Christin Hussong nimmt jede Rolle an

Zweibrücken · Ohne Druck, aber nicht ohne ein klares Ziel vor Augen steigt Christin Hussong morgen in Peking in die Speerwurf-Qualifikation ein. Das Finale am Sonntag sollte es für die 21-Jährige LAZ-Athletin schon werden.

 Bei ihrer ersten Aktiven-Weltmeisterschaft geht LAZ-Speerwerferin Christin Hussong als Außenseiterin an den Start. Mit dieser Rolle kann die 21-Jährige aber sehr gut leben. Foto: Birkenstock/pmd

Bei ihrer ersten Aktiven-Weltmeisterschaft geht LAZ-Speerwerferin Christin Hussong als Außenseiterin an den Start. Mit dieser Rolle kann die 21-Jährige aber sehr gut leben. Foto: Birkenstock/pmd

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Als völlig Unbekannte tritt Christin Hussong nicht an. Spätestens seit ihrem herausragenden Wurf über 65,60 Meter und damit Gold bei der U23-EM in Tallinn (Estland) ist sie nicht nur der Konkurrenz ein Begriff. Dennoch wird die Speerwerferin des LAZ Zweibrücken , geht es morgen Abend in die Qualifikation ihrer ersten Aktiven-Weltmeisterschaft, wieder die Kleine bei den Großen sein. Eine Rolle, mit der die 21-Jährige sehr gut leben kann.

"Ganz vorne zu stehen wie in Tallinn ist schon auch schön", sagt Hussong mit einem Schmunzeln. Dieses Mal liege der Druck auf den anderen. Auch bei den drei weiteren deutschen Starterinnen - der Weltmeisterin Christina Obergföll, der deutschen Meisterin Katharina Molitor und Linda Stahl . "Ich bin die Jüngste von uns. Es kann von Vorteil sein, aus dem Hinterhalt zu kommen und für eine Überraschung zu sorgen", erklärt die Herschbergerin. "Aber ich mag beide Rollen", schiebt sie nach, und ihre Augen glänzen bei der Erinnerung an den großen Moment bei der U23-EM, wo die Athletin ihrer Favoritenrolle bei den letzten internationalen Juniorenmeisterschaften eindrucksvoll gerecht wurde.

Bei den Aktiven wächst Christin Hussong gerade herein. Übergangslos, wie es scheint. Immerhin tritt die Nachwuchs-Speerwerferin als Zweite der deutschen Jahres-Bestenliste an. "Die EM in Zürich im vergangenen Jahr war sehr hilfreich, um bei den Aktiven reinzukommen", erklärt die 21-Jährige. Auch im Hinblick auf das nächste Jahr sei der WM-Start nun ein weiterer wichtiger Schritt. "Vor allem nervlich. Wenn es um die Olympia-Tickets für Rio geht, muss eine von uns Vieren raus", betont Hussong. Weil dann eben nur drei deutsche Athleten der Disziplin nominiert werden können. "Da musst du stark sein - von der Leistung her und nervlich." Der Start im Vogelnest von Peking, wie das Nationalstadion genannt wird, vor bis zu 80 000 Zuschauern sei daher eine wichtige Erfahrung.

Drumherum ausblenden

"Sicher bin ich erst mal baff, wenn ich in das Stadion reinkomme", schätzt Hussong, die vor solch einer Kulisse noch nie geworfen hat. Sobald sie aber beim Wettkampf unten stehe, "bin ich fokussiert auf das, was ich kann. Und Speerwerfen, denke ich, kann ich", sagt sie selbstbewusst. "Wenn ich eine Rede halten müsste, wäre das was anderes. Aber so kann man das Drumherum glaube ich ausblenden." Der Wettkampf sei schließlich das, wofür ein Sportler das ganze Jahr, das ganze Leben arbeitet.

Daher hat Christin Hussong, auch wenn sie sich keinen Druck macht, auch für Peking ihren Plan genau im Kopf. "Ich wäre keine Sportlerin, wenn ich ohne Ziel hinfahren würde", erklärt sie. Sie müsse nicht sagen: Ich muss unter die ersten fünf kommen. "Da habe ich noch ein paar Jahre Zeit." Aber die Quali überstehen und auch im WM-Finale noch einmal antreten, das will Christin Hussong schon. Allerdings weiß sie, dass das Feld in diesem Jahr sehr eng beisammen ist. "Die ersten 15 haben alle über 62, 63 Meter geworfen." Dazu zählen auch alle vier Deutschen. Wenn alle normal drauf sind, könnten sie die direkte Normweite, die erst kurz vor dem Wettkampf feststeht, schaffen, sieht die Zweibrücker Athletin gute Chancen gleich mit allen Vieren am Sonntag im Finale vertreten zu sein. "Aber es kann immer sehr viel passieren in der Quali, die hat ihre eigenen Gesetze."

Wer die Favoritin auf den WM-Titel ist, kann Christin Hussong schwer einschätzen. "Es ist ganz schön eng. Es sind fünf Werferinnen dabei, die dieses Jahr über 65 Meter geworfen haben. Es kann sein, dass Gold mit 65 oder auch 68 Metern weggeht", sagt sie. Mit Weltrekordhalterin Barbora Spotakova (72,28 m) aus Tschechien müsse immer gerechnet werden. "Die darf man nie abschreiben, bis auf den letzten Versuch nicht." Auch Katharina Molitor, Linda Stahl und Titelverteidigerin Christina Obergföll seien gut dabei, auch wenn die beiden Letzteren 2015 noch nicht zu den 65-Meter-Werferinnen gehören. "Es wird spannend", sagt die Pfälzerin und fügt mit einem Lachen an: "Auch mich darf ich nicht abschreiben." Von Platz vier bis acht sei alles möglich. "Vielleicht ist das Glück des einen Zentimeters ja mal auf meiner Seite", sagt die 21-Jährige mit der Erinnerung an die U20-EM 2013, als sie Gold um einen winzigen Zentimeter verpasste.

So locker Hussong die letzten Tage vor ihrem Start nach Peking auftritt, so groß wird die Anspannung, je näher der Wettkampf rückt. Ganz klar fällt aber die Antwort auf die Frage aus, wer denn währenddessen nervöser ist, Tochter oder Vater und Trainer Udo Hussong, der gemeinsam mit seiner Frau Gabi den Speerwurf-Wettbewerb von der Tribüne aus verfolgen wird. "Papa", sagt die Speerwerferin mit einem schmunzelnden Fingerzeig auf ebendiesen. Gibt aber zu, dass ihre Nervosität vor dem Gang ins Stadion ebenfalls ins Unermessliche wächst. "Im Hotel, auf dem Weg zum Stadion - da darf mich an dem Tag niemand ansprechen", erklärt die Herschbergerin. Sobald es losgeht, sei dann alles okay. Für ihren Vater sei das anders, "er kann dann nicht mehr eingreifen". "Ich bin während des Wettkampfs aber auch eine Stunde nur auf Christin fokussiert", erklärt Udo Hussong. Auf die Würfe, die Abläufe. "Da braucht mich keiner zu fragen, wer Zweiter oder Dritter ist oder was hinten abgeht." Nur die Würfe seiner Tochter hat der Trainer dann im Blick. Würfe, die in diesem Jahr bereits viel Grund zur Freude auf der Tribüne gaben.

"Wir haben das ganze Jahr gewusst, wir sind auf dem richtigen Weg", erklärt Christin Hussong, dass das erfolgreiche Duo seit Beginn der Saison mit zwei Höhepunkten - der U23-EM und der WM in Peking - geplant hat. "Wir haben gewusst, woran wir arbeiten müssen, damit es mit der WM-Norm klappt." Das Selbstbewusstsein rührt auch von der wachsenden Konstanz bei der 21-Jährigen. In nahezu jedem Wettkampf hat Christin Hussong die 60-Meter-Marke übertroffen, mit dem 65er in Tallinn einen fast perfekten Wurf hingelegt. "Da hat vieles zusammengepasst, noch nicht alles, aber eben vieles", betont die LAZ-Athletin, dass der wirklich perfekte Wurf nur Wenigen gelingt. Und man wisse nie, zu welchem Zeitpunkt. "Aber genau das ist ja der Reiz", erklärt Christin Hussong, die hofft, dass sie vielleicht in Peking genau diesen Moment nochmal erwischt. Damit würde ihr Bekanntheitsgrad sicher weiter steigen.

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