Leichtathletik Ein Meeting wie kein anderes im Zirkus

Zweibrücken · Christin Hussong bekam stürmischen Gegenwind – und konnte trotzdem strahlen. Raphael Holzdeppe war mit der Höhe noch nicht happy – aber froh, dass beim Heimspiel die Familie mit dabei war. Und die Zuschauer bei „Sky’s the Limit“ sahen am Samstag wieder eine Leichtathletik-Veranstaltung, die es so in Deutschland kein zweites Mal gibt.

In der Spitze verfolgten rund 400 Zuschauer im Westpfalzstadion, wie die Athleten sich in die Lüfte schwangen und die Speere fliegen ließen.

In der Spitze verfolgten rund 400 Zuschauer im Westpfalzstadion, wie die Athleten sich in die Lüfte schwangen und die Speere fliegen ließen.

Foto: Martin Wittenmeier

Ein nahbarer Star zu sein, behaupten wohl viele. Christin Hussong ist wirklich einer. Durstige Zuschauer kamen am Samstagabend im Zweibrücker Westpfalzstadion gar nicht darum herum, die Speerwurf-Europameisterin von 2018 anzusprechen. Denn nachdem die Herschbergerin beim Stabhochsprung- und Speerwurf-Meeting „Sky’s the Limit“ des LAZ Zweibrücken ihren Wettkampf gewonnen hatte, übernahm sie noch die letzte Schicht im Getränkeverkauf.

Zuvor hatte sie den Speer auf 56, 62 Meter geschleudert. Das ist noch nicht die Weite, die man von der 29-Jährigen (Bestleistung: 69,19 Meter) gewohnt ist, allerdings waren die Bedingungen anspruchsvoll. Bei strahlendem Sonnenschein – aber böigem Gegenwind wurden die Würfe der Teilnehmerinnen reihenweise verweht. „Wenn das anders gewesen wäre, wäre es heute an die 60 Meter – oder darüber hinaus gegangen“, war sich die Herschbergerin sicher. „Es hat sich wieder deutlich besser angefühlt. Ich hatte Druck hinter dem Speer.“ Bei ihrem Saisoneinstieg in Halle war Hussong nicht über 53,60 Meter hinausgekommen und danach etwas geknickt. Die Steigerung unter schwierigen Bedingungen stimme sie „zuversichtlich, dass es in die richtige Richtung geht“. Das will die Herschbergerin am Freitag unter Beweis stellen. Dann tritt sie beim Diamond-League-Meeting in Paris an.

 Viele Würfe von LAZ-Speerwerferin Christin Hussong wurden vom Winde verweht. Trotzdem war sie mit ihrem Auftritt zufrieden.

Viele Würfe von LAZ-Speerwerferin Christin Hussong wurden vom Winde verweht. Trotzdem war sie mit ihrem Auftritt zufrieden.

Foto: Martin Wittenmeier

Aber wo herrscht für Hussong eigentlich mehr Druck – in den großen Arenen oder beim Heimspiel in Zweibrücken? „Hier sind Familie und Freunde dabei, die man natürlich nicht enttäuschen will. Aber die sind immer stolz, egal, wie es läuft. Sie waren auch in Halle für mich da. In den großen Stadien sind mehr Augen auf dich gerichtet. Aber das kann ich mittlerweile gut ausblenden. Ich konzentriere mich dann nur darauf, wo meine Eltern und mein Freund sitzen.“

Hussong überstand in Zweibrücken aber nicht nur eine sportliche, sondern auch eine mentale Belastungsprobe. Vor einem Jahr stürzte sie bei „Sky’s the Limit“ beim Anlauf, hatte danach Probleme an Wade und Hüftbeuger. Dies und eine Coronainfektion verhinderten ihre Teilnahme an Welt- und Europameisterschaft. „Ich habe versucht, nicht daran zu denken. Aber irgendwo im Hinterkopf hat man schon, was vor einem Jahr passiert ist.“ Dennoch gewann Hussong den Wettkampf vor der Australierin Mackenzie Mielczarek (52,97 Meter). Auch Ines Beyerlein vom LAZ mischte in dem Wettkampf mit und warf mit 38,92 Metern nahe an ihre Bestleistung heran.

Raphael Holzdeppe hadert schon beim Flug gen Boden. Die 5,65 Meter waren (noch) zu hoch.

Raphael Holzdeppe hadert schon beim Flug gen Boden. Die 5,65 Meter waren (noch) zu hoch.

Foto: Martin Wittenmeier

Vor dem Speerwurf der Frauen hatten sich die Stabhochspringerinnen in die Lüfte geschwungen. Die Schwedin Michaela Meijer gewann vor der Ukrainerin Yana Haldiychuk. Beide übersprangen 4,35 Meter, aber Meijer, die schon 2021 in Zweibrücken triumphiert hatte, benötigte weniger Versuche. Beste Deutsche wurde Anjuli Knäsche (LG Leinfelden-Echterdingen), die mit 4,25 Metern ihre eigene – und damit die deutsche Saisonbestleistung bestätigte. „Ich hatte schon gehofft, dass es mindestens zehn Zentimeter höher geht“, sagte Knäsche, die vergangenes Jahr sensationell deutsche Meisterin geworden war. Zwischenzeitlich hatte die 29-Jährige davor vier Jahre keinen Wettkampf bestritten. Knäsche trat übrigens schon vergangenes Jahr in Zweibrücken an. Und sprang am höchsten von allen Teilnehmerinnen. Das dürfte aber nicht jeder auf dem Schirm haben. Denn sie trat damals sonntags – außer Konkurrenz – bei den Jugendlichen an. Dort sprang sie mit 4,40 Metern höher als die Siegerin des A-Feldes, Jacqueline Otchere (4,35) am Samstag. Warum Knäsche damals nicht im Elite-Feld mitmachte? „Ich musste arbeiten“, sagte die 29-Jährige trocken. In Zweibrücken bestritt sie ihren ersten Wettkampf aus langem Anlauf und sei aktuell noch auf der Suche „nach der Leichtigkeit des letzten Jahres“.

Den Samstag im Westpfalzstadion beschloss das A-Feld der Stabhochspringer. Und die Zahl der Teilnehmer wurde rasch dezimiert. Dem Ukrainer Iliya Kravchenko halfen auch Tipps von Landsfrau Yana Haldiychuk nichts. Er scheiterte ebenso an seiner Einstiegshöhe wie Titelverteidiger Oleg Zernikel. Bei Zernikel, dem Fünften der Weltmeisterschaft des vergangenen Jahres, waren nach der EM im August 2022 in München die Akkus völlig leer. Er nahm sich eine Pause, sagte die Hallensaison ab – und bestritt in Zweibrücken wieder seinen ersten Wettkampf. Und in dem scheiterte Zernikel – Bestleistung 5,86 Meter – drei Mal an den 5,35 Metern. Der 28-Jährige verbeugte sich nach seinem letzten Fehlversuch vor den Zuschauern und versprach, schon bald wieder zu alter Stärke zurückzufinden.

  Michaela Meijer aus Schweden gewann den Stabhochsprung der Frauen.

Michaela Meijer aus Schweden gewann den Stabhochsprung der Frauen.

Foto: Martin Wittenmeier

Lokalmatador Raphael Holzdeppe stieg erst bei 5,45 Metern in den Wettkampf ein – und überwand diese gleich im ersten Versuch. Doch nachdem er 5,55 ausgelassen hatte, waren die 5,65 Meter Endstation. „Zufrieden bin ich nicht, weil ich vom Training weiß, dass viel mehr drin ist. Aber die Wettkampfpraxis kommt zurück. Im Sommer wird es hochgehen, da bin ich mir sicher“, sagte Holzdeppe, der Weltmeister von 2013. Holzdeppes Ziel: Die Teilnahme an der WM in Budapest (19. - 27. August). Dafür muss der 33-Jährige aber erst die Norm von 5,81 Metern knacken. Dass dies nicht in Zweibrücken der Fall war, ist für Holzdeppe kein Beinbruch: „Es ist trotzdem immer eine Riesenfreude zu Hause zu springen. Viele Wettkämpfe sind weiter weg, da haben Familie und Freunde keine Chance zuzusehen. Hier kann man alle einladen“, sagte der LAZ-Athlet, der Zweiter wurde. Noch höher sprang Gillian Ladwig vom Schweriner SC, der mit 5,65 Metern gewann.

Die zweitbeste Stabhochsprungleistung des Tages stellte übrigens einer auf, der am Abend gar nicht dabei war. Der 18 Jahre alte Hendrik Müller von Bayer Leverkusen steigerte seine Freiluft-Bestleistung um stolze 15 Zentimeter auf 5,50 Meter und gewann damit die Konkurrenz des B-Feldes, die am Nachmittag ausgetragen wurde. „Klar bin ich damit sehr happy. Ich bin auf einen Anlauf mit 16 Schritten gewechselt. Dadurch bin ich viel schneller geworden und kam in den ersten Wettkämpfen nicht klar. Aber ich war mir grundsätzlich sicher, dass ich die Höhe draufhabe“, sagte Müller. Und der 18-Jährige, der im August an der U20-EM in Jerusalem teilnehmen wird, ergänzte mit einem Augenzwinkern: „Nächstes Jahr mische ich hier das A-Feld auf.“

 Keiner sprang in Zweibrücken am Samstag höher als er: Gillian Ladwig überwand als Einziger bei „Sky’s the Limit“ 5,65 Meter.

Keiner sprang in Zweibrücken am Samstag höher als er: Gillian Ladwig überwand als Einziger bei „Sky’s the Limit“ 5,65 Meter.

Foto: Martin Wittenmeier

Für den LAZ-Vorsitzenden Alexander Vieweg ging dann am späten Abend ein langer Tag zu Ende – dem eine kurze Nacht vorausgegangen war. Um halb 4 Uhr am Morgen hatte er die letzten eingetroffenen Athleten aus Skandinavien begrüßt und in ihrem Hotel einquartiert. Viewegs Fazit: „Es hätten ein paar Zuschauer mehr sein dürfen als die 400, die heute in der Spitze da waren. Aber das Wetter war toll, die Stimmung war gut – und mit den Leistungen, die wir gesehen haben, müssen wir uns nicht verstecken.“ Vieweg ergänzte: „Am Ende des Tages kommt es darauf an, dass sich die Athleten bei uns wohlfühlen – und das haben sie wieder getan.“

Schade fand er die kurzfristige Absage der australischen Speerwerferin Kathryn Mitchell. Die ehemalige Commenwealth-Siegerin sollte als große Konkurrentin Hussongs an den Start gehen. Sie war im Stadion, musste aber wegen Beschwerden am Fuß passen. „Kathryn tat es super leid. Sie hat sich drei Mal entschuldigt. Aber wenn sie so früh in der Saison kein Risiko eingehen möchte, ist das verständlich“, sagte Vieweg. Auch der türkische Stabhochspringer Ersu Sasma trat nicht an. Er hatte ein Angebot eines höher dotierten Meetings in den Niederlanden bekommen. „Was soll ich einem Athleten sagen, der mir erklärt, dass er in Hengelo springen kann, wo es viel mehr Punkte zu gewinnen gibt? Die Athleten brauchen diese Punkte“, zeigte Vieweg Verständnis. Der Vorsitzende führte aus: „Wir als LAZ müssen schauen, wo wir uns künftig in diesem Meeting-Zirkus einsortieren wollen. Da läuft viel über Geld, mit dem man sich ein gewisses Ranking erkaufen kann. Aber dass unser Trainer Bernhard Brenner die Kids mit dem Quad auf einem Anhänger ums Stadion fährt – das gibt es nur hier. Dieses Familiäre, das wollen wir nicht verlieren. Und das werden wir nicht verlieren.“ Alexander Vieweg sprach‘s – und ließ sich von Speerwurf-Star Christin Hussong, die die letzte Schicht im Getränkeverkauf übernommen hatte, ein Bier reichen.

Stabhochspringer Hendrik Müller, Sieger im B-Feld, wäre mit seiner tollen Leistung im A-Feld Zweiter geworden.

Stabhochspringer Hendrik Müller, Sieger im B-Feld, wäre mit seiner tollen Leistung im A-Feld Zweiter geworden.

Foto: Martin Wittenmeier
Auch Ines Beyerlein vom LAZ mischte in der Speerwurf-Konkurrenz mit.

Auch Ines Beyerlein vom LAZ mischte in der Speerwurf-Konkurrenz mit.

Foto: Martin Wittenmeier

Die Ergebnisse des zweiten Tages von „Sky’s the Limit“ folgen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort