Weshalb die Herschbergerin aktuell so gut drauf ist Vielleicht in der Form ihres Lebens

Zweibrücken · Speerwurf-Europameisterin Christin Hussong vom LAZ Zweibrücken ist aktuell in herausragender Form. Am Wochenende tritt sie nun bei der Team-EM in Polen an. Es ist ihre erste Teilnahme. Zeigt sie auch da eine Top-Leistung?

 Mit voller Kraft voraus: Christin Hussong, Speerwerferin vom LAZ Zweibrücken, befindet sich aktuell in bestechender Form. In den kommenden Wochen und Monaten stehen viele Wettbewerbe auf dem Programm – mit dem Höhepunkt Olympia in Tokio.

Mit voller Kraft voraus: Christin Hussong, Speerwerferin vom LAZ Zweibrücken, befindet sich aktuell in bestechender Form. In den kommenden Wochen und Monaten stehen viele Wettbewerbe auf dem Programm – mit dem Höhepunkt Olympia in Tokio.

Foto: dpa/Tim Ireland

Manchmal wird Christin Hussongs Speer zum Zauberstab. Dann, wenn er fliegt, immer weiter und gefühlt nicht mehr damit aufhören will. Vierzig Meter, fünfzig, sechzig – und weit darüber hinaus. Es ist ein Flug, der durchaus verzaubern kann, etwas Magisches in sich trägt. Dass die Menschen mitunter ungläubig staunen und applaudieren, wenn sich die Spitze ihres Speeres schließlich doch irgendwann gen Boden senkt und in das satte Grün bohrt, passt ins Bild.

In den letzten Wochen lag dieser Punkt meist irgendwo zwischen 65 und 70 Metern von jener Stelle entfernt, an der der Speer Hussongs Hand verlassen hatte. Fast nach Belieben scheint sie ihr Arbeitsgerät derzeit jenseits der 65-Meter-Marke schleudern zu können. Eine Weite, an der sie sich zuvor über zwei Jahre die Zähne ausgebissen hatte. Am letzten Wochenende in Rehlingen etwa, beim Leichtathletik-Pfingstsportfest, schüttelte die amtierende Europameisterin 66,96 Meter aus dem Arm. Saisonbestleistung. Stadionrekord. Die drittbeste Weite, die die Herschbergerin je geworfen hat.

Hussong hofft auf weitere dieser magischen Momente. Am kommenden Wochenende etwa, wenn die 27-jährige vom LAZ Zweibrücken bei der Team-EM im polnischen Chorzów an den Start geht. „Auf jeden Fall will ich gewinnen – und wenn es geht auch meine Saisonbestleistung noch ein Stück verbessern“, verspricht sie.

Hussong, das ist während des Gesprächs herauszuhören, sprüht aktuell vor Selbstvertrauen. Ihre Leistungen geben ihr auch allen Grund dazu. Zugleich strahlt die LAZ-Athletin eine beinahe kindliche Vorfreude aus, wenn sie über die nun anstehenden Wettbewerbe spricht. Etwa die Team-EM. Dort beginnt ihr Wettkampf am Sonntag um 15.30 Uhr. Der europäische Leichtathletik-Verband plant eine Live-Stream-Übertragung auf seiner Internetseite (european-athletics.com).

Es ist ein Event, das für die Speerwerferin auch ein emotionales ist. Denn „für Deutschland an den Start zu gehen, ist immer etwas ganz Besonderes“, sagt sie: „Außerdem ist es ja auch meine allererste Teilnahme an der Team-EM, weshalb ich mich umso mehr freue, nachdem es die Jahre zuvor einfach nie gepasst hat.“ Der Mannschaftswettbewerb wird bereits seit 2009 ausgetragen – doch immer sei bei ihr bislang etwas dazwischen gekommen, bedauert Hussong.

Doch nun ist es endlich soweit. Am Freitag steigt die 27-Jährige in Frankfurt in den Flieger; etwa vier Stunden später landet sie dann in Chorzów, einer knapp 110 000 großen Stadt im Verwaltungsbezirk Schlesien. Spätestens dort, im Teamhotel, trifft sie auch auf die anderen 49 Athleten, die der Deutsche Leichtathletikverband vergangene Woche nominiert hat. Etwa – selbstverständlich – ihr männliches Speerwurf-Pendant Johannes Vetter. Den deutschen Rekordhalter von der LG Offenburg, der eine ebenso beeindruckende Saison hinlegt wie die LAZ-Athletin.

Hussong, die zur Einstimmung auf ihre Wettkämpfe „mal Schlager, mal Hip-Hop hört“, freut sich auf die anderen Athleten vor Ort. In all den Jahren verbringt man viel Zeit zusammen und lernt sich zu schätzen“, sagt die Herschbergerin. Hat sie womöglich einen Gesprächspartner, mit dem sie am liebsten Zeit verbringt? Die Ausnahmeathletin muss kurz überlegen. „Einen einzelnen gibt es da jetzt nicht. Wir Werfer verstehen uns aber natürlich besonders gut. Man merkt, dass man ziemlich gleich ist, gleich tickt. Gleiche Wellenlänge, gleicher Humor halt.“

Dennoch, und das macht sie im Gespräch mit dem Merkur eben auch sehr deutlich, reise sie ja nicht zum Vergnügen nach Polen. Gerade am Wettkampftag sei sie sehr diszipliniert und akribisch, fokussiert und konzentriert. Alles takte sie bis ins allerkleinste Detail durch. „Über die Jahre habe ich mir einen Zeitplan erarbeitet, den ich auf jeden Fall brauche“, sagt sie und nennt ein Beispiel: „Wenn da steht, dass ich um 15.30 Uhr einen Kaffee trinken muss, dann mache ich das auch“, sagt sie. Hussong spricht von „Routinen, die mir Sicherheit geben“.

Erst wenn sie dann wieder zu Hause sei, könne sie abschalten und lockerlassen. Etwa, wenn sie kocht und backt. „Was ich sehr gerne tue.“ Oder, wenn sie mit ihrem Hund, einem Golden Retriever, durch die Region streift. „Das holt mich etwas runter“, erklärt die 27-Jährige. Gerade jetzt sei für sie ein Ausgleich zum Leistungssport sehr wichtig – in einer Zeit, in der sie alle Hände voll zu tun hat. In der ihr Terminkalender prall gefüllt ist. Nichts gehe da über eine gute Work-and-Life-Balance.

Wettkampf, Training, Regeneration, Wettkampf, Training, Regeneration: so oder zumindest so ähnlich müssen die vergangenen Wochen von Hussong verlaufen sein. Und so oder so ähnlich geht es nun auch weiter. Schlag auf Schlag eben. Denn bereits vom 4. bis 6. Juni steht das nächste große Event an: die Deutsche Meisterschaft in Braunschweig. Ein Wettbewerb also, bei dem sie, anders als bei der Team-EM, nicht nur Stammgast ist, sondern mittlerweile ein Abo auf den Sieg gepachtet hat.

So gewann die Herschbergerin das Stelldichein der deutschen Top-Speerwerferinnen bei sechs Teilnahmen bereits vier Mal. 2016 in Kassel – und seitdem die letzten drei Mal in Folge: 2018 in Nürnberg, 2019 in Berlin und 2020 in Braunschweig. Hinzu kommen noch eine Silber- sowie eine Bronzemedaille – die für die ehrgeizige Hussong in diesem Jahr freilich eher enttäuschend wären. Nicht zuletzt wegen ihrer so bestechenden Form. „Mit diesem Druck kann ich aber sehr gut umgehen – denn es ist ja nicht das erste Mal in meiner Laufbahn, dass ich so gut dastehe“, sagt die 27-Jährige.

Dennoch: Trotz der hohen Erwartungen, „die ich natürlich auch an mich selbst stelle“, ist sich die LAZ-Athletin bewusst, „dass die Deutsche Meisterschaft kein Selbstläufer für mich ist“. Und sollte es wider Erwarten nicht zu Platz eins reichen, „kann ich das schnell abhaken, sofern die Leistung stimmt. So war ich Gott sein Dank schon immer, dass ich mit Rückschlägen sehr gut umgehen kann“.

Hussong verweist auf den bitteren vierten Platz bei der Leichtathletik-WM in Doha 2019. „Eine Hand schon an der Medaille – doch dann wurde es Blech“, schrieb der Merkur damals. „Ich habe daraus eher Motivation gezogen: Vierter Platz? Beim nächsten Mal nicht mehr, sagte ich mir“, erinnert sich Hussong. Sie ist überzeugt davon, dass „man aus Niederlagen stärker herauskommt.“

Die Europameisterin geht aktuell mit sehr gutem Beispiel voran. Und dass sie ihr Level bei den nun anstehenden Wettbewerben in den kommenden Wochen vor den Olympischen Spielen in Tokio (23. Juli - 8. August) aufrechterhalten wird, steht für sie außer Frage. Sie fühle sich einfach super – vielleicht so gut wie noch nie in ihrer Laufbahn: „In den letzten Jahren war ich zwar auch fit, aber technisch war ich nicht so stabil wie in diesem Jahr“, sagt Hussong. Sie spricht von einer „tollen Vorbereitung und einer sehr guten Trainingssteuerung“. Ihr Vater und Trainer Udo Hussong leiste da sehr gute Arbeit, sagt die 27-Jährige. „Mit der Zusammenarbeit bin ich sehr zufrieden. Ich könnte mir keinen besseren Trainer vorstellen.“

Dass es aktuell so gut läuft, liegt laut ihr aber nicht nur an ihrem Papa, sondern auch an den Erfahrungen, die sie in den vergangenen Jahren sammeln konnte. „Ich werde halt älter“, sagt Hussong lachend. Und damit auch „reifer und erfahrener“. So merke sie nun deutlich schneller, „an welchen Stellschrauben ich drehen muss“. Hinzu komme eine gewisse Leichtigkeit, die sich nach all den Jahren Hochleistungssport ergibt. „Ich bin entspannter als früher – sehe nicht mehr alles so ernst“, sagt sie.

Einen besseren Zeitpunkt für dieses Stimmungs- und Leistungshoch hätte sich Hussong wahrscheinlich nicht aussuchen können. Jetzt, in einer Phase, in der nicht nur die Team-EM und die Deutsche Meisterschaft vor Tür stehen – sondern eben auch der absolute Saison-Höhepunkt immer näher rückt: Die Olympischen Spiele. „Wenn ich daran denke, bin ich schon etwas aufgeregt; dann kribbelt es“, sagt sie.

  In ihrer Freizeit geht Hussong gerne mit ihrem Golden Retriever in Zweibrücken spazieren.

In ihrer Freizeit geht Hussong gerne mit ihrem Golden Retriever in Zweibrücken spazieren.

Foto: dpa/Bernd Thissen
 Christin Hussong ist die deutsche Ausnahmeathletin im Speerwerfen. Bei der Team-EM in Polen tritt sie nun erstmals für ihre Nation an.

Christin Hussong ist die deutsche Ausnahmeathletin im Speerwerfen. Bei der Team-EM in Polen tritt sie nun erstmals für ihre Nation an.

Foto: AP/Martin Meissner

Und sollte sie tatsächlich mit einer Medaille, gar mit einer goldenen nach Zweibrücken kommen? „Na, dann feiere ich das auf jeden Fall mit Freunden und Familie“, sagt die Herschbergerin und lacht erneut. Und wer wenn nicht Christin Hussong sollte denn pünktlich zu Olympia wieder einen dieser magischen Momente aus dem Ärmel schütteln?

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