistungssport, bei allem Erfolg, den man natürlich erzielen will“, zeigt der Trainer auf: Immer wieder sind nach den Einheiten Trinkflaschen in der Halle liegen geblieben. Nun gibt es einen Flaschensammler, der dafür verantwortlich ist, die zurückgebliebenen Getränkebehälter am Ende des Trainings zu verstauen. „Es gibt ein Projekt, die Indien-Hilfe, die Geld für Kinder von Prostituierten sammelt, damit die in ihrer Heimat eine Schulbildung erhalten. Wenn du 200 Euro spendest, hast du einen Schulplatz im Jahr finanziert“, erklärt Bullacher, dass das Pfand nun der guten Sache zugutekommt.

„Es ist natürlich so, dass die Spieler hier viel in den Sport investieren. Aber das tut der Verein auch. Da gehört es dazu, auf dem eigenen Weg zum Ziel auch mal Widerstände zu überwinden.“ Bislang würden die Jugendspieler gut mitziehen. „Die Aussteigerquote geht gegen null“, erklärt Bullacher und ergänzt: „Es passiert eher das Gegenteil. Nach anfänglichen Bedenken stehen viele voll hinten dran. Und je mehr du gibst, umso mehr willst du es auch.“

Für den langjährigen Männertrainer in Zweibrücken und Hochdorf selbst war der Schritt weg vom Aktiven- hin zum Jugendhandball ebenfalls mit Veränderungen verbunden. „Es ist etwas ganz anderes. Männerhandball und Jugendhandball haben nicht viel gemeinsam.“ Dabei ist Bullachers Zeitaufwand in der Halle im Vergleich zu früher „gigantisch mehr“. Dafür habe er zu Hause weniger Videoanalyse – „und es ist auch schön, in den Ferien mal in Urlaub zu fahren. Das konnte ich 20 Jahre lang nicht machen“.

Maßgeblich sei für ihn aber nach wie vor die Leistungsorientierung. „Ich bin Trainer im Leistungssport. Egal, ob ich Männer oder Jugend mache.“ Seine Ambitionen als Coach im Aktivenbereich endgültig abgeschlossen habe er dabei nicht unbedingt: „Das käme absolut auf das Angebot an. Wäre das nochmal im Leistungssport, würde ich mir darüber Gedanken machen.“ Denn gerade die Drittliga-Zeit „war einfach auch schön“. In elf Jahren ist er mit dem SV 64 drei Mal in die 3. Liga aufgestiegen. Sieben Jahre hat die Mannschaft dort gespielt. Und dem 55-Jährigen kommen gleich die Jubelbilder vor stets vollem Haus sowie die Aufstiegsfeiern in den Kopf. „Es ist eine emotional höhere Aufgabe im Männerbereich – allein durch den Zuschauerdruck – das fordert dich ganz anders. Aber natürlich ist es bei Erfolg einfach auch sehr geil“, sagt Bullacher mit einem Lachen.

„Aber jetzt mache ich die Jugend mit viel Freude – und das erfüllt mich wirklich auch“, sagt er und fügt an: „Alle, die hier rausgehen sollen für ihr Leben etwas mitgenommen haben.“ Völlig egal, ob die Profi werden, Handwerker oder Arzt – alle müssten am Schluss zurückblicken und sagen können: „Ich habe bei der SG Zweibrücken Handball gespielt und ich habe mich gegen Widerstände durchgesetzt, ich war fleißig, ich habe Niederlagen erlebt und bin wieder aufgestanden.“ Alles Dinge, die prägend für ein Leben sein können. „Ich will den Spielern gerne mitgeben, dass sie durch den Sport lernen, wie es sich lohnt, durchzuhalten.“ Ganz im Sinne von Skisprunglegende Toni Innauer.