Sky‘s the Limit beim LAZ Zweibrücken Zu Bubkas Zeiten wäre der Rekord gefallen
Zweibrücken · Das internationale Stabhochsprung-, und Speerwurf-Meeting „Sky‘s the Limit“ fand am Samstag im Westpfalzstadion erstmals seit zwei Jahren wieder ohne Corona-Auflagen statt. Die Besucher sahen, wie Stabhochspringer Oleg Zernikel haarscharf am Meeting-Rekord vorbeischrammte. Und Christin Hussong bei ihrem Heimspiel einen Schockmoment erlebte.
Oleg Zernikel schüttelt unter der Abendsonne im Westpfalzstadion noch einmal seine linke Hand aus, wuchtet den Stab in die Höhe und stürmt auf die Hochsprunganlage zu. 5,86 Meter sind aufgelegt – das wäre für „Sky‘s the Limit“, das Stabhochsprung- und Speerwurf-Meeting des LAZ Zweibrücken neuer Rekord. Zernikel schießt nach oben. Die richtige Höhe hat er – doch beim Überqueren touchiert er minimal die Latte. Diese tanzt nachdem Zernikel bereits auf der Matte liegt auf und ab, scheint sich schließlich zu beruhigen – und plumpst dann doch gen Boden. Zernikel vergräbt das Gesicht in seinen Händen, verharrt Sekunden regungslos in Bauchlage auf der Matte, erhebt sich dann aber mit einem Satz und winkt strahlend ins Publikum. Die Stabhochsprung-Konkurrenz der Männer hatte der 27-Jährige vom ASV Landau am Samstag mit 5,70 Metern trotzdem gewonnen und seinen Titel verteidigt. „Meeting-Rekord, das wäre der Hammer gewesen. Zu Zeiten von Sergej Bubka wäre die Latte liegen geblieben. Da war der Aufleger breiter“, war sich Alexander Vieweg, der Vorsitzende des LAZ Zweibrücken, sicher. Auch Zernikels Disziplin-Kollege Raphael Holzdeppe vom LAZ hatte mitgefiebert. „Ich war mir sicher, die Latte bleibt liegen und dann fällt das blöde Ding im letzten Moment. Aber Oleg hat die Höhe drauf – und er wird sie springen“, meinte der Weltmeister von 2013.
Zernikel selbst verhagelte der verpasste Rekord, der gleichbedeutend mit neuer persönlicher Bestleistung gewesen wäre, nicht die Laune. „Es wäre ja zu einfach gewesen, wenn es heute geklappt hätte“, flachste der amtierende deutsche Meister, der „überhaupt nicht mehr auf dem Schirm“ gehabt habe, dass er in Zweibrücken als Titelverteidiger an den Start ging. „Die großen Höhepunkte kommen ja noch, dann klappt es“, war sich Zernikel sicher. Die großen Höhepunkte – das sind nach den deutschen Meisterschaften in zwei Wochen die WM vom 15. bis 25. Juli in Eugene/USA und die Heim-EM vom 15. bis 21. August in München. „Es reicht mir nicht mehr, einfach nur mit dabei zu sein. Es ist unbefriedigend, wenn es andere Springer gibt, die sechs Meter überwinden und du stehst daneben mit 5,70“, sagte Zernikel, der sich aber auch aus einem anderen Grund freute. „Ich hatte zuletzt ein paar mentale Probleme, wenn es an meine Bestleistung herangegangen ist. Dann bin ich nervös geworden. Aber jetzt habe ich mich wieder fokussieren können. Ich bin heute einen härteren Stab gesprungen, den ich vorher nur ein Mal in der Hand hatte. Und es hat wunderbar geklappt. Wenn ich heute ein bisschen mehr Kontrolle über den Sprung bekommen hätte, wäre ich drüber gewesen.“
Raphael Holzdeppe, der das Meeting im Vorjahr verpasst hatte, weil bei ihm kurz zuvor ein Knorpelschaden im Knie diagnostiziert worden war, wurde mit übersprungenen 5,30 Metern Dritter. Nach der Operation im vergangenen Jahr befindet sich der 32-Jährige erst seit wenigen Wochen wieder im Wettkampfbetrieb. Zwei Mal – bei seinem ersten und dritten Versuch – schien Holzdeppe die 5,50 Meter schon überwunden zu haben. Doch ähnlich wie bei Zernikel sackte die Stange nach quälenden Sekunden dann doch noch nach unten. „Wenn mich das nicht mehr ärgern würde, wäre der sportliche Ehrgeiz verloren gegangen. Aber ich muss damit zurechtkommen, dass ich Geduld brauche. Ich hatte gehofft, es geht schneller, aber nach einem Jahr ohne Wettkämpfe brauche ich Zeit, um die Routine wiederzufinden. Das heute war ein Schritt nach vorne, auch wenn die Höhe das nicht widerspiegelt.“ Die 5,50 Meter hat Holzdeppe in dieser Saison bei einem Wettkampf in Polen schon übersprungen. „Von meinem Trainingsleistungen könnte es aber noch höher hinausgehen.“ Und das muss es auch, wenn Holzdeppe sein großes Ziel in dieser Saison noch erreichen will. Die Heim-EM in München hat er noch nicht abgeschrieben. Die Norm beträgt 5,75 Meter. Grundsätzlich sei für Holzdeppe aber „jeder Wettkampf ein Geschenk. Es war ein langes Jahr für mich. Endlich wieder springen und reisen zu dürfen, ist toll. Und dass die Zuschauer wieder mit dabei sind, macht die Sache noch schöner.“ Aufbauende Worte gab es von Zernikel, der zusammen mit Holzdeppe beim LAZ Zweibrücken trainiert. „Raphie ist ein super Typ und er hat es immer noch drauf. Er muss seine Routine finden, dann greift er wieder oben an.“
Für einen bangen Moment sorgte Speerwurf-Europameisterin Christin Hussong vom LAZ. Nach ihrem vierten Versuch lag die Herschbergerin plötzlich am Boden und hielt sich das rechte Bein. Zu ihren letzten beiden Würfen trat die 28-Jährige nicht mehr an. Doch nach dem Wettkampf gab Hussong Entwarnung: „Ich habe zu kurz gestemmt, hatte zu viel Geschwindigkeit drauf. Das, was andere Werfer absichtlich machen ist mir aus Versehen passiert. Aber es ist alles gut, es tut nichts weh. Ich habe auch die Videos gesehen, darauf ist nicht zu sehen, dass ich mir das Knie verdreht hätte.“ Die amtierende Speerwurf-Europameisterin ergänzte: „Ich war im ersten Moment nur ein wenig geschockt. Wenn man am Boden liegt, fragt man sich: Tut etwas weh, ist alles gut. Aber ich habe dann ja direkt aufstehen können.“ Dass sie den Wettkampf abgebrochen habe, sei eine reine Vorsichtsmaßnahme gewesen: „Bei dem, was passiert ist, hätte ich mich eh nicht getraut, mit voller Kraft zu werfen. Und wenn man mit dem Kopf nicht ganz dabei ist, ist die Gefahr, dass etwas passiert, viel höher.“
Gewonnen hat die Herschbergerin den Wettkampf übrigens trotzdem. In ihrem ersten Versuch schleuderte die Lokalmatadorin den Speer auf 61,94 Meter und setzte sich damit vor der Australierin Kathryn Mitchell (57,36 Meter) durch, die in Zweibrücken ihren ersten Saison-Wettkampf bestritt.
„Kathryn ist eine Medaillenkandidatin bei der WM. Es ist gut, wenn man vorher gegen andere Starter gewonnen hat. Ich hätte heute gerne weiter geworfen – und ich weiß, dass ich das kann. Aber ich habe gerade mit der Vorbereitung auf die WM angefangen und es war klar, dass ich ein bisschen platt in den Beinen bin. Aber das ist völlig okay.“ Zwar sei die 28-Jährige derzeit „noch nicht bei 100 Prozent. Aber letztes Jahr vor Olympia in Tokio war ich sehr zufrieden mit meiner Form, konnte sie aber nicht halten. Da ist es mir liebe, wenn es diesmal anders rum läuft.“
Begonnen hatte „Sky‘s the Limit“ mit dem Stabhochsprung-Wettbewerb der Frauen. Und den gewann die deutsche Meisterin Jacqueline Otchere (MTG Mannheim) mit 4,35 Metern vor der Vorjahressiegerin und schwedischen Rekordhalterin Michaela Meijer (4,25 Meter). „Ich bin sehr glücklich. Ich habe noch ein wenig Anlaufprobleme. Das war jetzt mein zweiter Wettkampf aus zwölf Metern. 4,35 Meter sind nicht das Ziel für die Saison. Aber ich wollte hier Selbstvertrauen finden – und das hat geklappt“, sagte Otchere, die den dritten Versuch über 4,50 Meter ausgelassen hatte. „Bei der DM 2019 in Nürnberg bin ich im dritten Versuch abgestürzt. Wenn ich alleine im Wettkampf bin, gibt es bei mir noch eine kleine Blockade im Kopf, die ich überwinden muss“, erzählte die 26-Jährige, die das Meeting in höchsten Tönen lobte, auch weil es einer der wenigen Wettkämpfe in Deutschland für Stabhochspringerinnen überhaupt ist: „Ich bin jetzt in Prag und Ostrava gesprungen, in Deutschland hatte ich zuletzt überhaupt keinen Wettkampf. Zweibrücken ist aber immer eine gute Veranstaltung. Die Zuschauer unterstützen einen und bei Wind kann die Anlage einfach gedreht werden. Außerdem hatten wir in den letzten Jahren immer tolles Wetter“, freute sich Otchere, die in zwei Wochen bei der DM ihren Titel verteidigen will. Das folgende Ziel ist die Teilnahme bei der Heim-EM in München, für die Otchere aber noch 4,60 Meter überspringen muss. „Dafür habe ich noch anderthalb Monate Zeit. Ich muss jetzt härtere Stäbe springen und höhere Griffe finden – ich bin mir sicher, dass es noch klappt.“
Der LAZ-Vorsitzende Alexander Vieweg fühlte sich nach dem Meeting „ein bisschen fertig, aber das ist jedes Jahr so. Es war schön. Wir hatten deutlich mehr Zuschauer als letztes Jahr. Und sie Stimmung war wieder mehr wie früher. Die Besucher konnten sich frei bewegen. Unsere Mitglieder haben Kampfgericht gemacht und konnten sich um die Athleten kümmern, statt Energie darauf zu verwenden, Leuten etwas zu erklären“, meinte Vieweg im Hinblick auf die vergangenen Auflagen, die im Zeichen der Corona-Verordnungen standen. An diesem Samstag planschten Kinder wieder bei hochsommerlichen Temperaturen vergnügt im Wassergraben der Hindernisläufer – oder ließen sich vom ehemaligen Olympia-Speerwerfer Vieweg in dessen Sportart einweisen.
Und wie fanden es die Athleten: „Super. Gerade die, die das erste Mal hier waren, waren total baff, Die kannten so etwas nicht“, sagte der Vorsitzende. Der seinerseits begeistert davon war, was die Athleten auf sich nahmen, um in Zweibrücken dabei sein zu können. Weil der Transport von Stäben derzeit ungemein schwierig ist, teilten sich der Finne Tommi Holttinen und der Ukrainer Illja Krawtschenko den zweiten Satz von Raphael Holzdeppe. Weil auch die Schwedin Michaela Meijer ihre Stäbe nicht aus der Heimat nach Zweibrücken bekam, reiste sie mit dem Auto an. Sie fuhr 16 Stunden und kam um ein Uhr nachts in der Rosenstadt an.